Transkript: UnderDocs 010: Instrumentalisierung von Armut?!

2018, AK Uni im Kontext
UnderDocs 010 – Instrumentalisierung von Armut?!

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Transkript

Prolog:
[0:00] Also man liest einen Bericht und dann steht dahinter „Deutschland vor der Zerreißprobe“.

Also, da wird so mit so einem metaphorischen Gehalt das verkauft, was da statistisch passiert, als würde sich Deutschland wie ein Karussell ganz schnell drehen. Alles ist irre dynamisch und wir drohen alle zu zerreißen.

Intromusik

Fabian:
[0:43] Herzlich willkommen zur zehnten Ausgabe des UnderDocs Podcasts. Am Mikrofon begrüßt euch Fabian Link.
Ja, ich freue mich, euch hier die zehnte Ausgabe unseres Interview Formats zu präsentieren, bei dem wir mit jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern sprechen.

Vorstellung Und Einleitung

[0:58] Und heute habe ich mir den Nikolaus eingeladen. Hallo Nicolaus.
Vielleicht habt ihr das ja in den Nachrichten gelegentlich mal verfolgt.
Der paritätischer Wohlfahrtsverband veröffentlicht regelmäßig einen Armutsbericht und meistens ist die Veröffentlichung dieses Berichts ein Anlass, um über die Armut im Allgemeinen
– und im Speziellen natürlich in Deutschland – noch mal eine große gesellschaftliche Debatte zu eröffnen.
Mein Gast Nikolaus hat sich mit diesem Armutsbericht genauer auseinandergesetzt,

allerdings nicht unbedingt mit den inneren statistischen Grundsätzen, sondern eher mit der Wirkung des Armutsberichts als Ganzen.
Nikolaus kannst du vielleicht erst mal kurz deine Forschungsfrage formulieren, dass wir da so eine kurze Einleitung bekommen.

Nikolaus:
[1:49] Ja, ich würde das, glaube ich, gar nicht so standardmäßig als Frage machen, sondern einfach als
den Grundgedanken, von dem mein Vorhaben soweit getragen wurde. Ich habe versucht den Armutsbericht organisationssoziologisch zu betrachten und habe mir dazu überlegt,
dass man das als Öffentlichkeitsarbeit wahrnehmen könnte.

[2:09] Und definitiv kann, weil es ein unregelmäßig veröffentlichtes Pamphlet an der Stelle ist, was sich mit dem Thema beschäftigt, womit die Organisation befasst ist. Und dann habe ich mir gesagt, dass wir die qualitativ beforschen und habe meine Masterarbeit dazu geschrieben.
Und einfach mal gemutmaßt, dass es sich um eine quasi Selbstinszenierung eine Organisation handelt. Und WIE
der sich inszeniert, ist letztlich die analytische Frage, aber darum herum kreisen natürlich ganz,
ich sag mal, für Erziehungswissenschaftler interessante Punkte der Einordnung. Nämlich, was bewegt einen Träger oder eine Organisation dazu sowas zu veröffentlichen? Wie ist der Bericht beschaffen?
Wie kriegt man auch die Sprache, die darin verfasst ist, in Einklang mit organisationssoziologischen Theorien bisher? Das ist natürlich alles so dieses Rahmenwerk, was man für eine Masterarbeit
schon sich vornehmen muss, natürlich auch Begriffsklärung, also „Was ist Öffentlichkeitsarbeit?“, „Wie gehe ich damit um?“.
Bewegt dazu hat mich ja vor allen Dingen auch, dass Annahmen zur Öffentlichkeitsarbeit vor allem sehr positivistisch sind, also
sind so klassische wirtschaftliche Ideen, wenn man A tut wird kausal auf alle Fälle B herauskommen. Da wird dann von Outcome,
ja Growth, et cetera, Outputs geredet. Aber letztlich, habe ich mal angenommen, dass
im Sozialen, also wenn etwas sozial wahrgenommen wird, die Resonanzen nicht immer nur positiv sind und nicht immer berechenbar.

Fabian:
[3:36] Du bewegst dich mit deiner Arbeit ja so ein bisschen im Bereich der Wohlfahrtspflege bzw. also du beschäftigst dich wissenschaftlich mit Wohlfahrtspflege.
In diesem Bereich sind natürlich die großen
Wohlfahrtsverbände aktiv. Vielleicht kannst du da erstmal in diesem Bereich so eine kleine Einführung geben. Wie ist das organisiert? Welche Akteure sind da groß im Spiel?

Nikolaus:
[3:58] Vielleicht erstmal zur Wohlfahrtspflege. Das bedeutet im Grunde, dass es eine Organisation gibt, die sich um die Wohlfahrt kümmert; also die
organisiert ganz konkret, dass man soziale Leistungen in Deutschland, die Erbringung dessen erleichtert, auch am sozialpolitischen Diskurs teilnimmt.
Es wird im Grunde Menschen geholfen, die auf Hilfe angewiesen sind und die Motivationen dazu sind ja ganz unterschiedliche. Für manche eben wirtschaftlich motiviert, dass Leute in Arbeit kommen, und für andere, dass sie ein gutes
Leben haben, das der Menschenwürde entspricht in Deutschland, die ja im Grundgesetz auch verankert ist. In Deutschland herrscht das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, kompliziertes Wort,
ist nach dem zweiten Weltkrieg ganz groß geschrieben worden. Ist eine katholische Idee, die besagt, dass wenn es quasi ein nicht staatlichen Akteur für die Erbringung solcher Sozialleistungen gibt, dann möge der das bitte übernehmen, weil der
sich damit möglichst passgenauer als, ich sag mal, der breite Staat, der eher zentralistisch gedachte Staat, dass er das erbringen kann an der Stelle.
Deswegen ist die freie Wohlfahrtspflege in Deutschland, wie auch in anderen Sozialstaaten, ziemlich ausgeprägt und schon ein ziemlich großer

 

[5:09] Sektor. Man nennt das auch intermediärer Sektor, weil der eben zwischen den einzelnen wirtschaftlichen Sphären auch vermittelt.
Diakonie ist so ein glaube ich in Norddeutschland sehr verbreiteter Träger, der so diese Erbringung übernimmt. Caritas auch sehr groß, die Arbeiterwohlfahrt,
und der Paritätische Gesamtverband.
Was gibt es natürlich noch etliche kleinere Träger, aber die großen Spitzenverbände in Deutschland, die sind tatsächlich schon, ich sag mal, bei der Ressourcenverteilung ganz oben in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohlfahrtspflege. Das will auch Deutschland, der deutsche Staat und sagt,
die kennen sich damit aus, die haben Professionelle. Deutschland mag das, wenn Sachen in Vereinigungen oder im Verband organisiert sind, genau. Es betrifft alle Menschen und Altersgruppen und es geht zentral um Gemeinnützigkeit.
Um es lange zusammenzufassen, genau.

Fabian:
[6:01] Jetzt stellt sich mir so ein bisschen die Frage, könnte man da im Prinzip nicht auch sagen, dass der Staat sich so ein bisschen vor seinen Aufgaben drückt eigentlich, wenn er das den Sozialverbänden überlässt, sich um die Wohlfahrt zu kümmern.

Nikolaus:
[6:14] Ja, das ließe sich sagen, aber dem ließe sich auch entgegenhalten, dass der Staat sich das ja dadurch ein bisschen schwerer macht, weil er sich ja dann einen Gegenspieler aufs Tableau holt, der quasi die eigene
Regierungspolitik grundsätzlich erstmal kritisiert und sagt, das musst doch alles viel sozialer klappen an der Stelle. Und deswegen wird das Ganze dadurch komplexer eigentlich nur.
Und diese einzelnen Träger, die Spitzenverbände, die sich da zusammensetzen, die haben ja auch nicht alle die gleiche Meinung. Das heißt, es ist ein schon erheblicher Prozess
nötig, um quasi eine Position, eine gemeinsame Position zu kreieren, in der quasi der Staat die gesetzliche Grundlage und die Finanzierung schafft und andererseits den Spitzenverbänden sagt, da setzen wir unsere professionellen
mit einigermaßen gutem Gewissen ein.
Gibt natürlich immer wieder Kontroversen, also so als Sozialarbeiter irgendwen an Hartz4 zu gewöhnen, ne, einen Klienten, ist glaube ich nicht
so leicht, weil die Logik des fordern und fördern ist halt eine grundsätzlich
straffe, staatliche Idee, aber dennoch mussten die Leute da an der Stelle zusammenarbeiten als die Gesetzgebung verabschiedet wurde. Also, der Staat verleiht sich im Grunde selber wie so einen
Sensor, der in die Realität rein ragt und guckt, wie ist denn eigentlich das erbringbar für die Menschen. Wie kriegen wir denn eine soziale Leistung außerhalb eines Jobcenters, beispielsweise, das ja behördlich funktioniert?
Wie kriegen wir denn die realisiert und wie gut funktioniert das genau?

Fabian:
[7:40] Jetzt ist in deiner Ausführung ja schon klar geworden, dass nicht nur die, ich sage mal, praktische Wohlfahrtspflege, im Sinne von ’sich um irgendjemanden kümmern‘, Aufgabe
der Verbände ist, sondern eben auch das politische Wirken; also das Aushandeln mit der Bundesregierung, mit dem Staat – und ein Element
dieses Aushandelns oder dieses Verhandlungsprozesses ist mit Sicherheit die Veröffentlichung des Armutsberichts. Der wird ja vom Paritätischen Wohlfahrtsverband veröffentlicht.
Und zwar, soweit ich das richtig erinnere, war das jährlich.

