Transkript UnderDocs 015 – Von den Toten lernen

2019, AK Uni im Kontext
UnderDocs 015: Von den Toten lernen

Transcript

Fabian:
[0:08] Ein Donnerstagvormittag. Ende Januar. Anatomisches Institut der Medizinischen Fakultät in Halle.
Nachdem soeben sie die Vorlesung zum Thema „Arm“ beendet wurde, bereitet sich ein Teil der Studierenden für den folgenden Präparationskurs vor.
Die Kittel und Werkzeuge sind in Spinden hinter denselben alten Holztüren verstaut, hinter denen bereits viele Generationen ihr Hab und Gut lagerten.
Kittel an, anatomischer Bildband unter den Arm geklemmt und noch kurz die Verschnaufpause genießen, bevor es in die Leichenhalle geht.

[0:43] Der Präparationskurs, unter den Studierenden kurz Präpkurs oder Macro genannt, findet hier im dritten Studiensemester statt.
Er ist für alle verpflichtend, die später als Ärztinnen und Ärzte arbeiten wollen.
Ein halbes Jahr lang befasst man sich eingehend mit der Anatomie des Menschen, erschließt sie sich, begreift sie im wörtlichen Sinne an der Leiche eines Körperspenders. Mit Skalpell, Pinzette und Zange werden hierfür in penibler Detailarbeit feinste Strukturen freigelegt.
Es handelt sich nicht um eine Obduktion, wie sie pathologische oder rechtsmedizinische Institute durchführen. Es geht nicht darum eine Todesursache abzuklären.
Vielmehr dient es der Erarbeitung eines tiefgehenden Verständnisses vom menschlichen Körper, für die spätere Tätigkeit am Patienten essenziell.

[1:33] Bei ihrer Arbeit werden die Kursteilnehmer nicht alleine gelassen. Studierende, die das dritte Semester bereits absolviert haben, sind als Tutorinnen und Tutoren im Saal unterwegs.
Sie helfen, wenn es handwerklich knifflig wird oder man fortgeschrittenes Wissen für die Weiterarbeit benötigt, leisten aber auch Beistand, wenn der Stress einmal überhand nimmt.

Tutorin Jana

Tutorin Jana:
[1:52] Ja, ich bin Jana. Ich bin im fünften Semester des Medizinstudiums, bin 31, habe dementsprechend etwas später angefangen mit dem Studium.
Ich bin gelernte Krankenschwester. Es war halt dann mein Wunsch irgendwann das Studium anzufangen oder ein Studium zu beginnen, eigentlich war es das schon die ganze Zeit, aber ich musste halt warten.

Fabian:
[2:15] Du bist Tutorin Präparationskurs. Was gehört denn da konkret zu deinen Aufgaben?

Tutorin Jana:
[2:21] Zu meinen Aufgaben gehört es, immer gut vorbereitet zum Kurs zu kommen, die Studenten zu betreuen, Fragen zu beantworten, ja, den Studenten eben auch zu zeigen,
wie man, wo man Strukturen findet, wie man es am besten findet, wie man präpariert, ja auch manchmal eine seelische Unterstützung. Das gehört auch mit dazu.
Wenn es Manchen nicht so gut geht beim präparieren, dass man da einfach mal ein bisschen Unterstützung anbietet und man Gespräche anbietet, je nachdem, wie es gerne gewollt ist. Das sind so im Großen und Ganzen die Aufgaben, genau.

Fabian:
[3:01] Wie bist du dazu gekommen Tutorin zu werden? Warum hast du dich dafür entschieden?

Tutorin Jana:
[3:06] Ich habe mich dafür entschieden, dass ich … Also letztes Jahr musste ich mein Physikum schieben, weil mir noch eine Prüfung gefehlt hat und deswegen dachte ich so, für die Physikumsvorbereitung ist es nicht schlecht,
den Präpkurs einfach nochmal zu machen, weil doch viele Sachen manchmal so verloren gehen mit der Zeit.
Und da hab ich das so ehrenamtlich gemacht und es hat mir so gut gefallen, dass ich dachte, so, jetzt nach dem Physikum könnte man es halt noch einmal machen. Ja, mir macht es Spaß.

Fabian:
[3:37] Du betreust du einen einzelnen Tisch oder betreust du zurzeit mehrere Tische?

Tutorin Jana:
[3:41] Ich betreue mehrere Tische. Also eigentlich ist man immer so für ein paar Tische zuständig, aber
ich gehe auch immer mal rum, gucke mir auch mal andere Tische an, weil gerade bei vielen Körperspendern gibt es ja ganz viele Varietäten, die ich mir auch mal gerne angucken möchte, welche bei meinen Körperspendern,
also die Tische, die ich betreue,
kenne ich ja die, sag ich jetzt mal, Varietäten und Krankheiten. Aber prinzipiell betreue ich halt 3 Tische.

Fabian:
[4:08] Du hast also schon so deine persönlichen Schäfchen, die du betreust?

Tutorin Jana:
[4:11] Ja kann man schon so sagen, ja.

Fabian:
[4:15] Ich kenne das ja aus meiner Tutorenzeit, man hat dann bei den Prüfungen auch immer mitgefiebert und gehofft, dass sie da alle sauber durchkommen. Geht dir das auch noch so?

Tutorin Jana:
[4:23] Ja, das geht mir auch so, weil das ist ja so ein bisschen viel Arbeit, aber man steckt ja doch schon viel Kraft und viel Arbeit und viel Zeit halt auch rein und möchte natürlich auch, dass die Studenten vorankommen.
Was natürlich auch ein Grund ist, warum ich das auch mache, ist natürlich auch Wissen weiterzugeben und anderen zu helfen.
Und deswegen hoffe ich, dass sie das Wissen, was ich ihnen mitgegeben habe, was sie natürlich auch selber gelernt haben und sich selbst angeeignet haben, dass sie das gut anwenden können und gut durch den Kurs durchkommen.

Fabian:
[5:04] Aber auch die TutorInnen können nicht alles wissen. Bei besonders kniffligen Präparation, insbesondere vorbereitenden Arbeiten, wie dem Absetzen des Beckens oder der Arbeit mit der Vibrationssäge, sind die guten Seelen der Anatomie gefragt:
Die Präparatorinnen und Präparatoren.

[5:36] Dauerhaft über das Jahr sind die Präparatoren mit der Vorbereitung des Studienkreises beschäftigt. Die Leichen müssen angenommen, konserviert und gelagert werden. Anschließend müssen Verbrennung und Bestattung organisiert werden.
Läuft der Kurs, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch didaktisch gefragt. Während die Theorie in der Vorlesung behandelt wird, braucht es auch eine handwerkliche Anleitung und diese kommt nicht zuletzt von den Präparatoren.

Präparatoren

Fr. Hallasch:
[6:00] Ja, mein Name ist Julia Hallasch. Ich bin Präparatorin am Institut seit 16 Jahren und bin in jedem Präparierkurs dabei.

Hr. Heine:
[6:08] Ja, mein Name ist Hans-Joachim Heine. Ich bin seit 1982 in diesem Haus und auch in jedem Präparierkurs mit dabei.

Fabian:
[6:16] Was sind denn eure konkreten Aufgaben in Bezug auf den Präparierkurs?

Hr. Heine:
[6:22] Das ist eigentlich den Studenten erst einmal die Präparation zu zeigen: Wie geht die Präparation bei uns? Das ist ja eine anatomischen Sektion eigentlich, hier wird es eigentlich so genannt.
Und wir müssen den Studenten gewisse Sachen zeigen: Wie wird etwas abgesetzt? Wo wird geschnitten? Wie wird die Subcutis entfernt oder die Haut entfernt?

[6:48] Alles solche Sachen. Also alle technischen Arbeiten.

Fabian:
[6:51] Der Kurs muss ja auch ausgiebig vorbereitet werden. Die Leichen müssen für den Kurs vorbereitet werden.
Wie sieht da der Prozess im Groben aus. Könnt ihr das kurz beschreiben?

Fr. Hallasch:
[7:02] Es wird eine Körperspender per Telefon gemeldet. Uns wird mitgeteilt, dass der Tod einer Körperspenderin oder eines Körperspender eingetreten ist.
Wir telefonieren dann gegebenenfalls mit Krankenhaus, mit den Krankenhäusern, mit dem Pflegeheim oder mit den Verbliebenen zu Hause, wenn der Tod zu Hause eingetreten ist.
Klären dann die Todesursache, die Umstände, die zum Tod geführt haben, eventuelle Vorerkrankungen, vorangegangene Operationen und so weiter,.Entscheiden dann, ob wir die Körperspender als Institut antreten oder nicht.
Wenn wir die Körperspender antreten, wird der Leichnam zu uns überführt durch unser Bestattungsinstitut.
Und sobald der Körperspender oder die Körperspenderin im Haus ist, wird eine zweite Leichenschau durchgeführt. Dann kommt ein Rechtsmediziner aus der Rechtsmedizin rüber zu uns
und nach der Abnahme können wir dann sozusagen alle Arbeiten im Haus vornehmen. Sie zur Fixierung vorbereiten oder als ‚Fresh-Frozen-
Präparat‘ für den Weiterbildungskurs vorbereiten.

Fabian:
[8:09] Jetzt hattest du gerade den Weiterbildungskurse angesprochen. Vielleicht kannst du das noch kurz beschreiben. Hier werden ja nicht nur Studentinnen und Studenten ausgebildet, sondern auch junge Ärztinnen und Ärzte in Operationstechniken. Wie sieht da eure Arbeit aus?