Nikolaus:
[8:16] Nein, nicht ganz. Im Grunde beschäftigen sie sich natürlich jährlich damit, aber von einer sehr ursprünglich schon
jährlichen Stellungnahme, würde ich sagen, hat es sich entwickelt zu einem jährlichen Bericht, diesem Armutsbericht, als feststehende Institution. Man nimmt es ja dann schon irgendwie wahr als feststehendes Ereignis, und ich habe mal, damit der Hörer sich das

ein bisschen vorstellen kann, aufgeschrieben, wieso in den letzten Jahren dieser Bericht immer größer wurde.
Also, die Veröffentlichungsdatum waren zwar 2012 und 2013 jährlich, da hatte der Bericht 27 und 29 Seiten, also ist um 2 Seiten angewachsen.
Dann war zwei Jahre Pause quasi oder ein Jahr Pause, wenn man es genau nimmt, und 2015 hatte der schon 52 Seiten, also fast das Doppelte, und dann
120 Seiten. Und da haben sie selber schon geschrieben, dass es mal zu Problemen in der Regelmäßigkeit kam, was aber auch daran liegt, wie eben der politische Diskurs verläuft, welche anderen Themen Rolle spielen,
wie sich die Organisation selber entwickelt und
wie man sich zusammentut et cetera. Also, es ist nicht absolut regelmäßig, wie man das vielleicht von Geschäftsberichten oder anderen Berichten kennt, sie sind nicht gezwungen das jährlich raus zu bringen. Aber man hat schon, wenn man die Berichte liest, das Gefühl, sie wollen das tun, schaffen es aber auch nicht immer. Weil es,
ich vermute mal auch, ein Stück weit an Manpower fehlt. Es ist wie bei fast allen sozialen Geschichten in Deutschland, natürlich auch immer eine Frage des zu wenig Geld und nicht des
„Wohin mit unserem Geld?“.

Fabian:
[9:43] Auch wenn er nicht jährlich erscheint, gibt es eine gewisse Erwartungshaltung, dass er regelmäßig erscheint. Vielleicht können wir uns ja den Armutsbericht so irgendwie im Groben erstmal ein bisschen angucken, wenn es schon so ein bisschen im Titel steht.

Womit beschäftigt sich denn der Armutsbericht im Genauen? Jetzt kann man natürlich dazu sagen „Ja, Armut.“. Aber
welche Grundlage, also welche Definitionsgrundlage für Armut wird da eigentlich rangesetzt? Und was sind so die Außengrenzen? Armut in Deutschland. Armut in Europa. Womit beschäftigt sich der Bericht?

Nikolaus:
[10:12] Also der Bericht ist erstmal regional für Deutschland und dann noch mal für einzelne Länder.
Da äußert er seine eigenen Pfründe, dass er das kann, dass er regional differenzieren kann, auch in kleineren Kreisen. Immer mal wieder kreuzt das so auf bei den Betrachtungen, welche Regionen zum Bespiel besonders arm sind und dem gemäß handelt es sich um relative Armut. Also es geht nicht um ein absolutes Armutsmaß, wie man es jetzt von der WHO oder UNICEF kennt, wo quasi gesagt wird, ab dem Punkt ist ein Mensch auf der Welt wirklich arm dran.

Das wäre ja auch sehr schwer in einem relativ reichen Land, wie Deutschland, so zu argumentieren.
Also, es gibt bestimmt sehr sehr arme Personen in Deutschland, aber es gibt weitaus ärmere Personen auf anderen Kontinenten und in anderen Ländern, auch in Europa, und deswegen wird da mit einem relativen Armutsmaß die Handhabe gestaltet, was Armut ist, und natürlich wird quasi sowas wie eine Gegenstimme zur Regierung aufgebaut. Also, die Regierung veröffentlicht seit der grün-roten Koalition einen Armuts- und Reichtumsbericht.

Auch relativ regelmäßig, weil das eben gefordert wurde damals, und da versucht man eben eine Gegenstimme zu eröffnen und auf bestimmte Regionen hinzuweisen, auf bestimmte vielleicht auch Volkswirtschaftliche Prozesse, vielleicht auch eigene Theorien aufzustellen dazu.

[11:31] Ein gutes
Beispiel, was jetzt sehr metaphorisch ist in dem Bericht, ist die sogenannte Armutsspirale. Ein Problem, dass quasi eine Region immer weiter depraviert. Also Leute, die irgendwie Arbeit finden wollen, finden keine Arbeit.

Die ziehen dann weg. Da hast du an der Stelle Leute, die keine Arbeit haben, auf Leistungen angewiesen sind,
umgangssprachlich auf Stütze, und nun ist aber niemand mehr da, der diese Leistung für die Region erbringen kann und dann verschuldet sich die Kommune et cetera, Armut verstetigt sich immer weiter und wie so eine Spirale an der Stelle. Und da
sind sie natürlich auch an einem sehr interessanten Punkt, weil wir in Deutschland schon auch das Problem der Kommunalschulden haben,
[12:08] die regional sehr unterschiedlich verteilt sind, aber grundsätzlich vorhanden. Interessant ist, dass sie quasi da sagen,
das hat etwas mit mit der Kommunikation zwischen Kommune, Land und Regierung zu tun und wenn der Bund irgendwelche Armutsstatistik herausgibt,
dann kann der da natürlich mit einem sehr weiten Fokus drauf gucken und alles sehr unscharf stellen und dann erscheint Deutschland natürlich immer relativ reich.

Der Einzelne kann sich daran freuen, in einem reichen Land zu wohnen.

Definitionen Von Armut

Fabian:
[12:35] Also, wenn ich das mal so ein bisschen ganz kurz in einem Satz kondensieren möchte, könnte man halt sagen, Armut ist durchaus ein Problem, dass es in Deutschland gibt, aber es ist regional sehr unterschiedlich verteilt. Also, es gibt einfach Regionen, die deutlich stärker betroffen sind als andere.

Nikolaus:
[12:50] Ja, ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, Armut ist ein Problem, dass grundsätzlich immer existiert, wenn ich es relativ messe. Das ist die Kritik zumindest der meisten Statistiker, die sich mit Armutsquoten beschäftigen.
Das ist dann einfach immer eine Frage der Definition. Also, man kann quasi sagen, die Leute sind nicht arm, wenn es Subsistenz-Strategien beispielsweise gibt.

Also, für Nostalgiker der ehemaligen DDR, die stellen fest, niemand hatte
wahnsinnig viel Geld, aber es hat auch niemandem an etwas gefehlt. Insofern war die gefühlte Armut, wenn man jetzt mal so ganz subjektiv herangeht, nicht so groß.
[13:27] Das wäre ein Beispiel. Wenn man aber Armut als Mangel von Mitteln im Kapital basierten oder wirtschaftlich organisierten Gesellschaften definiert,
dann habe ich da schon mal quantifizierbare Größen und dann kann ich natürlich schon sagen, was absolut unterm Durchschnitt ist, ist quasi arm.
Also, da ist dann Mittellosigkeit vorhanden.
Ich würde sagen, sowas wo man sich in der Mitte treffen kann ist letztlich, sind so Begriffe wie Existenzminimum oder soziokulturelles Existenzminimum,
die auch quasi in der rechtlichen Definition entsprechen. Aber da müssen sich dann tatsächlich auch Gerichte mit beschäftigen, ob beispielsweise der bestimmte Hartz IV Satz unter diesem Existenzminimum ist. Da nimmt der Paritätische auch die Position durchaus ein und sagt, das ist unter dem soziokulturellen Existenzminimum.
Und wenn wir überlegen, es ist öfter mal in den Nachrichten, das ließt man so am Rande, wie quasi das Sanktionierungssystem von Hartz IV funktioniert,
wie die mir die Leistung gekürzt werden, erst um 20%, dann um 40 % und am Ende ganz. Weil ich mich nicht bewerbe, weil ich mich nicht zurückmelde etc.,
vor allen Dingen bei Jugendlichen passiert das, weil sie da noch nicht so eine Regelmäßigkeit haben. Da kann man ja schon sagen, das ist die Frage, ob das nicht schon am Existenzminimum vorbeigeht, wenn ich am Ende nicht mehr meine Miete, meine Heizung etc. bezahlen kann in einem Land in dem ich eben Geld brauche.
Fabian:
[14:41] Na, wenn man das natürlich schon unter dem Titel ‚Existenzminimum‘ führt und dann wegkürzt, dann bedeutet das im Prinzip, im Schluss ja eigentlich, dass man die Leute in ihrer Existenz angreift.
Nikolaus:
[14:52] Das ist zumindest die Argumentation der meisten sozial engagierten Menschen in Deutschland. Deswegen werden ja dann auch solche, ich sag mal, eher populistisch formulierten Sätze von Politikern „Kein Problem von Hartz IV mal zu leben“, so ungefähr, schon als ziemlich
angreifend wahrgenommen. Weil die Leute, die
unter diesen Zuständen leben – man stelle sich mal vor, es geht etwas kaputt, was mehr wert ist als so ein Hartz IV Satz, da muss man dann schon sehr lange sparen. Und dementsprechend hat man, wenn man lange Zeit
unter Hartz IV Bedingungen lebt, nicht mehr die Chance alles zu ersetzen und sukzessiv muss man seine Standards einfach immer weiter runter setzen. Das ist natürlich ein Problem, also
das interessiert vielleicht auch den ein oder anderen Zuhörer, der sein Studium beendet und durchaus erstmal mit einer Form von Arbeitslosigkeit leben
muss an der Stelle und nicht mehr von den Vorteilen studentischen Lebens profitiert. Also, wenn die Krankenkasse sich meldet etc.
und sagt, jetzt wollen wir aber mal ein bisschen Geld, da muss man ja natürlich irgendwie soziale Leistungen anmelden beim Staat und sagen „Könnt ihr das mal für einen Monat oder zwei oder drei so weiter bezahlen?“, aber wenn dir dann der Laptop kaputt geht, musst du schon deine Familie anhauen. Also das erfährt man dann relativ schnell am eigenen Leib
und das soll einen ja motivieren, sich Arbeit zu suchen tatsächlich und zu sagen, „Mensch, das nervt mich total“, aber wenn man in der Region lebt, in der das schwierig ist,
hast du ein Problem.
Fabian:
[16:11] Das funktioniert natürlich auch nur, wenn man ein funktionierendes Familiensystem hat, dass dann auch den Laptop tatsächlich irgendwie bezahlen kann. Also, das ist ja auch eine Voraussetzung, die nicht bei jedem gegeben ist.
Nikolaus:
[16:21] Ja, genau. Ich habe jetzt
quasi, also das Gedankenexperiment handelte von mir. Ich habe sowas, ein funktionierendes Familiensystem, und an der Stelle, also ich selber nach meiner Masterarbeit, habe ich das selber mal zwei Monate gehabt,
Arbeitssuche, und musste mich damit einfach auch am eigenen Leib damit auseinandersetzen. Hab die Gegenstände in meinem Umfeld betrachtet und dachte mir „Mensch,
bist schon ganz schön reich“ so gesehen, auch wenn das natürlich gemessen am deutschen Durchschnitt immer noch nicht
reich ist, absolut nicht. Es ist aber dennoch so, wenn man das vielleicht jetzt mal gerade in seinem Wohnzimmer machen will: Was ist denn da eigentlich mehr wert, als ein Hartz IV Regelsatz?
Und da kommt man schon zu bemerkenswerten Ergebnissen so und denkt sich „wow“, wenn man sich dann überlegt, dass es schon viele Menschen gibt, die Leistungen beziehen.
Fabian:
[17:05] Ich denke, maßgeblicher Kritikpunkt ist
auf der einen Seite sicherlich die Höhe der Leistungen, aber sicherlich auch diese sehr strenge Kontrolle und dieses
[17:17] sich sozial nackig machen, sein Einkommen, Vermögen und alles offenlegen. Das kann ja auch einfach sehr unangenehm sein.
Finden wir mal wieder ein bisschen zurück zum Armutsbericht. Vielleicht kannst du ja erst noch mal kurz zusammenfassen, auf welchen Daten dieser Bericht eigentlich beruht und am Ende dann auch zu, welchen Schlüssen der so in der letzten Zeit gekommen ist.