Fr. Hallasch:
[8:23] Die Weiterbildungskurse werden von Jahr zu Jahr mehr und wir haben immer mehr Kliniken oder
Universitäten, die an uns herantreten und für ihre Ärzte Weiterbildungen anbieten möchten
in ganz Deutschland, Europa, manche kommen auch aus der ganzen Welt.
Und dann nehmen wir die Körperspender, die wir eingefroren haben, aus der Kühlzelle und bringen sie auf den Saal.
Der Saal ist dann instrumentell und technisch komplett vorbereitet.
Wenn zum Beispiel Hals-Nasen-Ohren-Kurse sind oder Gelenkskurse oder irgendetwas anderes und dann bringen wir die Körperspender auf den Saal.
Es wird dann leicht aufgetaut, damit die Ärzte den Normalzustand eines Körpers vor sich haben, an dem sie dann die Operation üben können, wenn irgendwelche neuen
Methoden an Hüftgelenken oder Orbita ausprobiert werden müssen.
Und dann kommt natürlich noch die Zusammenarbeiten mit den ganzen Firmen, die Modelle herstellen und hier das eben ausprobiert haben möchten und das ist dann gleichzeitig die Weiterbildung.

Fabian:
[9:32] Ja, ihr seid schon beide lange Zeit im Kurs aktiv. Was denkt ihr, was sind so die größten Herausforderungen für die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer, die sich hier der Herausforderung stellen?

Hr. Heine:
[9:43] Naja, die müssen sich ja allen Herausforderungen stellen.
Die müssen ja schrittweise lernen, sich auf dieses bevorstehende OSPE vorbereiten. Und das ist schon eine Herausforderung generell,
also nicht nur in einzelnen Gebieten, Situs oder Kopf-Hals oder wie jetzt, das Letztere, die Extremitäten. Das ist immer eine Herausforderung für die. Es ist ja manchen Falls eben schwer das Lernen.
Manchen fällt es eben schwer das Lernen und Manchen, denen fällt es in den Schoß, die kriegen das eben
beim Vorbeilaufen mit so ungefähr und können es letztendlich. Es fehlt natürlich ein bisschen die Unterstützung von denen, die das eben sehr schnell und sehr gut begreifen, den Anderen mitzuhelfen. Das fällt immer so ein bisschen hinten runter bei uns.

Fabian: Als letzte kleine Frage: Macht es noch Spaß?

 

[10:37] Ja, immer. Es hält jung. Wenn nette Studenten dabei sind, macht es immer Spaß. Es gibt natürlich auch welche, wo man sagt, da gehe ich nicht so gerne hin,
ja, die tut man dann ein bisschen wegschieben. Wenn man natürlich hin muss, ist klar, dann muss man hin, wenn man seine Arbeit dann machen muss oder man wird gerufen.
Aber man es umschiffen kann, dann macht man es gerne doch mal.

[11:03] Es gibt Lieblingstische. Es gibt aber auch Tische, wo man nicht so gerne hingeht, aber man muss.

Fr. Hallasch:
[11:12] Also ich habe auch noch unheimlich viel Spaß an meiner Arbeit und mache das auch jeden Tag noch gerne.
Und ich glaube, das ist auch das, was bei uns beiden so das Herzblut ausmacht, wenn man das so mit Leidenschaft macht, wie wir, dann macht auch das Präparieren mit den Studenten Spaß. Und was Herr Heine gerade angesprochen hat, hat man ja im normalen Leben auch, dass man
manchmal unheimlich sympathisch jemandem gegenüber tritt und manchmal eben weniger, aber das ist ja wie im normalen Leben auch,
aber Spaß macht es trotzdem. Und es ist immer wieder schön, wenn man euch dann später mal im Klinikum wiedersieht,
weil man sich ja dann doch eine ganze Weile nicht gesehen hat, was aus euch geworden ist.

Fabian:
[12:05] Auch die anatomische Ausbildung im Medizinstudium ist im Wandel. Obwohl sich an der Grundform der Wissensvermittlung – Lernen durch die eigene Präparation – nichts geändert hat, kann sich auch diese Lehrveranstaltung dem Einfluss der Digitalisierung nicht entziehen.
Tablets im Saal bieten die Möglichkeit medizinische Bildgebung und reale Anatomie gleichzeitig zu erfahren.
Dreidimensionale Modelle helfen die anstehenden Arbeiten besser zu verstehen und zu planen.
So hilfreich diese Mittel jedoch auch sind,
ersetzen können sie die Arbeit an der Leiche auf unbestimmte Zeit vermutlich nicht.

Fr. Prof. Kielstein

Fr. Prof. Kielstein:
[12:36] Mein Name ist Heike Kieselstein. Ich bin Anatomin und arbeite seit 2011 hier am Institut für Anatomie und Zellbiologie.

Fabian:
[12:46] Sie waren ja schon vorher in Hannover aktiv. Wie lange sind Sie denn in der anatomischen Lehre insgesamt schon unterwegs?

Fr. Prof. Kielstein:
[12:52] Über 20 Jahre. Seit 1996 bin ich sozusagen aktiv, hab vorher gar nicht so viel Anatomie gemacht, war mal
studentische Hilfskraft, einmal aber nur, und bin dann aber direkt nach meinem Medizinstudium in die Anatomie gegangen. Das war 1996.

Fabian:
[13:11] Der Präparierkurs hat ja dann doch eine besondere Rolle im Medizinstudium.
Trotzdem gibt es immer wieder Forderungen, den zu reduzieren oder abzuschaffen, allein aus Kostengründen.

Denken Sie denn, das ist eine vernünftige Option, den Kurs irgendwie durch digitales Lernen zu ersetzen?

Fr. Prof. Kielstein:
[13:29] Nein, das denke ich gar nicht. Ich bin eine ganz starke Verfechterin des Präparierkurses.

[13:35] Es gibt verschiedene Gründe: Einmal ist es so, dass digitale Medien helfen können, ohne Frage,
aber der Präparierkurs ist dazu da, um den menschlichen Körper zu begreifen, also um Organe zu ertasten, um auch
Topografie, Dimensionalität sozusagen zu begreifen. Wie tief liegt ein Nerv? Oder wie fühlt sich die Lunge an? Und so weiter …
Und das kann man nicht digital.
Aber das, was mir auch wichtig ist, dass der Kurs noch auch sehr viel mehr mit den Studierenden, glaube ich, schon macht. Es ist ein Kurs, der wirklich sehr,
eine große Herausforderung ist, nicht nur, weil wir sehr viel lernen mit den Studierenden zusammen, sondern weil die Studierenden auch einen sehr direkten Kontakt mit einem toten Menschen haben, mit mehreren toten Menschen,
sich Gedanken machen über Leben – Tod, über Erkrankungen, was die mit einem Menschen machen können.
Und das ist ganz wichtig. Das wird auch hier in Halle, aber auch in anderen Universitäten ist das auch Thema. Das wird sozusagen nicht weg geschoben, sondern das wird ganz bewusst angesprochen. Und
es ist für die Studierenden
ein ganz besonderer Kurs, weil sie auch schon sehr viel Klinik lernen über die Erkrankungen des Körperspenders und

[15:02] eben den menschlichen Körper ganz aus verschiedenen Facetten betrachten und auch begreifen können.

Fabian:
[15:11] Sie haben ja hier vor Ort die anatomische Lehre schon ein bisschen umstrukturiert und vieles geändert. Was sind denn für Sie die Eckpfeiler einer modernen anatomischen Lehre?

Fr. Prof. Kielstein:
[15:23] Jetzt bezogen auf den Präparierkurs ist es, eine klinisch relevante, anatomische Lehre zu machen.
Das unterscheidet mich auch von meinem sozusagen Fach-Großvätern,
die schon sehr genau präpariert haben, sehr feine Strukturen dargestellt hatten. Die hatten aber auch drei Semester Zeit für den Kurs. Und das, was wir machen, ist, dass wir schon sehr in die Klinik hineingucken: Was braucht der Student, wenn er

[15:53] Kardiologe, Herzspezialist, wird? Was braucht der Student, wenn er Hals-Nasen-Ohren-Arzt/Ärztin werden möchte?

[16:02] Wir machen genau so viel, wie es notwendig ist, aber verlieren uns nicht im Detail.
Das verschafft uns etwas Zeit und das ist dann die nächste Komponente, dass wir versuchen auch mit neuen Medien die Studierenden zu unterstützen.
Was wir jetzt machen, ist, dass wir das Skript, was wir haben, in dem steht, was wir an jedem Tag präparieren, dass wir das mit Fotos
ergänzen. Also, dass wir sozusagen einen fotografischen Präparieratlas selber hier in Halle jetzt entwickelt haben.
Es gibt Tablets an jedem Tisch, sodass die Studierenden auch am Tisch
ihre Anatomiebücher haben und dort nachschauen können.
Und das, wo wir Vorreiter waren, mittlerweile gibt es schon einige andere anatomische Institute, die es uns gleich gemacht haben, wir haben vor vielen Jahren mit der Radiologie zusammen eingeführt, dass wir einige der Körperspender im CT und im MRT vorher untersuchen

[17:05] und dann während wir präparieren, auf die Bilder der Computertomographie, der Kernspintomographie zurückgreifen können, sodass die Studierenden ganz speziell auch in einem Wahlfach, aber auch alle anderen Studierenden schon gleich vergleichen können:
„Das ist eine Zyste. So sieht sie also bei einem Menschen im Körper aus. Und wie sieht die denn jetzt in der Computertomographie aus?“
Also auch ganz innovative

[17:33] Neuerungen, die wir eingeführt haben vor einiger Zeit.