Der Armutsbericht

Nikolaus:
[17:40] Die Zahlen stammen von den statistischen Landes- und dem Bundesamt für Statistik tatsächlich. Also, es sind verschiedenste Zahlen, die da verwendet werden, vom Staat erhoben. Und auf Basis
dieser Zahlen wird dann
versucht zu argumentieren. Ich habe das in meiner Masterarbeit eine medial verbreitete Stellungnahme zu Armut in Deutschland genannt. Ich habe bewusst darauf verzichtet, es Gegendarstellung zu nennen, weil es eben eigene Stellungnahmen
sind, die sie treffen, eigene Positionen und die sind nicht immer entgegen der Position, die von der Bundesregierung getroffen wird, sondern es werden eigene Stellungnahmen formuliert. Und wer jetzt denkt,
das ist ganz schön krass, auf 52 Seiten nur Tabellen: so ist es nicht, es sind verhältnismäßig wenig Tabellen für 52 Seiten. Es sind auch
Diagramme, aber vor allen Dingen ist es das geschriebene Wort. Also, wenn ich etwas medial verbreiten will, muss ich mich natürlich bestimmten Zwängen unterordnen, die das Medium fordert,
Das istim Internet zugänglich als PDF, dann an der Stelle runterladbar
für jeden, den das gerade interessiert. Und da ist viel auch geschrieben einfach an der Stelle. Es ist kein schweres Deutsch, also man kann sich damit durchaus mal beschäftigen und dann sind es nicht nur Daten, die quasi hochaktuell sind, sondern dann werden auch Trends
im Grunde entwickelt, also Zahlen über längere Zeiträume betrachtet. Und wenn man das jetzt sehr freundlich formulieren möchte, dann könnte man sagen, im Grunde

[19:09] hat man die Möglichkeit die Selektivität von statistischen Daten zu betrachten. Man hat im Grunde eine Gegenposition manchmal zur Bundesregierung und der Vorwurf ist:
„Hah, die Bundesregierung selektiert da sehr positiv, das heißt Armuts- und Reichtumsbericht damit wir uns nicht so arm fühlen oder die Bundesregierung ihre eigene Politik positiv darstellen kann!“.
Ist ja ihr gutes Recht. Damit hat man quasi die Gegenstimme, die sagt „so ist das nicht“ und ich sag mal, wer ein bisschen Erfahrung in politischen Diskursen hat, dann weiß man, dass es nicht DIE Wahrheit gibt,
sondern es eher ein Wahrheitsfindungsprozess ist. Und deswegen kriegt man ein Gefühl für Selektivität von statistischen Daten. Also,
man kann das auf ganz ganz viele Arten kritisieren, aber ich glaube, das ist so die roheste Form der Kritik, dass wenn man zwei Positionen hat, die Unterschiedliches behaupten, sogar auf Basis der gleichen Datensätze, dann kommt man erstmal ins Fragen.
Das ist natürlich sinnvoll, wenn man sich überlegt, dass Spitzenverbände ja letztlich auch zu bürgerschaftlichem Engagement anregen sollen und irgendwie auch demokratische Forderungen für den Start aggregieren sollen.
Denn das löst das ja aus.

Fabian:
[20:13] Das ist ja auch schon mal eine grundlegende, spannende Erkenntnis, dass auf Basis der selben Daten im Prinzip dann doch erheblich andere Schlüsse gezogen werden können. Man muss sich ja immer ein bisschen die Frage stellen:
Wer ist der Adressat und was ist das Ziel?

Nikolaus:
[20:31] Ja, bei Öffentlichkeitsarbeit grundsätzlich, ja.

Fabian:
[20:35] Und dann stelle ich dir die Frage doch einfach mal. Wer ist denn eigentlich der der Adressat des Armutsberichts? Für wen wird der geschrieben? Du hattest ja schon gesagt, der wird veröffentlicht – wir verlinken da auch die letzten Armutsberichte.

Nikolaus:
[20:46] Also, grundsätzlich richtet sich ja so die Organisation der Wohlfahrtspflege erstmal an jeden und wenn man sich organisationssoziologische damit
beschäftigt, kommt als allererstes mal im Neo-Institutionalismus – das ist so die Theorie, die meinem Denken da zugrunde liegt – der Begriff Anspruchsgruppen. Also
Leute, die bestimmte Ansprüche an die Organisation haben und da kann man ja dann erstmal überlegen, welche Ansprüche sollen da von der Organisation befriedet werden.

[21:16] Und grundsätzlich kann man natürlich antworten: „Das ist eine deutschlandweit agierende Organisation, Armut geht jeden was an“. Das ist ganz
offen formuliert, vom Paritätischen so das Ziel: „Jeder möge diesen Bericht mal so gelesen haben, besonders diejenigen, die an entsprechenden Schaltstellen sitzen“. Wenn man ein bisschen genauer analysiert stellt man fest, dass dieser Armutsbericht,
was die Öffentlichkeitsarbeit und eben genau die Anspruchsgruppen angeht, natürlich erstmal hinsichtlich seiner Wirkung
analysiert werden kann. Und dann kann man sagen, dass dieser Bericht neben
der grauen Masse, die sich ein Bild machen soll, ins Innere der Organisation wirkt. Also beispielsweise Professionelle, die für den Träger arbeiten können sagen „Hah,
die Organisation, für die ich arbeite – mein Arbeitgeber – scheint eine Expertise im Umgang mit einem sozialen Problem zu haben,
die er hier statistisch beweißt“. Wenn man weiß, dass eine Organisation der Wohlfahrtspflege sich mit der Erbringung von sozialen Leistungen beschäftigt und

weiß, wie sie das tut, gibt’s natürlich auch Betroffene, denen gewissermaßen eine Stimme verliehen wird. Also Leute, die in besonders armen Regionen leben, haben die Chance

[22:26] gleich mal nachzulesen, dass das nicht nur irgendwie subjektiv individuelles Schicksal ist, sondern an der Stelle ein strukturelles Problem. Und das
aktiviert die natürlich, würde ich sagen, anders, als wenn sie jetzt in ihr eigenes Portemonnaie gucken und ständig ein schlechtes Gefühl dabei haben oder der Professionelle ihnen sagt,
es ist ein soziales Problem, von dem du gerade mal betroffen bist. Also, es ist eine Art Empowerment für die Leute, so kann man das verstehen. Dann gibts natürlich Ehrenamtliche,