Fabian:
[17:36] Sie meinten ihre Fach-Großväter hätten drei Semester Zeit gehabt. Würden Sie sich manchmal auch drei Semester wünschen?

Fr. Prof. Kielstein:
[17:43] Ehrlich gesagt, würde ich mir auf jeden Fall zwei Semester wünschen. Gar nicht mal, weil ich dann doch wieder detailliert präparieren würde, sondern weil ich den Studierenden gerne ein bisschen mehr Zeit gönnen würde zwischendrin.
Teilweise haben die Studierenden dreimal in der Woche Kurs und jeder Kurs ist schon so, dass man relativ viel vorbereiten muss, wenn man ihnen gut, wenn man viel mitnehmen möchte sozusagen. Und das ist natürlich
in einem Kurs, der über zwei Semester geht, drei Semester ist zu lang, aber zwei Semester würde ich gut finden …
Dann hat man vielleicht ein-/zweimal in der Woche Kurs und hat die Zeit dazwischen, um noch einmal Revue passieren zu lassen, vielleicht auch noch einmal im Eigenstudium häufiger an den Körperspender, die Körperspenderin zu gehen.
Die Möglichkeiten haben wir, aber die Studierenden haben so viel noch Kurse drumherum, dass sie das nicht wahrnehmen können. Und das wäre dann sehr positiv, wenn wir über 2 Semester den Kurs hätten.

Fabian:
[18:39] Sie sind ja ein relativ großes Team mit den Präparatorinnen und Präparatoren, Tutorinnen und Tutoren. Wie sieht es denn mit dem anatomischen Nachwuchs aus?

Fr. Prof. Kielstein:
[18:49] Oje, da sprechen Sie etwas an, das ist wirklich ein ganz großes Problem.
Es ist kein Problem, wenn man jetzt unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter, so heißen unsere Dozenten ja, sind in der Regel Biologen, Biochemiker und Physiker.
Und die kommen zu uns in die Anatomie, weil sie die Forschung interessant finden, die ja ganz anders ist, als jetzt zum Beispiel die Lehre in der Anatomie. Ist also sehr biochemisch unsere Forschung.

[19:15] Deswegen kommen sie und sie machen dann noch die anatomische Lehre mit und müssen sich dort hineindenken.
Der Nachwuchs ist da, aber welchen Nachwuchs ich sehr vermisse, sind Mediziner.
Es gibt seit über 20 Jahren, in denen ich Anatomie mache, fängt jetzt im Sommer die erste Medizinerin an.
Das ganze Team ist zusammengesetzt aus Naturwissenschaftlern.
Es ist nicht attraktiv für Medizinstudierende nach dem Studium in die Anatomie zu gehen.
Es ist ein Fach ohne Patienten. Das ist, glaube ich, ein großes Problem. Und es ist ein Fach, ein Fachgebiet, das nicht gut bezahlt wird. Wir haben hier keine Dienste.
Wir werden nicht nach ärztlichem Tarif bezahlt, sondern nach dem Wissenschaftstarif.
Das ist einfach nicht so attraktiv. Und was eigentlich noch schwerwiegender ist, ist, dass es keine großen Alternativen gibt: wenn man Anatomin, Anatom wird,
dann wird man das, um sich zu habilitieren irgendwann und eine Professur zu bekommen,

sich darauf zu bewerben und dafür hat man eine begrenzte Zeit.

Also wir haben zwölf Jahre und danach müssen wir die Mitarbeiter wieder entlassen. Wissenschaftszeitvertragsgesetz nennt sich das.
Und das ist für Mediziner nicht attraktiv. Es ist kein attraktives Arbeitsgebiet. Das ist sehr schade. Das ist ein großes Problem, was ich habe.

Fabian:
[20:38] Denken Sie, dass es vielleicht auch ein Nachteil für die Ausbildung der kommenden Ärztinnen und Ärzte ist, dass relativ wenige vielleicht auch Mediziner mit praktischer Erfahrung hier in Verantwortung gehen?

Fr. Prof. Kielstein:
[20:52] Definitiv. Das ist

[20:55] durchaus ein signifikanter Nachteil. Denn es ist so: ich selber bin Medizinerin, aber habe nie in der Klinik gearbeitet, aber hab so ein bisschen … ein bisschen was weiß ich oder bilde mich fort und kann mich auch fortbilden, weil ich es alles ja schon einmal studiert habe.
Das ist ein großer Nachteil, weil das natürlich wirklich … ein Präparierkurs lebt davon, zu sagen: „So. Jetzt schaut euch das mal an. Und da würde man jetzt die und die Operation machen. Dann würde man den Teil des Magens wegnehmen und dann würde das so aussehen.“

Fr. Prof. Kielstein:
[21:25] Das alles können die wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht beschreiben.
Deswegen laden wir uns ab und zu mal ein Kliniker, Klinikerinnen, die uns ein bisschen was aus ihrem Bereich erzählen oder auch zeigen.
Aber das ist natürlich schade. Eine gute Mischung wäre sehr gut, wenn wir ein-zwei Ärzte, Ärztinnen immer im Kurs hätten, das wäre wirklich wunderbar und wäre eine große Bereicherung.

Fabian:
[21:52] Vielleicht entwickelt es sich ja noch in die Richtung. Zum Abschluss hätte ich noch eine kleine persönliche Frage. Erinnern Sie sich noch an ihren eigenen Präparierkurs zurück und was würden Sie sagen, haben Sie da so mitgenommen für sich?

Fr. Prof. Kielstein:
[22:04] Ich erinnere mich noch ganz genau. Das ist wirklich erstaunlich, wie genau. Ich vergesse schon einiges, aber das vergesse ich nicht. Ich weiß noch, es war in Hannover.
Ich weiß noch, an welcher Leiche, welche die Dozenten waren. Meine Kommilitonen kenne ich natürlich noch.
Was heißt natürlich? Aber es ist häufig so, dass man die Kommilitonen, sich noch an die erinnert.
Ich fand den Kurs unheimlich spannend, aber ich fand ihn jetzt nicht so spannend, dass ich dann Anatomin werden wollte. Ich wollte Chirurgin werden, aber das hat auch etwas mit der Anatomie zu tun.
Ich fand diesen Aufbau des Körpers sehr faszinierend und hab den Kurs wirklich mit sehr bewusst erlebt.
Ich habe versucht, wirklich viel zu lernen und viel mitzunehmen, war dann aber, wie viele Studierende auch, dann trotzdem froh, als er vorbei war.

[22:52] Als wir dann sozusagen Abschied nehmen konnten, auch einer Beisetzung dann beiwohnen konnten. Und es war so, dass ich studentische Hilfskraft, wie gesagt, einmal war, aber auch nicht mehr.
Also es war jetzt nicht so, dass ich irgendwie gebrannt habe für die Anatomie, aber für den Kurs auf jeden Fall und ich war da dem Körperspender, das war ein Mann, dem ich die ganze Zeit sehr dankbar, weil ich es so faszinierend fand, wie wunderbar ich jetzt vorbereitet werde auf die Klinik.

Fabian:
[23:36] Wenn alle Gebiete präpariert sind und die letzte mündliche Prüfung überstanden ist, endet der Präparationskurs mit der Bestattung.
Die Angehörigen mussten zum Teil mehrere Jahre auf die Beisetzung der Körperspenderinnen und Spender warten. Um sich hierfür angemessen zu bedanken und einen würdevollen Abschied von den Liebsten zu ermöglichen, wird eine aufwendige Trauerzeremonie abgehalten.
Die Kursabsolventen sind hierbei nicht nur als Gäste geladen, sondern in die Organisation eng eingebunden.
Einige erweisen den Verstorbenen als Urnenträger ihren Respekt. Andere wiederum arbeiten die Dankesrede aus. Und jedes Jahr gründet sich ein Chor, der die Bestattung musikalisch begleitet.

Chor I

[26:23] Herzlich willkommen zur 15. Ausgabe der Underdogs. Mein Name ist Fabian Link und ich begrüße euch wieder einmal herzlich.

Begrüßung, Vorstellung

[26:31] Nachdem wir die Studienstart-Folge aufgenommen hatten Ende des letzten Jahres, kamen einige Anfragen, dass die Leute sich doch sehr für das Thema des Präparierkurses im Medizinstudium interessieren.
Wir haben uns da Leute eingeladen, um noch ein bisschen detaillierter darüber zu sprechen und einmal zu erklären, wie
Medizinerinnen und Mediziner im Verlauf des Studiums die Anatomie des Menschen lernen.
Kurz zur Einführung, ich bin selbst Mediziner und habe vor einigen Jahren, 2014 selbst diesen Kurs belegt und 2015 auch als Tutor im Kurs mitgewirkt.
Dementsprechend bin ich im Gegensatz zu den restlichen Podcast-Episoden nicht der
Laie, der dumme Fragen stellt, sondern es wird sich heute eher zu einem offenen Gespräch über dieses Thema entwickeln.
Um das Ganze zu diskutieren, habe ich mir heute zwei Gäste eingeladen, die
gerade eben den Präparierkurs abgeschlossen haben. Sie befinden sich im vierten Semester des Medizinstudiums und sind demnächst zumindest in den Vorbereitungen für das Physikum.
Mögt ihr euch beide einfach mal kurz vorstellen?