die zu einem großen Teil erstmal motiviert werden müssen. Warum machen Sie Ihr Ehrenamt freiwillig? Und wenn Sie das Thema Armut bewegt, oder sie eine eigene Vergangenheit oder irgendwelche Berührungspunkte dazu haben,
haben sie wieder die Chance zu sagen, dieser Träger, dieser Spitzenverband beschäftigt sich tatsächlich damit. Er thematisiert da ein soziales Problem.
Das ist so das, wie wie es nach innen wirkt an der Stelle. Und dann, würde ich sagen, wird es auch interessant wenn man guckt wie der nach Außen wirkt. Der Armutsbericht berührt nämlich auch die Arbeit der anderen Träger
und natürlich der Leute, die für die anderen Träger arbeiten. Denn wenn jemand sagt „Übrigens sind wir die Ersten, die immer davon reden und dieses Problem ist da und niemand thematisiert das richtig“,
dann können die natürlich innerhalb ihrer Organisation nach oben fragen „Ist das so?“ und „Warum spielt dieses soziale Problem bei uns so eine geringe Rolle?“
[23:49] Das ist natürlich eine sehr breit definierte Anspruchgruppe.
Das stelle ich mir auch wirklich schwer vor, alle diese Interessierten, möglicherweise auch Involvierten, gleichermaßen angemessen anzusprechen, oder? Erfüllt dieser Armutsbericht denn auch diesen Anspruch: einerseits,
ja, ein fachlich entsprechendes Niveau zu erfüllen,
dass man sagt jemand der sich professionell mit dem Thema beschäftigt kann das gut als Arbeitsgrundlage nehmen. Und auf der anderen Seite, ist es
von der Formulierung, von der Schreibweise, von der Darstellung her so verständlich, dass auch Laien, die möglicherweise betroffen sind oder die Betroffene
im Angehörigenkreis haben, dass sie trotzdem auch daraus ihre Schlüsse ziehen können, ohne irgendwie fehlgeleitet zu werden?
Nikolaus:
[24:36] Ich kann es jetzt nur nur subjektiv bewerten. Wie einfach ist die Sprache die da drin verwendet wird? Ich hatte das Gefühl ich habe alles verstanden.
Fabian:
[24:45] Jetzt bist du natürlich auch kein Laie.
Nikolaus:
[24:46] Genau, deswegen. Also ich hab den analysiert und natürlich mir auch Gedanken darüber gemacht, könnte man gucken wie kompliziert die Sprache ist, aber ich bin kein Sprachforscher in dem Sinne.
Ich habe aber schon geguckt, ja, wie plakativ oder wie vereinfacht wird ein soziales Problem dargestellt und das ist natürlich
ganz, ganz zentral. Also ich habe geguckt, wie überhaupt werden soziale Probleme thematisiert. Und da forscht[25:14] Axel Grönemeyer sehr doll zu. Und der sagt mit der Thematisierung von sozialen Problemen geht’s meistens schon da drum irgendwie eine bestimmte Strategie
oder bestimmten Ressourcenzufluss zu legitimieren in unserer Gesellschaft und das funktioniert sehr gut, sehr häufig
– so ist seine Beobachtung – über Skandalisierung und Medialisierung. Und da sind wir dann letztlich genau da, dass bestimmte Zwänge eben wieder wirken. Wie kriege ich etwas skandalisiert? Wie kriege ich etwas
für die Medien interessant gemacht an der Stelle? Und wenn man dann so ein bisschen in Öffentlichkeitsarbeits-
Theorien schaut, gibt’s da so eine sehr prägnante Unterscheidung zwischen Informationskampagne und Mobilisierungskampagne. Diese Unterscheidung existieren natürlich
meistens nur theoretisch. Niemand macht nur das eine oder das andere. Also, die Definition wäre:[26:02] Bei der Informationskampagne tritt quasi die Organisation hinter das Sachthema. Bei der Mobilisierung geht’s natürlich um irgendwie so einen

emotionalen Pathos-Moment, da müssen wir jetzt alle mitmachen und wir sind alle zusammen
stark. Der Armutsbericht entspricht beidem an der Stelle und steht deswegen ein wenig für sich. Man hat das Gefühl, klar wird da was vereinfacht,
aber andererseits ist ’ne Masterarbeit da quasi notwendig aus meiner Sicht, um zu zeigen, dass es da auch schon um Inszenierung geht und zwar so ein bisschen zwischen den Zeilen, wenn man es mal
sehr vereinfacht darstellt. Weil wenn wir uns überlegen, dass das eine Organisation ist, die da sich darauf beruft
Fremdinteressen sozialanwaltschaftlich zu vertreten, zu sagen, „Hier, das sind Betroffene, denen geht’s nicht gut.“,
dann wäre das natürlich sehr kontraproduktiv was die Botschaft angeht: das eigene Bemühen zu sehr im Vordergrund zu haben, sich als Organisationen wahnsinnig toll und effektiv darzustellen. Das heißt, es ist ein Balanceakt
dazwischen: wie kriege ich es hin, die armen Leute

[27:04] in den Vordergrund zu stellen und gleichermaßen zu sagen, „Ja und übrigens, wir haben die Expertise“? Und das ist auch wieder ein Punkt der Kritik
von anderer Seite, dass gesagt wird: „Das ist überhaupt nicht, dass ihr irgendwie Armut zum Thema machen wollt, sondern ihr macht das aus unterschiedlichen organisationsinternen Gründen, weil ihr“, also
von anderer Organisation gesprochen, „ein viel zu heterogener Haufen seit, eure Weltanschauung ist nicht gemeinsam etc. Und das macht ihr deswegen! Ihr setzt euch auf ein Thema drauf und tut so, als hättet ihr das jetzt erfunden, aber
so schlimm ist es gar nicht beispielsweise“, ist ein beliebte Kritik. Oder „das ist populistisch, das macht man nicht mit armen Menschen“, ist auch eine
Kritik von Seiten der Caritas gewesen. Genau, also das ist, erfordert schon eine sprachliche Analyse, um das dann letztlich so herauszustellen. Also insofern,
er ist einfach formuliert, aber die hintergründige Botschaft ist natürlich ein bisschen komplizierter, würde ich sagen.

Fabian:
[27:58] Wenn man sich die Wahrnehmung des Armutsbericht anguckt
Und wenn man das vor allen Dingen vielleicht auch ein bisschen nur sehr oberflächlich betrachtet, dann bekommt man dann schon sehr schnell den Eindruck, dass der
Armutsbericht, das ist so der Ist-Zustand, und das ist so, und das dokumentiert, wie es um die Armut steht.
Jetzt hast du in deinem Beitrag aber gerade so ein bisschen erläutert, da steckt auch so ein bisschen, ich sag mal Eigenwerbung mit drin.

Nikolaus:
[28:26] Ja, is ja Öffentlichkeitsarbeit, ne?

Fabian:
[28:28] Da ist ja dann fast der Titel so ein bisschen
irreführend. Also, sowas würde man ja, wenn überhaupt, eher unter dem Titel, weiß ich nicht, ‚Positionspapier‘ oder ‚Meinungsdarstellungen‘ oder so vermuten. Kann man das dann vielleicht ein bisschen auch als, mal ganz bösartig gesagt, als Irreführung verstehen?

Nikolaus:
[28:47] Jein, also der Armutsbericht als solcher ist erstmal der, der feststehende Titel, der vor jedem Ding
steht, was sie veröffentlichen. Aber zu jedem Titel, zu jedem Armutsbericht gibt es im Grunde so eine Überschrift, die schon, würde ich sagen,
reißerisch ist. Also man liest „…..Bericht“

[29:10] und dann steht dahinter „Deutschland vor der Zerreißprobe“. Das ist natürlich schon, ich sag mal, sprachlich
schon ordentlich, sage ich mal. Das ist schon die Wortwahl ‚Zerreißprobe‘. Das wird auch durchaus in dem Bericht weiter aufgenommen, dass Deutschland extremen Fliehkräften ausgesetzt ist. Also, da wird so mit so einem metaphorischen Gehalt das verkauft, was da statistisch passiert. Als würde sich Deutschland wie ein Karussell ganz schnell drehen, alles ist irre dynamisch und wir drohen alle zu zerreißen.
Und mit dem Wort „Zerreißprobe“ hast du ja dann auch noch, dass jemand das ausprobiert, wie haltbar ist das soziale Gefüge.
Das ist für eine Interpretation wahnsinnig interessant, das sprachlich anzugucken, aber ich würde sagen, auf den ersten Blick denkt man sie schon „Nanu,
so schlecht geht’s uns vielleicht noch gar nicht, dass wir von einer Zerreißprobe reden müssen“. Das
empfindet man wahrscheinlich so auf akademischem Niveau, ich sag mal, am einen Ende der Nahrungskette als polemisch, als populistisch oder irgendwie skandalisierend.
Von der anderen Seite, denke ich mir aber auch ist das Thema als soziales Problem durchaus emotionsbesetzt. Ist vielleicht auch genau die Absicht des Paritätischen da an der Stelle eben

[30:23] den Punkt etwas weiter heraus zu kehren. Und letztlich geht’s gar nicht da drum, sich selbst nur positiv darzustellen, sondern quasi sich selbst mit Profil zu inszenieren. Da geht’s um Resonanz und das
würde auch Grönemeyer, würde ich sagen, durchaus unterstützen, dass wenn es dazu kommt ein soziales Problem
zu thematisieren, geht’s überhaupt erstmal in einem demokratischen Staat auch um den Diskurs. Und einen Diskurs eröffnet man oder hält
ihn am Leben sehr gut, in dem man kontroverse Positionen einnimmt, das teilweise auch zielgerichtet.

Ich glaube ein anderer Titel war auch noch „Die zerklüftete Republik“, also ich bin mir jetzt gerade nicht 100% sicher, es sind ja einige Armutsberichte veröffentlicht. Man kann sich das echt angucken. Da gibt’s schon tolle Titel.

Fabian:
[31:06] Da wird schon immer mit einer sehr eindeutigen Metaphorik gearbeitet und das sehr bildlich dargestellt.
Ich meine, das ist ja im Politischen durchaus verbreitet, dass man mal eine starke Headline raushaut, mitunter dann vielleicht sogar im Folgenden auch ein bisschen relativiert oder dann halt
noch in dieser Richtung weiter fährt. Ich würde vielleicht auf dieses Stichwort ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ noch mal eingehen. Das ist ja erstmal ein bisschen,

Öffentlichkeitsarbeit Und Wohlfahrt

[31:34] das ist kein so ganz intuitiver Gedanke, dass man sagt, der Armutsbericht ist jetzt ein Element von Öffentlichkeitsarbeit.
Was verstehst du denn unter diesem Begriff?