Katharina:
[27:50] Ja klar. Ich bin Kathi, im vierten Semester Medizin. Fabian hat das meiste schon gesagt, Präpkurs gerade hinter uns. Wir bereiten uns schon langsam aufs Physikum vor. Und, genau, mal schauen, was der Podcast jetzt so bringt.

Johannes:
[28:05] Genau. Ich bin der Johannes. Ich bin 20 Jahre alt und komme aus Halle.

Fabian:
[28:10] Wunderbar. Da ja nicht viele Leute so besonders gut wissen, wie die Ausbildung im Medizinstudium generell aussieht

Die Anatomische Ausbildung Im Medizinstudium

[28:19] und im Speziellen ja die anatomische Ausbildung, um die es sich heute mal drehen soll,
dachte ich, wir sprechen einfach erstmal kurz über die allgemeine Studienstruktur und dann im Speziellen noch einmal, wie es um die anatomische Ausbildung beschaffen ist.

[28:35] Generell gliedert sich das Medizinstudium ja in eine nicht vorklinische und in eine klinische Phase.
Die vorklinische Phase ist zwei Jahre und dann folgt das erste Staatsexamen, auch lapidar Physikum genannt.
Und auf das Physikum dann das klinische Studium, das drei Jahre geht
und mit dem zweiten Staatsexamen endet.
Und danach gibt es noch ein quasi Referendariat, das bei uns allerdings praktisches Jahr heißt und das wiederum mit dem dritten Staatsexamen abschließt.
Danach darf man sich die ärztliche Approbation holen und als Assistenzarzt oder Arzt in Weiterbildung, heißt es heute, beziehungsweise Ärztin, dann auch auf Station munter anfangen,
Patientinnen und Patienten zu behandeln. Noch relativ weit von der Approbation entfernt sind Kathi und Johannes, die eben gerade ihre anatomische Ausbildung abgeschlossen haben.
Mögt ihr mal kurz darlegen, wie die so strukturiert war? Es ist ja auch bei mir ein paar Jahre her und einige Dinge haben sich wiederum ein bisschen geändert.
Wann ging es mit der Anatomie eigentlich bei euch los?

Johannes:
[29:52] Ja, man muss ja erst einmal sagen, im ersten Semester kommen erstmal die ganz grundlegenden Fächer aus Physik, Chemie, in der man noch relativ wenig mit der eigentlichen Anatomie zu tun hat.
Aber man wird quasi stückchenweise an dieses Thema herangeführt, denn bereits im zweiten Semester widmet man sich dann ja der mikroskopischen Anatomie, wo man unter anderem auch menschliche Präparate
mikroskopiert, die natürlich
überhaupt nicht als solche so direkt zu erkennen sind, beziehungsweise
man hat das in dem Moment gar nicht so sehr vor Augen, dass es sich dabei um menschliche Präparate tatsächlich handelt.
Dann auch noch im zweiten Semester, aber erst am Ende kommt dann die Neuroanatomie, wo man dann tatsächlich

eigentlich nicht selber präpariert, aber zumindest von einem Dozenten, einer Dozentin ein Hirn quasi gezeigt bekommt und auch in verschiedenen Schnitten und so weiter.

Das ist dann das erste Mal, wo man wirklich ein menschliches Organ so tatsächlich sieht. Und dann im dritten Semester kommt dann wirklich die große makroskopische Anatomie, in der man dann auf den Körperspender trifft.

Katharina:
[31:06] Genau. Ich würde noch ein bisschen was ergänzen, was man manchmal vielleicht vergisst, dass man im ersten Semester schon ein bisschen Kontakt mit der Anatomie hat, indem man nämlich so die Knochen und Bänder behandelt.
Wobei das, glaub ich, oft irgendwie da der Präparierkurs nicht unmittelbar folgt,

erstmal so ein bisschen in Vergessenheit gerät, aber nichtsdestotrotz natürlich sehr wichtig ist. Für alle, die es nicht wissen, also die mikroskopische Anatomie
oder auch Histologie das sind quasi so ganz dünne Gewebeschnitte, wo man dann einzelne Zelllagen von bestimmten Organen sieht und genau anhand von diesen Präparaten dann auch
herausfindet, welches Organ oder welcher Teil vom Körper gerade vor einem liegt. Und genau, anhand dieses Kurses lernt man auch schon ein bisschen etwas über Funktionen und so, sodass man nicht ganz unwissend
an den Körperspender in der makroskopischen Anatomie dann herantritt.

Fabian:
[32:12] Wir müssen die Informationen insofern ein bisschen einschränken, als dass sie nur für die lokale Universität Halle gilt.
Das kann sich an jeder Universität ein bisschen unterscheiden, bis hin zu vollständig unterscheiden.
Im lokalen Modell wird eben erst allgemeine Anatomie-Einführung, dann Histo, dann Neuro und dann Macro gemacht.
Es gibt durchaus auch Universitäten, die gleich im ersten Semester in die Makroskopische durchstarten mit dem Präparieren.
Wir orientieren uns aber in unserer Episode heute einfach mal an dem Konzept, das wir kennen.
Ich finde das ganz lustig, immer wenn Leute Einen ansprechen auf das Medizinstudium, kommt dann häufig die Frage: „Da müssen Sie bestimmt alle Knochen auswendig kennen?“

[33:00] Man denkt so, ja, so in der ersten Woche so ungefähr, vielleicht auch noch die Zweite.
Tatsächlich ist das ja nicht wirklich eine große Herausforderung, die Knochen auswendig zu lernen und der interessante Teil ist ja eigentlich dann die wirklich detaillierte mikroskopische Anatomie.

Mikroskopische Anatomie

[33:21] Wollen wir noch ein bisschen auf den Histokurs eingehen, ganz kurz, bevor wir weitergehen und auf die Neuroanatomie? … Das war ja im Prinzip eure erste Begegnung mit menschlichen Proben.
Es sind nur Organschnitte. Man hat ein Mikroskop vor sich und einen Glaskasten und sucht sich dann das jeweilige Organ raus.
Meistens hat es so eine Art Quiz-Charakteristik, dass man dann versucht,
herauszufinden: Kann ich das richtig identifizieren? Und dann guckt man auf der Tabelle nach, war es jetzt richtig und wenn nicht, dann liest man ein Buch nochmal nach, welche Merkmale man in diesem Fall übersehen hat.
Habt ihr das da schon so als menschliches Material wahrgenommen oder wart ihr im Mikroskopiertunnel?

Katharina:
[34:07] Mikroskopiertunnel ist eigentlich ein ganz netter Begriff, weil man gerade am Anfang, wenn man durch ein Mikroskop schaut, eigentlich nichts erkennt und sich denkt:

Hä? Das sieht doch alles gleich aus. Wie soll ich da mal verschiedene Sachen differenzieren können? … Außer vielleicht, dass manche Präparate eher so dunkel-schwarz eingefärbt sind und andere blau-rot.
Man findet sich dann aber immer besser zurecht und kommt dann ganz gut rein und dann gibt es so bestimmte Merkmale, die halt Zellen haben, dass man dann weiß, ja stimmt, das ist jetzt ein Präparat von zum Beispiel
der Niere oder so. Und dann, zumindest war es jetzt bei mir so, gibt es halt dann auch immer wieder so Aha-Effekte, wo einem
dann plötzlich klar wird: Moment, das war mal was Lebendiges.
Klar es kann halt ein Teil von der Niere sein oder
manche Präparate sind auch von Tieren, aber spätestens, wenn man dann mal irgendwie ein Präparat von einem Fötus oder so tatsächlich unterm Mikroskop hat.
Spätestens da wird einem dann zwischendurch wieder so klar: Oh, Moment, krass – was mikroskopiere ich da gerade eigentlich? Und wie kann das sein, dass da halt irgendwie ein Stück vom Schädel von einem ungeborenen Kind
jetzt da ist. Das es dann manchmal schon ganz schön krass auf jeden Fall.Johannes:
[35:27] Beziehungsweise es kommt, glaube ich, auch ein bisschen auf das Gewebe an.
Also unterscheidet sich auch, weil manche Gewebe ja auch ohne den Tod des Spenders gewonnen werden können.
Also, wenn ich eine Blutprobe oder so analysiere, dann stammt die ja wahrscheinlich nicht von einem toten Menschen.
Aber bei anderen Präparaten, wenn ich einen Teil der Großhirnrinde oder derartiges präpariere, oder nicht präpariere, sondern mir unter dem Mikroskop anschaue,
dann wird einem ja doch irgendwie schlagartig bewusst, dass das
ja nicht von einem lebenden Spender stammt, sondern dass die Person gestorben sein muss. Und ich glaube das ist dann so, wo einem das ein bisschen auffällt. Aber trotzdem ist man noch immer relativ fern, weil das halt in der großen Präparatsammlung ist und
man das Organ ja nicht in seiner äußeren Ansicht so wirklich, wie man das Anatomiebuch oder so
besichtigen könnte, dargestellt sieht, sondern ja nur in seinen ganz kleinen Ausschnitten.
Also mir wurde es zumindest nicht so stark bewusst oder nur zeitweise hatte ich da mal überhaupt so einen Gedanken daran verschwendet quasi.Katharina:
[36:36] Man muss vielleicht auch für die Zuhörer, die noch nie mikroskopiert haben,
dazu sagen, dass das mit einem Organ eigentlich nicht mehr viel zu tun hat, weil es einfach nur ein hauchdünner Schnitt ist, der auf einer Glasplatte ist und man da jetzt nicht von vornherein damit konfrontiert wird, dass das mal etwas anderes war.Fabian:
[36:57] Es sind dünne Gewebeschichten, die im Prinzip aus dem gefrorenen Organ herausgeschnitten werden.
Ganz genau, weiß ich nicht, wie es funktioniert, aber es ist irgendwie so ein Kryoschnittverfahren. Ich weiß nicht, ob das gesamte Organ eingefroren wird oder ob die Klinge nur sehr kalt ist,
aber im Prinzip wird ein Organ entnommen und dann mit einem Spezialschnitt in eine hauchdünne Scheibe
zerschnitten und diese dann fixiert, mit Chemikalien quasi an der Zersetzung gehindert und dann auf ein klassisches Mikroskopplättchen aufgetragen
und dann quasi für die Nachwelt erhalten.Johannes:
[37:36] Genau, das sind Dauerpräparate, keine Frischpräparate für unsere Zuhörer.

Fabian:
[37:41] Genau, an den Präparaten, an denen ich gelernt habe,
da haben schon Hunderte vor mir gelernt und ihr werdet wahrscheinlich exakt dieselben in der Hand gehabt haben.
Was vielleicht auch noch interessant ist, es gibt zu diesem Kurs quasi eine Fortsetzung im klinischen Studium.
Da handelt es sich um den Histpathologiekurs. Wenn man von Pathologie spricht, haben die meisten Leute ja so ein bisschen das Bild des Gerichtsmediziners, der jetzt munter Leichen aufschneidet, im Kopf.

[38:14] Das stimmt eigentlich nicht. Die klassische Arbeit von Pathologinnen und Pathologen besteht zu einem nicht unerheblichen Anteil daraus, sich eben solche Organschnitte unter dem Mikroskop anzusehen.
Und zwar zum Zweck der Diagnostik vieler Erkrankungen, kann man ja von außen gar nicht voneinander unterscheiden.
Insbesondere bei Tumorerkrankungen ist es immer sehr wichtig, zu wissen, wie sind die zellulär aufgebaut, welche Marker-Proteine sind da vorzufinden. Und das ist letztendlich die Aufgabe der Pathologie.
Die bekommen dann aus dem OP-Saal ein Präparat zugeschickt, verfertigen dann solche Schnitte
und identifizieren unter dem Mikroskop dann um beispielsweise, welche Tumor es sich handelt oder wie die Niere jetzt ganz genau geschädigt ist, um dann die Therapie entsprechend anzupassen.
Und während man im ersten Studienabschnitt erstmal lernt, überhaupt die Organe voneinander zu unterscheiden,
es handelt sich also um gesunde Organe, kommt dann im weiteren Studium fortsetzend der Pathologiekurs, in dem man sich dann mit Schnitten aus krankhaften Organen beschäftigt, was die ganze Sache noch erheblich verkompliziert. Denn die Strukturen und Formen, die einem eigentlich als Identifikationsmerkmal für die Organe dienen, zerfallen völlig und

[39:37] man ist relativ aufgeschmissen. Zumindest fühlte ich mich lange Zeit des Histopathologiekurses deutlich schlechter orientiert, als in der Histologie, wo man zumindest mit der Zeit dann doch irgendwie
eine Ahnung bekommt.

Neuroanatomie

[39:52] Genau der Histologiekurs schließt mit einer Prüfung ab und dann beginnt der Neuroanatomiekurs, den habt ihr ja auch schon kurz angeteasert.
Vielleicht könnte ja nochmal darauf eingehen, wie sich der ausgestaltet?

Johannes:
[40:07] Man lernt natürlich erst einmal prinzipiell in der Vorlesung und anhand von Büchern den Aufbau des Hirns, der Nerven und überhaupt den Aufbau des Nervensystems im gesamten Körper, aber
insbesondere mit großem Augenmerk auf dem zentralen Nervensystem, weil dieses dann letztlich auch das ist, was man dann in den, nun

Präparaten zwar auch, aber dabei handelt es sich ja dann tatsächlich um vollständige Organe. Also
an verschiedenen Seminartagen hatte man verschiedene Themen quasi behandelt und konnte dann in weiteren praktischeren Seminaren, dann schon auf dem Präpariersaal
das Hirn und das Rückenmark in seiner Echtheit, aber fixiert natürlich trotzdem mit Formalin,
genauso wie die anderen Körperspender oder wie der restliche Teil der Körperspender …[40:59] Und da wird dann sozusagen Stück für Stück die Struktur, die man in den Seminaren vorher besprochen hatte und nun theoretisch kennt, dann auch praktisch sichtbar durch zum Beispiel
Schnitte durch das Hirn, wo man dann die verschiedenen Strukturen auseinanderhalten kann, wo ja auch zum Beispiel
schon einige Pathologien zumindest grob zu sehen sind, wenn eine Person einen Schlaganfall hatte oder dergleichen.
Also da kommt man dann zum ersten Mal mit dem Gesamtorgan in Kontakt. Und man muss natürlich auch dazu sagen, das Hirn ist ja auch,
zumindest war das für mich ein bisschen so, auch ein sensibleres Organ, weil man daher sozusagen sein Bewusstsein so drin wähnt und deswegen ist es irgendwie schon eine persönliche Sache,
dieses Hirn vor sich zu haben, wobei man allerdings nicht weiß, welcher Person das zuzuordnen ist
also auch kein Gesicht vor Augen hat der Person, sondern nur das Hirn vor sich hat.Katharina:
[41:56] Genau. Im Endeffekt hat man Gehirn und nimmt das Stück für Stück ein bisschen auseinander und schneidet das auf und kann dann halt
viele Dinge sehen, die eben auch eine Funktion haben und tatsächlich dann auch voneinander unterscheiden.
Es ist zwar eine Masse, aber gerade
farblich kann man dann tatsächlich Strukturen erkennen, die verschiedene Funktionen haben, und das ist eigentlich schon verrückt, dass es dann so kleine schwarze oder kleine etwas dunklere Punkte sind, wo man dann weiß: Ah okay. Und da wird jetzt dieses Hormon synthetisiert und da wird das und das fortgeleitet.
Das ist schon auf jeden Fall auch ganz spannend.Fabian:
[42:41] Ich weiß nicht, wie euch das ging, aber ich erinnere mich noch relativ gut daran,
wie es war, das erste Mal in die Neuroanatomie hineinzukommen. Denn man muss sagen, die Histopathologie ist räumlich klar getrennt. Dafür gibt es einen eigenen Mikroskopiersaal.
Direkt gegenüber liegt der Präparationssaal,
im Studentenjargon kurz Präpsaal. Und im Prinzip ist die Neuroanatomie die erste Gelegenheit, zu der man in diesen Präparationsaal geht.
Katharina:
[43:16] Das Mysterium.Fabian:
[43:19] Man gehört dann zu den Großen und, wenn man dann reinkommt, man wird dann aufgefordert einen weißen Kittel anzuziehen.
Das ist dann meistens auch der Moment, in dem man sich vielleicht schon ein Präparationset,
also ein Besteck zur Arbeit an Präparaten besorgt, also Skalpelle, Zangen und dann hat man sein Etui, was noch unbenutzt ist, und seinen frischen weißen sauberen Kittel. So sauber wird er nie wieder sein.
Und man kommt in diesen Raum und dann liegen da auf diesen Tischen die Gehirne mit anhängigen Rückenmärken.[43:54] Es ist der erste Gedanke, den ich hatte: „Things are getting real“.
Jetzt geht es hier echt los. Obwohl man an den Gehirnen selbst gar nicht so viel arbeitet handwerklich. Man präpariert nicht besonders viel.
Wir mussten noch so ein bisschen Hirnhäute abzupfen. Wobei ich den Eindruck hatte, das war eher so mechanisches Training in Vorbereitung, als jetzt tatsächlich so unglaublich wichtig.
Man arbeitet ein paar Gefäße am Gehirn heraus,
aber es ist letztendlich eher ein betrachten und lernen der Strukturen direkt am Präparat, aber eben weniger eine richtige Präparationsarbeit, wie sie dann im Semester danach kommt.
Aber das war schon ein sehr eindrücklicher Moment. Hattet ihr auch so ein Erweckungserlebnis?Katharina:
[44:49] Man ist halt auf jeden Fall, wie du schon gesagt hast, zum ersten Mal in diesem Präp-Saal.
Es riecht speziell. Man ist zum ersten Mal mit diesem Geruch von dem Formalin beziehungsweise
Alkohol, womit das haltbar gemacht wird, zum ersten Mal mit diesem Geruch konfrontiert. Dann ist es kühl da drinnen, weil es gekühlt werden muss. Also man ist zum ersten Mal in dieser Atmosphäre, in deren Genuss
man später noch viel öfter kommt. Aber am Anfang ist es erstmal
schon neu und aufregend, würde ich auch sagen, ja.Fabian:
[45:26] Der Neuroanatomiekurs endet dann je. Ich fand ihn relativ kurz und massiv überfordernd.