Nikolaus:
[31:46] Also ich hab
meine Definition einfach mal mitgebracht, weil das zu dem Arbeitsprozess gehörte da hinzukommen. Öffentlichkeitsarbeit wurde in meiner Masterarbeit so definiert, dass darunter jegliche Information der Umwelt einer Organisation, also das
Umfeld, zum Beispiel gegenüber Mitgliedern, Vertragspartnern, Fördermittelgebern und Konkurrenten nach innen und außen verstanden werden soll. Und zwar auch insoweit, als dass dadurch das Missfallen von Rezipienten ausgelöst wird
oder sogar werden soll und möglicherweise eben im Sinne einer kontroversen Diskursstrategie
ausgelöst wird. Und deswegen sind auch negative Auswirkungen auf das Ansehen einer Organisation als Öffentlichkeitsarbeit zu betrachten.

[32:26] Und die Gleichzeitigkeit von positiven und negativen Auswirkungen einer so verstanden Öffentlichkeitsarbeit, liegt eben bei der Profilierung durch die Zurschaustellung einer klaren Haltung einfach nah. Und

ich habe schon lange drüber nachgedacht, jetzt wird es von mir ein wenig vielleicht polemisch und vereinfachend, aber wir kennen das durchaus auch im Alltag, dass das durchaus mal funktioniert, wenn man sich, sag ich mal, nicht nach
Moral und Sitte öffentlich verhält, dass man trotzdem irgendwie in aller Munde ist und erstmal Profil gezeigt hat. Das kennt man durchaus! Wenn ihr mal,
also der Zuhörer, wenn der mal in seinem Umfeld fragt „Kennst du Dieter Bohlen?“, wird er ziemlich sicher dazu kommen, dass ihn alle kennen,
aber, ich würde sagen, die Wenigstens richtig sympathisch finden an der Stelle, weil der sich eben sehr lange profiliert hat als jemand, der, denk ich mal, nicht der sympathischste Mensch ist. Trotzdem hat er es geschafft bekannt zu werden und irgendwie Profil zu zeigen

[33:20] und auf Basis dessen natürlich auch irgendwie einen wirtschaftlichen Erfolg erzeugt. Und solche Beispiele schleichen sich natürlich in so, ich sag mal,
eher Skandal umwitterten Medien viel häufiger durch, als in anderen. Aber ich würde auch sagen, Thilo Sarrazin baut ein Stück weit Selbstvertrauen

[33:38] und ein Stück weit irgendwie Motivation seiner Autorenschaft darauf auf, dass er sehr kontroverse Thesen aufstellt, die
sehr widerspruchswürdig sind, so gesehen, aber er gehört wird so ungefähr. Also,
ist so meine Definition für Öffentlichkeitsarbeit. Da werden wahrscheinlich viele Medien- und Kommunikationswissenschaftler sagen „Nein, so habe ich das nicht gelernt“, aber
mir hat das sehr geholfen in der Erarbeitung des Armutsberichtes. Wohlfahrtsorganisationen
haben eben das Problem, dass sie sich nicht zu doll in den Vordergrund stellen dürfen, also nicht primär nur, weil sie sowas wie „Hey, hier sind wir sind voll gut.“-Werbung machen dürfen, sondern das immer, sag ich mal, an einen bestimmten Anlass knüpfen sollten.
Entweder ihr Handeln und Tun und Wirken
in der Gesellschaft oder anhand von sozialen Problemen, Betroffenen etc. Und da spielt dann auch die Organisationsstruktur selber rein. Also, womit beschäftigen die sich am meisten
und ihre arbeitenden Mitglieder.

Fabian:
[34:38] Also du hast so ein bisschen den, ich sage mal, intellektuellen Kniff gemacht und gesagt, Öffentlichkeitsarbeit muss nicht immer
dazu führen, dass man sich selbst extrem positiv darstellt, sondern erst mit einer relativ breiten Definition angefangen und gesagt,
alles was Öffentlichkeit generiert, in einem gewissen Stil, in einer gewissen Art,
gehört zu dieser Kategorie ‚Öffentlichkeitsarbeit‘. Und dann, ja, gehört dann plötzlich auch sowas wie kräftig auf den Schlamm hauen,
Skandale provozieren und auch sehr streitbare Thesen in die Öffentlichkeit tragen dann auch einfach mit dazu. Also, dass man halt sagt,
das ist zwar vielleicht nicht unbedingt eine positive Selbstwerbung, trotzdem
ist es Öffentlichkeitsarbeit im Verständnis eines ‚wir generieren Öffentlichkeit für uns‘.

Nikolaus:
[35:34] Ja, du hast jetzt das Wort ‚intellektueller Kniff‘ verwendet, das gefällt mir sehr, weil ich genau daran ansetzen kann und sagen … also das ist ein Vorwurf, da habe ich mir lange drüber Gedanken gemacht. So das kann man sehr kritisch sehen, wenn jemand anfängt irgendwie an schon definierten
Gegenständen herumzudoktern. Ich kann das aber schon, ich sag mal, begründen daran, dass es mir darum ging zu sagen, ich möchte hier nicht
zeigen, dass der Armutsbericht sich
perfekt als Öffentlichkeitsarbeit in das, was schon vorhanden ist an Öffentlichkeitsarbeit, hineinpasst. Die Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen der freien Wohlfahrtspflege ist relativ wenig ausgeprägt,
es wird aber immer stärker in einer Gesellschaft notwendig, dass man das macht.
Und dann kam hinzu, dass ein Gutteil der Analyse auch davon handelt, dass hier eine Organisation Einfluss auf das bisherige, auf die auf die bisherige, übliche Praxis der Öffentlichkeitsarbeit Einfluss nimmt. Und
natürlich kommt man zu
ganz anderen Schlussfolgerungen, wenn man quasi mit einer engeren Schablone von Öffentlichkeitsarbeit herangeht und sagt „Das ist es“, und wenn jemand aber Einfluss auf das gesamte Spiel, auf die Spielregeln schon nehmen will, dann muss man sich schon hinterfragen „Ist diese Schablone denn tatsächlich so wirkungsvoll
in der Analyse?“. Und so kam ich genau dahin,

[36:51] also, wirklich nach einer sehr eingehenden Analyse festzustellen: „Ok, das funktioniert nicht nur so, dass hier quasi klassisch Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird, sondern letztlich fordern die auch die Öffentlichkeitsarbeit der anderen Mitspieler
auf, die sich bisher an bestimmte Spielregeln gehalten haben“. Und wenn jetzt jemand anfängt zu sagen „Nee ganz anderes Thema,

[37:13] soziales Problem X!“, da müssen die Anderen reagieren, weil die hier gefragt werden: „Sagt mal, was sagt ihr denn dazu, zu den Stellungennahmen etc.?“. Und dann kommt es dazu, dass die natürlich sagen „Was der Paritätische sagt, ist nicht korrekt!“.

[37:24] Aber grundsätzlich freut sich der Paritätische als kleinerer Spitzenverband wahnsinnig drüber, dass ein anderer Träger seinen Namen verwendet in seiner eigenen Öffentlichkeitsarbeit. Und
das bringt einen dann so ein bisschen eben zu diesem, ja, jetzt mal wirklich ganz flach gesagt, ‚Dieter Bohlen Effekt“. Es geht auch darum, die anderen abzuschrecken und ein Stück weit
ein Exempel öffentlich zu sein für irgendetwas.

Fabian:
[37:48] Im Sinne eines ‚man kann nur etwas kommentieren, wenn man sozusagen auf die originale Quelle auch hinweist‘. Also, ich kann nichts kommentieren, was nicht bekannt ist. Und wenn ich sage“Der Armutsbericht ist falsch!“ habe ich automatisch auch auf den Armutsbericht hingewiesen und auch
Neugierde vielleicht erzeugt oder Interesse an dem Ganzen.

Nikolaus:
[38:08] Was das angeht, ist denen das gelungen, also das muss man sagen! Ich habe mir die Reaktionen in der äußeren Umwelt der Organisationen angeguckt und festgestellt, ja, es gibt eigentlich von jedem Spitzenverband seitdem,
seit den Thematisierungen des Paritätischen irgendwie eine Stellungnahme dazu und teilweise in den großen Zeitungen. Also in der FAZ gibt’s
wirklich lange Beiträge dazu, wie jetzt diese Statistik zu werten sei etc. Und da kommen eigentlich ganz andere Leute zu Worte, aber
mit etwas weiter gestelltem Focus hat man nicht das Gefühl, dass die da jetzt eine neue Botschaft verkünden, sondern eigentlich nur die ganze Zeit drauf rumreiten, was der andere sagt. Und
wenn es mir um Aufmerksamkeit geht und ich patsche aufs Wasser und es soll Wellen schlagen, dann muss ich ein bisschen in Kauf nehmen, dass ich auch etwas ins Gesicht davon kriege, also,
ich ein paar Spritzer abkriege. Aber grundsätzlich, freue ich mich, wenn andere über die Wellen sprechen, die ich hinterlasse an der Stelle.

Fabian:
[38:57] Du hattest ja auch gesagt das hat gerade bei den anderen Wohlfahrtsverbänden, wir hatten die vorhin ja schon so angeteasert,

Wohlfahrtsverbände In Konkurrenz Und Koalition

[39:04] Caritas, Diakonie, rotes Kreuz, für erhebliche Kontroverse gesorgt. Vielleicht kannst du ja nochmal so darstellen, woran die sich denn so gestört haben.
Erstmal würde man ja denken, „Na, der Armutsbericht macht auf Armut aufmerksam.
Was soll die Caritas daran schlecht finden?“. Also, die arbeitet ja nun auch im sozialen Bereich. Hat die jetzt was dagegen sich für Arme einzusetzen?