Katharina:
[45:34] Acht Termine und man ist die ganze Zeit nur am Lernen.

Fabian:
[45:38] Ich glaube, ich bin durch keinen Kurs so
unsicher und letztendlich dann auch unbefriedigt in meinem Wissensdurst durchgegangen, wie durch den Neuroanatomischen, weil es so komplex ist und so wenig Zeit.
Wart ihr hinterher fit oder hattet ihr auch den Eindruck eigentlich nur an der Oberfläche gekratzt zu haben?

Johannes:
[46:00] Doch, auf jeden Fall. Der Nebel lichtet sich dann zwar etwas zumindest.
Aber natürlich ist das trotzdem noch eine sehr komplexe Sache, wo man ja auch sagen muss, dass ganz viele Verbindungen und so weiter,
oder bestimmte Sachen ja auch noch gar nicht so hundertprozentig klar sind, beziehungsweise es im Hirn so fast jede Verbindung zwischen verschiedenen Bereichen gibt.
Und deswegen konnte man natürlich am Ende, man hat ja bestimmte Gebiete behandelt,
und zwar in denen hat man so ein bisschen nun orientieren können, aber dennoch hatte man weniger als in der mikroskopischen Anatomie, wo man ja tatsächlich danach das Gefühl hatte, die Funktion des Organs
eigentlich fast komplett erfasst zu haben.
Das war in der Neuroanatomie natürlich ein bisschen anders, eben weil das ja auch so komplex und vielseitig ist. Genau.

Katharina:
[46:52] Ich würde auch sagen, es ist einfach wahnsinnig kompliziert. Man müht sich dann auch mit irgendwelchen Lehrbüchern ab, von denen manche empfohlen und manche eher nicht so empfohlen werden.
Es ist aber gefühlt egal, weil es einfach so komplex ist, dass es richtig kompliziert ist und da muss man sich einfach ganz schön reinfuchsen. Und ganz allumfassend verstehen, wird man es halt einfach nicht in den paar Wochen, in denen man sich damit beschäftigt.

Fabian:
[47:19] Auch die Neuroanatomie endet mit einer Prüfung. Ich weiß gar nicht, das war schriftlich am Ende, ne?
Genau. Man schreibt eine Klausur und geht in die Ferien, sofern man diese nicht mit beispielsweise einem Praktikum in der Krankenpflege verbringen muss.

Katharina:
[47:35] Oder einer Wiederholungsklausur.

Fabian:
[47:38] Oder auch das soll es geben. Und dem schließt sich dann das dritte Semester an.

Makroskopische Anatomie

[47:43] Wir haben zusammenfassend im ersten Semester ein bisschen allgemein über Anatomie gesprochen und schon mal die Knochen gelernt.
Im zweiten Semester ging es dann schon relativ intensiv weiter.
Wir haben uns angeschaut, wie Organe und Gewebe unter dem Mikroskop ausschauen und uns anschließend sehr detailliert mit dem Aufbau des zentralen Nervensystems und im Groben des peripheren Nervensystems beschäftigt.
Das ist quasi unsere Grundlage, auf der aufbauend wir jetzt in den Präparierkurs reingehen, der das heutige Hauptthema sein soll.
Und da ich ja selbst den Kurs einmal absolviert habe und auch Studierende betreut habe, fällt es mir in dem Bereich natürlich ein bisschen schwer, Laien-Fragen zu stellen, die wir aber natürlich vorher gesammelt haben.
Ich werde mich also ein wenig dumm stellen und einfach mal Fragen stellen und diese aber dann vielleicht auch einfach mit beantworten.
Genau, wir haben ein bisschen was zugeschickt bekommen, was die Leute so interessiert und relativ hoch auf der Top-Liste:

Körperspende

[48:51] Woher kommen die Leichen, die ihr präpariert?
Im Präparierkurs werden Leichen seziert und die müssen ja irgendwo herkommen. Mag einer von euch erzählen? Weiß er das genau?

Katharina:
[49:04] Ich kann mal auf jeden Fall damit anfangen. Ich weiß nicht, wie weit ich ausholen soll.
Es ist auf jeden Fall, dass es früher ethisch oft nicht ganz korrekt ablief.
Also „früher“ ist schon eine Weile her, irgendwie zu Kriegszeiten oder so.
Inzwischen ist es aber so, dass man sich freiwillig zur Körperspende melden kann. Man muss dafür mindestens 50 Jahre alt sein und dann kann man sich in der Anatomie, direkt im Institut informieren und dann auch,
ich weiß es tatsächlich nicht genau, ob man sich bewerben muss oder ob man sich einfach anmelden kann. Ich könnte mir vorstellen, dass gewisse Menschen nicht aufgenommen werden.
Aber auf jeden Fall kann man das freiwillig machen.
Und genau, die Körperspender, die sich für dieses Programm oder für dieses Prozedere nach dem Tod entscheiden freiwillig,
die werden dann nach ihrem Tod haltbar gemacht, je nachdem was die weitere Bestimmung ist, weil es an der Uni Halle da zwei verschiedene Möglichkeiten gibt. Entweder man wird, wie Fabian vorhin erklärt hat,
fixiert, also quasi haltbar gemacht, damit man auch mehrere Monate später an dieser Leiche präparieren kann. Oder die Leichen werden tatsächlich,

[50:30] ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, aber ich glaube, die werden eingefroren, weil auch an einem Teil der Leichen quasi Weiterbildungen für sehr komplizierte Operationen oder sowas durchgeführt werden.
Einfach weil es ist natürlich nicht zu verantworten, dass ein junger, unerfahrener
Arzt oder eine Ärztin einfach mal ins kalte Wasser geschmissen wird und das dann irgendeinem Patienten ausprobiert, sondern wirklich komplizierte Operationen dann halt im Vorhinein an Leichen geübt werden können.

Johannes:
[51:00] Also man muss halt wirklich klarstellen, die heutigen Körperspender tun das auf völlig freiwilliger Basis zu Lebzeiten.
Also es ist auf jeden Fall angedacht und, ich glaube auch, obligatorisch
ein Gespräch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Anatomie zu suchen, weil das ja auch eine schwerwiegende Entscheidung ist, unter anderem auch für die Angehörigen. Denn man muss sich vor Augen führen,
dass sich dadurch die Beisetzung der Verstorbenen um zwei bis drei Jahre verzögern kann und
damit natürlich eine ganz ungewöhnliche Situation für die Angehörigen gegeben ist, die dann mit dem Trauerfall nicht so schnell abschließen können, wie das unter den üblichen Umständen der Fall ist.
Und die Beweggründe der Leute sind völlig unterschiedlich.

[51:49] Sehr viele machen es halt, weil sie in besonderer Dankbarkeit für die Medizin sich sozusagen dafür entscheiden, um der Wissenschaft weiter zu dienen quasi.
Aber es gibt ganz unterschiedliche Beweggründe
sicherlich. Allerdings muss man dazusagen, dass es aus rein finanziellen Beweggründen zumindest in Halle weitgehend ausgeschaltet wurden.
Dadurch dass man sich nicht kostenlos Spenden darf, sondern einen gewissen Unkostenbeitrag zu der Beisetzung selbst beitragen muss und dadurch
zumindest die Möglichkeit, dass sich jemand nur deswegen spendet, um Beerdigungskosten zu umgehen, möglichst umgangen werden soll. Genau.

Fabian:
[52:34] Wobei man sagen muss, dieser Beitrag liegt bei, ich glaube, 600 bis 800 Euro irgendwo in diesem Bereich.
Das würde natürlich noch keine Beerdigung abdecken und schon gar nicht Eine, wie sie die Universität dann bezahlt. Vielleicht noch ein bisschen zum Prozess:
Es ist tatsächlich so, dass die Leute sich beim anatomischen Institut ihrer Region anmelden und dann ist es vergleichbar mit einer Organspende.
Man bekommt quasi einen Körperspender-Ausweis. Organspende und Körperspender schließen sich logischerweise gegenseitig aus.
Ich kann nur eins tun. Wäre der Tote jetzt quasi schon in den Organspende-Prozess übergegangen,
dann wäre die Leiche für den Präparationskurs nicht mehr geeignet,
einfach weil die Organe, an denen man lernen soll, ja fehlen.

[53:25] Und man hat dann diesen Ausweis und sollte es dann zu der Situation kommen, dass man verstirbt, und das Bestattungsinstitut findet diesen Ausweis, dann wissen die Bescheid und kommunizieren das dann mit dem Anatomischen Institut und organisieren die Anfahrt,
woraufhin dann der erklärte Präparations- beziehungsweise
Fixierungsprozess oder die Einfrierung erfolgen.
Es kommt tatsächlich gelegentlich mal vor, dass registrierte Körperspenderinnen und -spender abgelehnt werden, trotzdem noch. Das passiert vor allen Dingen bei schweren Unfällen, wenn
der Leichnam so stark beschädigt wird, dass es nicht mehr möglich ist, daran zu lernen.
Es geht ja in der Präparationskurs maßgeblich darum, die gesunde Struktur kennenzulernen.
Natürlich hat jeder Mensch, insbesondere im hohen Alter, seine individuellen Erkrankungen, die er oder sie mitbringt, aber grundsätzlich sollte der Körper insgesamt schon vorhanden sein.
Und wenn es zu massiven Traumaverletzungen gekommen ist, dann muss man das ablehnen.

[54:33] Genau. Und ich glaube, tatsächlich ist es interessanterweise so, dass die anatomischen Institute relativ viele Registrierungen haben.
Es ist gar nicht so, wie man denken würde, ein totaler Mangelbereich, sondern ich habe im Vorhinein ein bisschen recherchiert,
die meisten Institute scheinen relativ gut abgedeckt zu sein, was das angeht. Okay, wir haben die Leichen, die sind fixiert und im anatomischen Institut vorbereitet.

Die Erste Präparation

[55:00] Die Studierenden kommen ins dritte Semester und jetzt ist der erste Moment in dem quasi Körperspenderinnen und -Spender und Studierende aufeinanderprallen.
Der erste Präparationstag und darauf bezieht sich gleich die zweite Frage: Wie werden Studierende denn auf den Präp-Kurs vorbereitet?

Katharina:
[55:19] Das ist tatsächlich in Halle, finde ich, sehr gut gemacht.
Das hat auch Frau Professor Kielstein, die Leiterin des anatomischen Instituts, so eingeführt, dass man eigentlich langsam daran herangeführt wird und zwar wird
eigentlich, bevor man wirklich Kontakt mit einer Leiche in diesem Präpariersaal,
wird eine Körperspenderin, Körperspender in eine Vorlesung geholt und dann langsam Schritt für Schritt abgedeckt.
Man sieht erst quasi nur die Liege mit dem abgedeckten Leichnam und der wird dann Schritt für Schritt abgedeckt, sodass alle Studierenden Zeit haben, sich
daran zu gewöhnen oder sich ein bisschen darauf einzulassen, weil es für Viele womöglich auch der erste Kontakt mit einem Toten ist und das auch einfach nicht ohne ist.
Und dass das wirklich auch langsam ist, damit man da nicht irgendwie emotional überladen wird.
Und auch am ersten Kurstag an sich, wo man dann auch zum ersten Mal quasi seinen Körperspender sieht oder die Körperspenderin, an der man das nächste halbe Jahr halt mit seiner Gruppe arbeiten wird.
Da ist auch eine Psychologin vor Ort.

Johannes:
[56:46] Kirchliche Betreuer.

[56:54] Am ersten Präparationstag war es tatsächlich so, dass die Körperspender erst einmal alle abgedeckt waren und man dann zu seinem Körperspender quasi geführt wurde
und sich dann quasi erstmal daran gewöhnte.
Und ich fand es sehr gut, dass es auch irgendwie Beistand erstmal gab, weil man ja dann doch nochmal viel mehr, als in der Vorlesung davor,

an der Person dran ist. Man weiß dann auch, an welcher Person man Arbeiten wird. Man sieht die ja vor sich liegen und man kann auch mal herumgehen, um sich die anderen anzuschauen.
Und ich fand es auf jeden Fall sehr gut, dass beispielsweise auch eine Psychologin, die wir bereits im ersten Semester gehabt hatten als Beistand, irgendwie da war in dieser emotional doch
erst einmal schwierigen Situation.
Und dann geht es aber tatsächlich auch schon relativ schnell los.
Bereits am ersten Tag beginnen die ersten Präparationsschnitte quasi.
Wenn man dann, ja, sich schon ein bisschen erst einmal recht seltsam fühlt.Fabian:
[58:04] Genau. Man nimmt das besagte, vorhin schon erwähnte Präparationsbesteck mit in den Kurs und beginnt klassischerweise mit einem einfachen Hautschnitt.
Ich weiß gar nicht, bei uns war das damals irgendwie Rückenseitig im Bereich, nicht des Brustkorbs, sondern der obere Rücken und ist erstmal damit beschäftigt, die Haut vom Rücken zu entfernen.
Man schneidet quasi die Haut ein und ist dann erstmal eine Weile dabei die Fettschicht, die unter der Haut liegt, zu entfernen, weil
die natürlich die weitere Bearbeitung stört. Und wenn ich mich daran erinnere, haben das in dem Umfeld, in dem ich gearbeitet habe, alle relativ gut verkraftet.
Gab es bei euch im Kurs Leute, die emotional so ein bisschen, na, vielleicht nicht zusammengeklappt sind, aber die das doch ein bisschen überfordert hat?
Katharina:
[59:02] Ganz am Anfang, kann ich mich jetzt nicht daran erinnern.
Es gibt schon Leute, die sehr damit gehadert haben, gerade wenn man das Gesicht quasi sieht von der Toten oder dem Toten. Das löst schon bei Vielen was aus.
Es sind aber zum Beispiel die Haare entfernt.
Es sieht nicht mehr so … oder der Leiche wird auch so ein bisschen vielleicht dadurch die Persönlichkeit genommen oder da so krass emotionale Merkmale, an denen man es festmachen kann.
Genau. Was ich fast noch krasser fand,
vielleicht kommt das auch später noch, wenn die Leichen dann wirklich auch zerteilt werden, wenn man halt Bereiche in der Schädelmitte oder so präpariert.
Das fand ich fast noch ein bisschen krasser, weil man dann halt plötzlich da so einen halbierten Schädel vor sich hat, an dem man dann halt präpariert.Johannes:
[1:00:03] Ich glaube, das hängt sehr davon ab. Also in unserem Präparationsteil oder Teil des Saals
hatte, glaube ich, keiner so ganz offensichtliche Probleme, aber es gab durchaus Leute, die da wirklich sehr schwer schon zu Beginn damit zu kämpfen hatten,
weil man ja auch relativ zügig dann tatsächlich loslegt und es ein ganz seltsames Gefühl ist, plötzlich, auch wenn es sich um einen Toten handelt, in die Haut rein zu schneiden und so richtig daran zu arbeiten.
Aber Kathi hat schon recht, es gibt auch noch später im Präparierkurs einige Momente, in denen man ja zumindest mal mit sich hadert und dabei sehe ich auf jeden Fall, dass da einige teilweise echt überfordert waren kurzzeitig.

Kursalltag

Fabian:
[1:00:52] Gehen wir mal vielleicht einen Schritt weiter und sprechen so ein bisschen über die allgemeinen Rahmenbedingungen, nach denen auch häufig gefragt wurde.
Vielleicht kann man das ja besser visualisieren, wenn man es so ein bisschen erklärt. Es ist ein relativ breiter Saal. Der ist so lang, dass quasi zwei Tischreihen hineinpassen.
Wie nennt man das, Bahre? Zur Aufbahrung quasi. Und nach links und rechts gehen dann jeweils ungefähr 10 Reihen weg.

Katharina:
[1:01:25] Ich glaube insgesamt waren es bei uns 25 Körperspender.

Fabian:
[1:01:29] Also quasi in zwei Reihen und dann nach links und rechts gehen quasi die Tische ab, sodass es insgesamt etwa irgendwie zwischen 20 und 30 Körperspenderinnen und -spender auf

so Stahltischen, auf Bahren sind. Und man arbeitet in einer Tischgruppe.
Und wenn ich mich da erinnere, dann arbeitet man relativ intensiv zusammen.
Man ist in einem sehr engen Team für das nächste halbe Jahr, da man sich auch die Verantwortung über den Körperspender in der Gruppe aufteilen muss. Wie viele Leute wart ihr in eurer Gruppe?Johannes:
[1:02:06] Ich glaube 6. Genau. Allerdings muss man dazu sagen,
dass es zwei verschiedene Kurs-Tage gibt. Es gibt für jeden einzelnen Körperspender quasi zwei Gruppen, die aber zu verschiedenen Terminen
an diesem Körperspender arbeiten, sodass auch nicht beide Gruppen tatsächlich genau das Gleiche präparieren, sondern dass das auch
zwischen diesen beiden Gruppen aufgeteilt wird. Und zu der anderen Gruppe hat man selbstverständlich natürlich schon Kontakt, man muss ja über den Zustand
des Körperspenders kommunizieren,
aber mit denen arbeiten man natürlich nicht so direkt zusammen, wie mit seiner eigenen Gruppe.
Und letztlich sehen tut man natürlich dennoch, was die anderen präpariert haben und das muss man ja auch lernen.
Ja, aber es ist auf jeden Fall schon eine sehr enge Zusammenarbeit, die auch zusammenschweißt, wenn man in diesen, ja,
wie gesagt nochmal, emotionalen Momenten dann zusammen ist und sich gegenseitig beisteht.Fabian:
[1:03:09] Das kann auch zu großen emotionalen Verwerfungen führen, wenn es nicht so gut läuft im Team.
Der hohe Stress und die Arbeitsintensität führen natürlich dazu, dass manche Personen etwas reizbar sind.
Aber zumindest bei uns ging es damals alles relativ glatt. Ich hoffe, das war bei euch auch so.
Woher wisst ihr denn eigentlich, was ihr präparieren müsst? Das fand ich noch eine spannende Frage.
Wenn man sich das erstmal so vorstellt: Man steht jetzt mit einem Satz Messer vor so einer Leiche und soll jetzt präparieren. Dann klingt das erst einmal nach einer sehr unlösbaren Aufgabe.
Woher wusstet ihr, wie ihr präparieren sollt?Katharina:
[1:03:56] Es gibt so ein Heft, das die Präparier-Anleitung enthält, wo ziemlich genau drinsteht, was für den jeweiligen Kurstag vorgesehen ist,
welche Schnitte gesetzt werden müssen oder welche Muskeln oder Strukturen freigelegt werden sollen.
Es ist natürlich aber trotzdem so, dass man nicht von klein auf gelernt hat, wie man an einem Menschen präpariert, und deswegen ist man am Anfang immer sehr unsicher.
Und aus dem Grund gibt es verschiedene Arten der Betreuung, sag ich jetzt mal. Es gehen immer Dozierende rum und auch Tutorinnen und Tutoren, die einem
mit Rat und Tat zur Seite stehen und auch mal Hand anlegen und einem helfen. Dann gibt es noch die sogenannte ‚Master-Leiche‘, die ist in der Mitte und
da ist immer schon vorpräpariert, das, was am jeweiligen Kurs-Tag noch fertiggestellt werden soll. Das ist auch immer ziemlich gut, weil man dann so
sieht, welche Strukturen halt im Endeffekt dann freigelegt werden müssen und wie das Ganze zum Schluss aussehen soll.
Und dann, das war in unserem Semester neu, soll aber jetzt, glaub ich, komplett eingeführt werden, gab es oft im Vorhinein so Videos darüber, was genau präpariert werden muss.
Das hat auch so ein Studierender, der, glaube ich, darüber auch
promoviert hat, hat da so Video-Tutorials quasi verfasst. Das war auch sehr gut.
Man wird gut an die Hand genommen und an die Sache herangeführt.Fabian:
[1:05:24] Genau. Ich erinnere mich noch an meine Arbeit als Tutor im Folgejahr.
Da ist es gerade in den anfänglichen Stunden so, dass man auf relativ hilflose Studis trifft, die ein bisschen verzweifelt sind.
Es ist wie jede handwerkliche Arbeit etwas, was sich so mit der Zeit übt, denke ich.
Man kriegt dann auch Erfahrungen, wo man bestimmte Strukturen findet.
Also es geht ja bei der Präparation meistens darum, einen ganz bestimmten Nerven oder ein ganz bestimmtes Gefäß freizulegen, also irgendeine Struktur von Interesse, im späteren Anteil dann auch um Muskulatur,
die möglichst anschaulich dargestellt werden soll.
Am Anfang ist es eine verwirrende Mischung aus Strukturen, die man mitunter auch schwer auseinanderhalten kann, aber mit der Zeit entwickelt sich dann auch ein Blick und über das Semester, so hatte ich den
Eindruck, präparieren dann die Studierenden auch immer eigenständiger eigentlich, sodass man am Ende
gar nicht mehr so intensiv gebraucht wird als Tutor, zumindest was das angeht. Dann kommen wiederum andere Aspekte vor, die vor allen Dingen die Prüfungsvorbereitung betreffen, aber sprechen wir gleich noch ein bisschen darüber.