Nikolaus:
[39:31] Also, da muss man vielleicht auch ein bisschen weiter ausholen. Und zwar, ich hatte auch am Anfang gesagt, dass diese Spitzenverbände in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohlfahrt zusammensitzen und
die bisherige oder bis dahin existierende Routine war, dass man sich gemeinsam auf Standpunkte einigt, weil man
eben in dieser Koalition ein größeres Stimmgewicht hat, man hat einfach mehr Leute im Boot. In dem Fall war das so, dass der Paritätische damit ein bisschen gebrochen hat und seine Konkurrenz zu den anderen Trägern – sie leben eben in Koalition und Konkurrenz –
überbetont hat, könnte man sagen, und einfach gesagt hat, wir preschen jetzt vor und suchen uns hier das Thema und können unter Umständen damit Bewegung ins gesamte Feld, ins gesamte Gefüge bringen. Und so von diesem organisationssoziologischen
Standpunkt aus gesprochen, wenn man in der Wohlfahrtspflege schaut, hat denen das natürlich nicht unbedingt gefallen, dass da jetzt jemand einfach mal los schießt.
Die inhaltliche Kritik bezog sich dann natürlich darauf, dass Armut nicht skandalisiert gehört, der Umgang nicht populistisch derart gemacht sein soll.
Das wiederum mit dem Populistischen knüpfte sich häufig daran, dass die Statistiken nicht differenziert genug seien, man könnte das eben auch widerlegen und wenn man jetzt seit,

[40:47] sag ich mal, dem ersten Abebben einer solchen Kritikwelle guckt, stellt man fest, dass alle natürlich dazu Stellungnahmen formulieren, zu Armut in Deutschland als soziales Problem. Das heißt, das Problem wird wahrgenommen, trotz der anfänglichen
‚Skandalisierung‘ – in Anführungszeichen natürlich – und das ist durchaus auch zu anderen, also Verschiebung von Bündnissen kam. Also, dass der Paritätische zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt ein Bündnis
gründet, na nicht gründet, aber die zusammen eins bilden, noch mit ganz anderen Organisationen und dass auch in dem Armutsbericht dann verkündet wird „Hey, durch unsere Thematisierung, zack-bumm,
kam es zu diesem Bündnis, voll wichtig.“. Und das verschiebt natürlich einfach das gesamte organisationale Gefüge. Das bringt Dynamik rein
in so ein organisationales Feld. Und wenn man eben sieht, dass diese Spitzenverbände einerseits in einer Koalition sind um ihr Stimmgewicht zu erhöhen,
dann befinden Sie sich gleichzeitig eben auch in Konkurrenz, nämlich was den Ressourcen-Zufluss angeht. Die werden ja staatlich gefördert und an der Stelle ist natürlich für jede einzelne Organisationen
wichtig
den Ressourcen-Zufluss zu erhöhen. Und wenn ich weiß, der andere kriegt mehr als ich, kann ich ja mal versuchen irgendwie Bewegung reinzubringen und wenn ich am unteren Ende der Nahrungskette stehe, sind mir mehr Strategien gibt als
Demjenigen, der oben steht und diesen Status ‚Quo‘ vielleicht erstmal stabilisieren will, erhalten will.

Fabian:
[42:08] Also, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann war innerhalb dieser Gruppe, dieser Spitzengruppe, was ja im Prinzip die großen Akteure im Sozialsystem sind, der Paritätische eher der kleine Player, also so ein bisschen.

Nikolaus:
[42:22] Schon immer, ja. Ja, also organisationshistorisch, klar. Das liegt an einer spezifischen Organisationsstruktur. Also Caritas und Diakonie assoziiert man natürlich mit
Religion, mit dem Christentum
an der Stelle. Das ist ja auch in Deutschland mit Abstand die verbreitetste Religion und daher haben die auch tatsächlich die meisten Mitglieder und haben natürlich noch mal so eine
organisationstechnische Stütze, die schon erheblich ist mit der Kirche. Also, da wird Ehrenamt wahnsinnig drüber generiert und man zieht natürlich ideologisch und weltanschaulich ganz viel daraus. Also Nächstenliebe,

[42:59] aktiv machen etc., das sind Punkte, das ist einfach gut vereinbar. Und es geht, ist ja auch historisch
wahnsinnig gewachsen. Dann haben wir die Arbeiterwohlfahrt mit so einer starken SPD-Sozialisierung, Arbeiterbewegung, auch da hast du eine sehr große Anspruchgruppe, einfach. Und der Paritätische selber hat, wenn man
andere Studien dazu liest, lange damit gerungen, quasi eigene Weltanschauung oder eigenes Profil an der Stelle zu zeigen.
Häufig funktionierte das in Abgrenzung zu den Anderen, zu sagen, wir sind ein weltlicher Träger,
also wir sind nicht religiös, wir konzentrieren uns ganz doll auf Professionalität, aber das ist natürlich, wenn ich Leute dazu gewinnen will, nicht unbedingt immer
absolut wirkungsvoll zu sagen, das und das sind wir auf alle Fälle nicht. Oder „wir sind
weltlich und professionell“, wo erstmal der Beweis zu erbringen ist, warum die anderen das weniger sind. Und da hat man dann Ende der 80er ganz verbandsstrategisch überlegt „Wie kriegen wir das hin einerseits unseren
weniger fest zusammenhängenden Verband im Vergleich zu anderen

[44:12] zusammenzuziehen, also die Leute alle unter den Hut einer gemeinsamen Idee zu bringen; und nach außen natürlich auch wahrgenommen zu werden?“. Und just, da fing das dann auch an, dass man
Veröffentlichungen, Stellungnahmen zu dem Problem der Armut in Deutschland gemacht hat und da hat Stefan Pabst sehr interessant zu geforscht. Er hat dann tatsächlich Leute aus dem Vorstand etc gefragt, wie das so dazu kam – Armutsbericht und diese Armutspolitik, sich
für die Armen sozialanwaltschaftlich einzusetzen – und hat das auch sehr interessant verglichen mit anderen Trägern. Aus dieser organisations-soziologischen Sichtweise erscheint das natürlich erstmal wie
relativ willkürlich gewählt das Thema, aber grundsätzlich hängt das auch damit zusammen
wie sich der Paritätische zusammensetzt, also mit stärkeren, betroffenen Vereinen, die sich da eben in diesem paritätischen eher mal befinden.
Quasi aus dieser Gemeinsamkeit, dass sie woanders nicht unterkommen,
gemeinsam eben Kraft zu schöpfen. Und bis heute – würde ich sagen – betont der Paritätische das auch, neben seiner großen Konzentration auf Professionalität. Eben aufgrund der Tatsache, dass man nicht irgendwie an ein Weltbild andockt, sondern sagt,
„Was wir haben ist vor allen Dingen irgendwie die Bereitschaft, eine personenbezogene Dienstleistung ernst zu nehmen und keine Hindernisse in Kauf zu nehmen“.

Fabian:
[45:32] Dem Paritätischen fehlte so ein bisschen das Label, das eigene Etikett. Caritas, das sind die Christen. Arbeiterwohlfahrt, das sind die Arbeiter. Und jetzt ist der Paritätische, das sind die mit dem Armutsbericht. Und dann weiß man gleich, wer das ist.

Nikolaus:
[45:46] Die Armen, ja.

Fabian:
[45:48] Ich hatte vorhin ja schon so ein bisschen eingegrätscht und gesagt, na, das waren sozusagen die Kleinen, und mit diesem Armutsbericht haben sie quasi versucht so ein bisschen aus dieser Schattenrolle herauszutreten – aus diesem Schattedasein. In
Relation beispielsweise eben zur Caritas, eher die zweite Reihe vielleicht und hat sich dann so vielleicht auch eine, ja, Position in der ersten Reihe erarbeitet?

Nikolaus:
[46:10] Also, da sind wir gerade wieder so an dem, an dem Punkt, wo man darüber streiten kann, ob ne
Öffentlichkeitsarbeit immer auf positive Effekte zielt und ob diese kausalen Zusammenhänge „Wenn du A machst, wirst du B erreichen auf alle Fälle“, ob das immer hinhaut.
Wie ich schon gesagt habe, ich glaube, dass wenn man am unteren Ende der Nahrungskette steht, dann interessiert man sich für Dynamik im Feld.
Und letztlich geht es auch mit der zugrundeliegenden Theorie ganz häufig darum, diese Dynamik
zu zeigen … also nicht so, so Gesetze aufzustellen, wie das ist mit Öffentlichkeitsarbeit und wie das ist mit solchen Organisationen, sondern eben nachzuzeichnen, dass das einer grundsätzlichen Dynamik unterliegen kann.

Fabian:
[46:50] Dieser Konkurrenz Begriff an der Stelle ist ja auch erstmal ein bisschen, fast schon verwunderlich, dass man sagt, so eigentlich müssten die ja darauf erpicht sein, wirklich eng miteinander zusammen zu arbeiten und trotzdem ist es natürlich eine Interessen- und Gemengelage.

Nikolaus:
[47:04] Die aber auch nicht zu doll nach außen getragen werden kann, weil natürlich jeder Politiker, der irgendwie kürzen möchte oder eine bestimmte Strategie politisch wählt,
der kann die ja auch gegeneinander ausspielen. Also, sie sind gezwungen zusammenzuarbeiten und gleichzeitig kommt da jemand und sagt, „Ne, an der Stelle machen wir das mal nicht.“. Also, das ist einfach ein interessanter Moment.

Fabian:
[47:24] Auf der einen Seite sicherlich auch die politischen Entscheidungsträger, aber auf der anderen Seite ja auch die Bevölkerung … also, wie will man der denn verständlich machen, dass quasi das Rote Kreuz und die Caritas gegeneinander für die Armen sorgen. Also, das macht ja gar keinen Sinn.

Nikolaus:
[47:37] Richtig, richtig, richtig. Also, ich könnte jetzt noch, sag ich mal, die direkten Ergebnisse z.B. nennen, wo da Bewegung ins Feld gebracht wird, was quasi an
schon vorhandene Forschungsergebnisse oder ein Theoriekonstrukt anschließt. Damit habe ich mich in der Arbeit auf die Herren Lawrence und Suddaby bezogen, die an bestimmten rhetorischen Mustern oder bestimmten Bewegungen einer Organisation im Feld, also
anhand der Bewegung aller Akteure, die betraut sind mit einem bestimmten
Ziel, was Organisationen haben, was sie da festgemacht haben. Das wäre der erste Punkt, so, Einfluss auf
‚advocacy‘ nennen die das, so eine Art Gesetzgebung – da geht’s nicht jetzt rein um die absoluten Gesetze, also nicht nur was erlaubt ist, sondern auch, was

sanktioniert wird. Also, erstmal der Anspruch einer Interessenvertretung ist beim Armutsbericht natürlich ganz eindeutig gegeben. Man vertritt die Interessen von Armen oder bestimmten Regionen und
nimmt natürlich auch einen Angriff auf bestehende Gesetze vor, also auf die Sozialpolitik. Und dann kommt es dann zu so Ideen, dass sie feststellen, der Arbeitsmarkt würde unter einer ‚Amerikanisierung‘ leiden. Das ist so, war ein sehr schillerndes Beispiel,
wo sie quasi unterstellt haben, diese Wirtschaftsminister da, die tun so, als wäre ein großer Erfolg vorhanden, aber letztlich werden die Leute einfach nur so
zahlenmäßig weniger, die arbeitslos sind, aber im Grunde werden die mit Beschäftigungsmaßnahmen raus gehalten.

[49:07] Also wer jetzt Amerikanisierung, wen das interessiert, der möge bitte im Armutsbericht nachlesen. Ich fand den Begriff einfach sehr interessant und als Angriff auf die bestehende staatliche Politik ein
sehr gutes Beispiel.
Dann ‚defining‘, sie haben also quasi die Definition eines Standards für eine bestimmte Praxis vorgenommen; gesagt: „Wer sich mit Armut beschäftigt von den
Wohlfahrtsorganisationen, der sollte das wahrscheinlich statistisch tun bzw. mit einer schon
schillernden Expertise in dem Bereich!“ und der Armutsbericht wurde ja auch irgendwie zu einem festen Wort, also, die haben das wirklich definiert. Es ist eine eigene Praxis.

[49:46] Und dann eine Definition der eigenen Identität, also das sind dann die Inszenierung, die in
meiner Masterarbeit hervortreten aus den Interpretationen und Analysen. Nämlich einerseits als Vorreiter und dann als Aufklärer in der
Thematisierung von Armut. Dann haben sie bestimmte Identitäten, also, sind sie damit beschäftigt, bestimmte die Identitäten zu konstruieren,
nämlich die der Mitglieder, der Betroffenen und auch
Politiker werden genannt, bestimmte. Und die werden zueinander in Beziehung gesetzt, also sie sind an einer Art Identitätspolitik da schon beschäftigt. „Wer ist das? Was hat das für eine Bedeutung, wenn ich da und daher komme?“ Und natürlich die eigene Identität.
„Wir sind Experten. Wir haben ein Expertentum durch unsere statistisch Expertise an der Stelle“. Sie sind auch sehr doll damit beschäftigt, normative Begründungen zu verändern.

[50:38] Also, im Grunde könnte man ja sagen, bevor es den Armutsbericht gab oder bevor man jetzt als z.B. Zuhörer was von
Armutsberichten weiß, hat man ja erstmal im Kopf, was ein Bericht ist. Also, man hat eine normative Vorstellung, hat
quasi eine Idee davon, was ein Bericht klassischerweise ist, im Journalismus oder im wirtschaftlichen Bereich. In dem Fall lernt man jetzt quasi, indem ich darüber rede, ja dazu, dass quasi dieser Bericht problemorientierter ist als andere. Also, der
knüpft sich an
ein bestimmtes, soziales Problem, was vielleicht andere Berichte gar nicht mal unbedingt so prominent tun. Und auch in dem Bericht selber ist häufig die Rede davon, dass einem ursprünglichen Mangel an Berichten zu dem Thema entgegengetreten wurde.
Also, sie doktern auch ein bisschen darum daran herum, was ein Bericht sein kann, von uns wahrgenommen … was von uns als Bericht wahrgenommen wird.

[51:31] Dann konstruieren sie Netzwerke
unter den Akteuren. Also einerseits Betroffene erhalten ja eine Stimme und können sich durchaus auch untereinander verständigen, von der einen
armen Region zur anderen, von einer reichen zur armen etc. … wenn man erstmal überhaupt auf dem Tableau hat „Was gibt’s denn überhaupt alles und wo liegt das?“. Und natürlich erhöhen sie auch letztlich die Zielgruppe für
die eigene Organisation, indem sie einen Bericht herausbringen, der irgendwie im Internet erscheint – für jeden zugänglich, für jeden möglichst auch verständlich – durch so eine Kampagne,
sei es jetzt Information oder Mobilisierung. Und letztlich in den Bündnis was ich vorhin genannt habe, haben wir auch ein Zusammenschluss unterschiedlicher Organisationen,
durften wir erleben an der Stelle, die auch eigene Armutskongresse abhalten, also schon irgendwie
eine deutliche Absprache stattfindet. Und als die letzten beiden Punkte, wo der Einfluss auf quasi das Gefüge wiegt,

[52:28] wo quasi Öffentlichkeitsarbeit von Wohlfahrtsträgern schon verändert wird ein Stück weit, unsere Wahrnehmung dessen und überhaupt, wie Organisationen das auch durchdenken, ist einmal der Punkt eben ‚Mimikry‘ –
das ist sowas wie Nachahmung, da wird quasi
eine bestimmte kommunikative Verpackungen nachgeahmt. Eben das, was wir an Berichten kennen und
wenn man mal so Bericht hört, denke ich mir „Das verspricht nicht unbedingt literarische Spannung, dafür aber eine sachliche Darstellung“. Und das übernehmen sie, was wir dazu in den Köpfen haben an der Stelle. Und da sagen die Autoren Lawrence und Suddaby, das sei sehr markant

für institutionellen Wandel, also für Wandel in unseren Vorstellungen davon, wie quasi Organisationen funktionieren sollen.

[53:14] Und dann nutzen Sie natürlich eben, immer noch der Punkt Mimikry, Statistiken hinsichtlich ihres, also quasi kulturell kognitiven Bedeutung … also, es ist für uns quasi, wenn wir eine Statistik sehen, sowas wie eine Denk-Heuristik: „Ah, Fakten. Ah,
das steht fest.“ ‚Objektive Beweislast‘!

Fabian:
[53:34] Das wirkt ja auch dann gleichzeitig auch sehr wissenschaftlich automatisch, da hat jemand mit Zahlen gearbeitet, sich da intensiv auseinandergesetzt. Da bekommt man dann gleich einen gewissen Vertrauensvorschuss.

Nikolaus:
[53:44] Ja, glaube ich auch. Und als allerletzten Punkt noch,
ganz schnell, nehmen sie durch quasi eigenes Theoretisieren Einfluss auf das institutionelle Gefüge, indem sie eben ganz eigene volkswirtschaftliche Deutungen und Modellannahmen präsentieren. Ich hatte das schon mit
Zerreißprobe, Armutsspirale, sowas …
das sind nicht … da verbirgt sich nicht nur einfach das Wort dahinter und sagen das ist so, sondern sie versuchen das schon mit Zahlen zu erklären.
Wo natürlich die Statistiker sagen, „Das geht nicht.“ oder „Aha. Das ist mir neu.“, so ungefähr. Das sind so die Ergebnisse, wo Einfluss … auf das Gefüge der Organisation wirklich Einfluss genommen wird. Vor allen Dingen auf die Öffentlichkeitsarbeit, wie sie bisher war.

Fabian:
[54:28] Wenn du jetzt das hier so aufgezählt hast, dann muss ich ja sagen, dass hinterlässt, sagen wir mal, so ein gemischtes Gefühl.

Nikolaus:
[54:34] Schön.

Fabian:
[54:36] Auf der einen Seite glaube ich, es ist ja auf jeden Fall erstmal eine sinnvolle
Idee auf Armut hinzuweisen und die Problematik auch darzustellen.
Und ich finde, man kann auch durchaus sagen, das Ziel
diese Thematik ein bisschen in die Öffentlichkeit zu bringen, ein bisschen in den Diskursraum zu werfen, ist ja durchaus ein redliches. Also, das kann man durchaus, denen auch erstmal positiv auslegen.
Auf der anderen Seite ist natürlich so ein bisschen, ja, eine Fehldarstellung, im Sinne eines, wie du das gesagt hast, „ein Bericht, mit vielen Zahlen, mit viel Statistik“ so.
Und auch so dieser Darstellung, „wir sind die Professionellen“, „wir beschäftigen uns damit“, „wir kennen uns gut aus“…

[55:24] da vermengen sich natürlich irgendwie viele Sachen.
Also, da kommt man dann natürlich auch sehr schnell in den Bereich „Welchen Anspruch stellt man an Wissenschaft und an Journalismus?“ und „Welchen
Anspruch stellt man an andere?“ und „Darf man das in einen Teig verrühren oder muss, müsste man das sehr klar trennen – Analyseteil und hier kommt unser persönlicher Kommentar, unsere eigene Meinung da mit rein?“.
Ich denke, was man da gut draus schließen kann, ist, dass
man den Armutsbericht wahrscheinlich schon lesen sollte, aber mit so ein bisschen dem Bewusstsein,
das ist jetzt hier nicht nur objektive Informationen, sondern das hat auch eine Zielstellung dahinter, so. Also, das ist ja im Prinzip auch so ein bisschen eine Binsenweisheit, also so ein bisschen auf
Autorenschaft gucken, wer hat das verfasst, was könnte die Intention sein. Aber das ist vielleicht auch ein gutes Beispiel dafür, um zu sehen,
auch jemand, dem man erstmal irgendwie positive Zielstellungen und Absichten unterstellen würde,
hat ja trotzdem immer noch irgendwie ein Eigeninteresse und, wenn es nur ist, dass der Paritätische einfach gerne als Sozialverband weiter diese Rolle ausüben möchte.

Nikolaus:
[56:34] Ja. Also, davon ging – würde ich sagen – für mich … oder geht auch nach wie vor die Attraktivität des Neo-Institutionalismus aus, der genau das benennt und sagt „Hey, also eine Organisation ist natürlich dafür da, Dich glücklich zu machen“.
Also, um es vielleicht mal ganz konkret zu machen: eine Organisation, wie so ein Spitzenverband, besteht natürlich aus Menschen, die Gutes tun wollen.
Dann hast du natürlich damit so eine Organisation, die Bestand hat, also damit quasi die Ehrenamtlichen zum Wirken kommen … und die Professionellen, die ja jetzt in unserem
moralischen Ranking noch sehr attraktiv sind … hast du natürlich Leute, die sich darum kümmern, dass diese Organisation zusammenhält. Das sind dann so Verbandsstrategen. Was jetzt die genaue Motivation ist,
das bleibt ja letztlich jedem selbst überlassen, das zu lesen. Und deswegen haben wir ja auch verschiedene
Wohlfahrtsträger, damit wir uns durchaus auch entscheiden können, was uns da am sympathischsten oder attraktivsten erscheint. Auch wer sich ehrenamtlich engagieren will, kann das ja tun in unterschiedlichen Organisationen, was ihm am nächsten kommt.
Und wenn mir das mit der Masterarbeit oder der Erzählung der Masterarbeit gelungen ist, dann supi. Also, da freue ich mich wirklich einfach persönlich drüber,
weil ich mir denke, das ist genau so der Nachgeschmack, den die Realität hinterlassen sollte wenn man sie versucht zu beschreiben.

Fabian:
[57:50] Ich glaube da haben wir doch schön den Bogen jetzt an der Stelle rund bekommen.

Take Home Message

[57:56] Ich hatte Dich ja schon vorgewarnt, dass alle unsere Gäste so ein bisschen am Ende, nochmal einen kurzen Platz bekommen, um eine ‚take home message‘ zu formulieren
und nochmal Raum bekommen, um sozusagen eine persönliche Nachricht an die Zuhörerinnen und Zuhörer zu adressieren.
Hast du da etwas rausgearbeitet, etwas mitgebracht?

Nikolaus:
[58:15] Ja, selbstverständlich.
Natürlich auch sehr gerne. Jetzt waren wir gerade schon so ein bisschen in
teilweise von mir pathetischen Reden über die Emotionalität von Masterarbeiten und das erste, was ich mir gedacht habe ist natürlich Leuten, die vor
so einer Qualifikationsarbeit stehen, Ihnen zu raten – auch wenn das wieder ein wenig pathetisch klingt: „Macht etwas, dass euch persönlich interessiert und begeistert!

Lasst euch nicht von irgendwelchen, vermeintlich schlaueren, hierarchisch höher stehenden Leute an ihre Lieblingsliteratur oder ihre Lieblingsforschungsergebnisse anleihen!“ Sondern, der Großteil einer Masterarbeit würde ich sagen … oder der Wert, „Das, was man mitnimmt“, ist, dass man selber für sich weiß, was gemessen an dem, was man erreichen will, richtig und falsch ist …

[59:06] dnd das
gut sich einschränken kann, also nicht einfach irgendwie Fremdinteressen zu sehr übernimmt, sondern sich selbst sagt „Nee, das mache ich jetzt so und das kann ich auch begründen“. Solange man es begründen kann, tut es. Genau … und als so
Take Away Message habe ich mir gedacht könnte man ja aus der Masterarbeit selber
noch was vorlesen. Das habe ich in der Masterarbeit bewusst außerhalb der Gliederung gelassen, weil ich mir dachte, das geht schon in den fließenden Kommentar zur eigenen Masterarbeit über.
Ich habe es Ausblick genannt und du trotzdem sind es da … ich habe es noch mal gelesen und dachte mir, das sind immer noch Worte, die mir irgendwie …
die ich gut finde im Bezug auf die Masterarbeit und in Bezug auf das Erarbeiten einer Masterarbeit. „Mit quasi objektiven Argumenten einen politischen Aushandlungsraum zu füllen,

ist ein gefährliches Unterfangen. Es führt den Akteurinnen die Unterschiede zwischen ihren Kulturen stärker vor Augen,
wie einem tatsächlich existierenden Problem begegnet werden soll.
Es konturiert die ökonomischen Grundlagen und lässt sie, neben dem auszuhandelnden Gegenstand, selbst zum Thema werden. Das ist gut für erziehungswissenschaftliche Masterarbeiten, hier lässt sich soziales Geschehen rekonstruieren. Das ist schlecht für Solidarität. Sie wird ideologisiert
und Zweifeln ausgesetzt.
Fabian:
[1:00:25] Vielen Dank, dass du da diesen kleinen Auszug präsentiert hast.
Nikolaus:
[1:00:28] Ja, gerne.
Fabian:
[1:00:31] Wenn euch das ganze noch genauer interessiert, werden wir die komplette Masterarbeit als PDF anhängen.
Dürfen wir an der Stelle mit der Erlaubnis von Nikolaus. Ist jetzt dokumentiert, jetzt kannst du es nicht mehr zurückziehen.
Nikolaus:
[1:00:46] Ja, ja. ich wollt schon sagen. Schnitt.
Fabian:
[1:00:51] Und, ja, wir freuen uns darüber, dass ihr die zehnte Ausgabe des Underdocs Podcasts angehört habt. Nikolaus, ich bedanke mich ganz herzlich, dass du bei mir zu Gast gewesen bist …
Nikolaus:
[1:01:03] Ich danke für euer Interesse.Fabian:
[1:01:05] und uns hier einen Einblick gewährt hast in das Feld der Wohlfahrtsforschung, nenne ich es jetzt mal. Wir freuen uns, wenn ihr das nächste Mal wieder einschaltet zur elften Ausgabe und bis dahin, verabschiede ich mich.OutroEpilog:
[1:01:46] Ulrich Schneider, den Hauptgeschäftsführer des deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, haben sie gerade schon kurz im Beitrag gesehen und jetzt ist er uns noch mal zugeschaltet, damit wir ausführlich darüber sprechen können. Guten Tag, Herr Schneider. Schönen guten Tag.

Viele Rentner sagen ja, sie haben Glück gehabt, ihre Renten waren noch sicher, es gehe ihnen vergleichsweise gut, sie hatten sich einigermaßen Wohlstand aneignen können. Warum
aber geraten trotzdem auch immer mehr Rentner in die Armut?
Unserer Rente funktioniert nach dem Beitrags Prinzip, das heißt der, der arbeitet, zahlt ein und er bekommt am Ende genau nachdem heraus, was er eingezahlt. Hat er sehr viel eingezahlt, hat er lange gearbeitet, hat er gut verdient, bekommt er auch mehr Rente.
Nun kommen
mittlerweile immer mehr Menschen ins Rentenalter, die in den 90er Jahren bereits langzeitarbeitslos waren, die mehrfach arbeitslos waren oder aber die so im Niedriglohnsektor gearbeitet haben, also wirklich zu erbärmlichen Stundenlohn,
wo ist dann auch mit Rente vorn und hinten nicht reicht. Das kommt jetzt auf uns zu, deswegen diese enormen Anstiege in der Altersarmut in Deutschland.

[1:02:50] Aktuell haben wir ja eigentlich Rekordbeschäftigung in Deutschland. Warum nützt die nichts, um die Armut zurückzudrängen?
Na, diese Rekordbeschäftigung geht einher mit dem, was man hier häufig als Amerikanisierung des Arbeitsmarktes bezeichnet, sprich, wir haben zwar gute Statistiken. aber nicht unbedingt gute Jobs.
Viele Menschen sind im Niedriglohnsektor tätig, aktuell sind das 23% die unter 9,60 € in der Stunde verdienen. Wir haben viele die Minijobs machen. Das sind 7 Millionen Minijobs mittlerweile in Deutschland, also Jobs bis zu 400 € im Monat.
Und ganz viele auch nur Teilzeit, weil sie
Kinder versorgen müssen, weil sie Angehörige pflegen müssen oder anderes und dann reicht es einfach nicht. Und dieses schlägt sich dann, jetzt akut in der Armut nieder, in einer Armutsquote, die sinken will, und später dann noch mal
in einer steigenden Altersarmut. Können die neuen Mindestlöhne helfen?

Die neuen Mindestlöhne helfen denjenigen, die jetzt Single sind und die Vollzeit erwerbstätig sind. Sobald aber ein weiteres Familienmitglied da ist, etwa ein Kind, oder sobald man
nicht Vollzeit arbeiten kann, helfen auch die Mindestlöhne jetzt von 8,50 € nicht, um aus dem Fürsorgesystem heraus zu kommen. Herr Ulrich Schneider.
Danke für das Gespräch.