Katharina:
[1:06:45] Das ist nämlich, finde ich, auch ganz interessant, wenn es wirklich, wie du gerade gesagt hast, darum geht, irgendwie Strukturen zu finden oder freizulegen.
Generell glaube ich, hat jeder so seine Vorlieben, weil oft dann eher

grobmotorische Fähigkeiten gefordert sind oder man einfach auch nur ganz fein irgendwo Nerven rauszupfen muss oder irgendwo großflächig Fett entfernen muss oder so.
Es sind wirklich ganz unterschiedliche Sachen und
im Endeffekt, es geht darum, Strukturen zu finden und es ist wirklich so eine Art Arbeit. Man
muss sich an diese Präparier-Anleitung halten und die halt auch abarbeiten. Und man hat gute Tage, man hat schlechte Tage. Es ist ein sehr stressiges Semester.
Und es ist auch dann krass, wenn man dann wieder zwischendurch einen Schritt zurücktritt und dann merkt: Wow. Krass, das ist halt ein Mensch und das ist gerade für mich irgendwie so Arbeit und ich denke mir: Mist, ich muss das jetzt noch finden. Mist, eigentlich wollte ich jetzt schon in die Mensa gehen. Es ist schon voll spät und ich muss jetzt auch noch da und da hin. Das ist auch schon so eine Diskrepanz auf jeden Fall, die früher oder später bei jedem Auftritt.Fabian:
[1:08:04] Das mit der Mensa ist ein interessantes Phänomen.Katharina:
[1:08:07] Man kriegt halt Hunger von Arbeit.Fabian:
[1:08:10] Das stößt bei vielen, die das nicht kennen, auf Unverständnis,
aber der Appetit kommt nach den ersten Präparation schon relativ schnell wieder und hält sich dann über das ganze Semester.
Du hattest irgendwas, was du nicht mehr essen kannst, ne?Johannes:
[1:08:24] Ja, ich fand insbesondere nach dem Neuroanatomiekurs, dass der Geruch des Formalins verbunden mit dem Eiweiß, hat mich irgendwie..
Ich hatte ihn als etwas eiig empfunden und fand das irgendwie ein bisschen seltsam.

Fabian:
[1:08:46] Du bist seitdem kein großer Eier-Fan mehr?

Johannes:
[1:08:48] Nein.

Regeln Im Präparierkurs

Fabian:
[1:08:51] Eine Frage, die reinkam, war: Was für Regeln gibt es? Und warum? Ist jetzt die Frage, was mit Regeln gemeint ist.
Aber ich denke mal, es geht um allgemeine Verhaltensregeln bezüglich der Leichen, die natürlich eine bestimmte
Verhaltensethik irgendwie erfordern. Ist ja durchaus ein sensibler Bereich. Auch ein Grund, warum wir keine Fotos zeigen können, die wir sonst natürlich gerne eingebunden hätten, aber das ist
schon aus Gründen des Datenschutzes und auch aus ethischen Gründen nicht machbar.
Fallen euch wichtige Regeln ein, die euch herangetragen wurden?

Johannes:
[1:09:30] Ja, ich glaube, das meiste lässt sich eigentlich ganz einfach aus dem respektvollen Umgang mit dem Körperspender
ableiten. Zum Beispiel das mit den Fotos ist natürlich eine ganz wichtige Sache. Eine Verhaltensregeln war deswegen beispielsweise, keine Handys mit in den Präpariersaal zu nehmen.
Aus dem einfachen Grunde, dass das ja anonymisierte Personen sind. Wir wussten ja auch nicht, wie die heißen. Und dass Fotografien der Organe oder des Spenders selbst natürlich ein absolutes Tabu sind.
Deswegen war das natürlich ganz klar geregelt, dass beispielsweise das nicht möglich ist und ansonsten erinnere ich mich gar nicht an gar so viele Regeln,
außer, dass die Leute natürlich schon irgendwie drauf, oder dass darum gebeten wurde, respektvoll mit dem Körperspender umzugehen natürlich.
Aber ich finde, das Meiste ergibt sich irgendwie auch von selbst.

Katharina:
[1:10:26] Was ich dann noch als Regel anführen würde, ist, dass man darauf achten soll, dass man,
es klingt jetzt vielleicht logisch, aber dass man halt nichts durcheinanderbringt.
Unter jedem Körperspender, unter jedem Tisch steht so eine Tonne, wo alles von dem jeweiligen Körperspender oder der Körperspenderin reinkommt und da soll auch nichts verwechselt werden.
Einfach aus dem Grund, dass die nach dem Präparierkurs eingeäschert werden.
Man kann die natürlich nicht einfach so vergraben, weil die natürlich fixiert sind und deswegen nicht verrotten würden. Deswegen müssen die alle eingeäschert werden.
Und da wird auch sehr viel Wert darauf gelegt, dass da nicht alle zusammen irgendwie verbrannt werden und dann
in jede Urne ein bisschen Asche eingefüllt wird. Entschuldigung, dass ich das jetzt irgendwie so plump sagen muss, aber das ist wirklich sehr wichtig und
auch gut, dass man darauf achtet, dass man die Überreste dann eben respektvoll behandelt und guckt, dass man das auch wirklich
alles zusammen lässt, damit das halt irgendwie auch dann im Endeffekt für die Angehörigen, dass die da auch wissen:
Hier ist mein Mann begraben und sowas.

Johannes:
[1:11:49] Außerdem muss man sich ja wirklich um seinen Körperspender als Gruppe oder als zwei Gruppen kümmern.
Der Körperspender ist zwar dann nach der Fixation keinen Verwesungsprozessen mehr unterworfen, aber ihm droht die Austrocknung und
deswegen ist es zum Beispiel ganz wichtig, nach jedem Kurstag den Körperspender erneut zu befeuchten mit einem getränkten Tuch und so weiter abzudecken.
Und deswegen hat man auch noch neben der Präparation natürlich eine besondere Verantwortung für diesen Menschen.

Fabian:
[1:12:25] Tatsächlich ist es so, dass die Leichen sogar Handschuhe und Socken tragen,
da die Handflächen und Fußsohlen besonders der Austrocknung ausgesetzt sind und gleichzeitig diese Stellen
besonders komplexe Präparationsgebiete darstellen, die aufgrund der Winzigkeit der freizulegenden Strukturen allein schon eine große Herausforderung darstellen.
Dementsprechend ist das mit dem normalen Leichentuch gar nicht zu leisten,
dass das ausreichend befeuchtet wäre. Das wäre zwar im Prinzip feucht, aber nicht feucht genug, um hinterher daran vernünftig arbeiten zu können.
Und darum wird man relativ früh im Kurs aufgefordert entsprechend etwas wie eben einen Socken
mitzubringen, der dann dauerhaft mit dieser Fixierungslösungen getränkt bleibt, damit die Hände und Füße gut erhalten bleiben.
Eine Regel, die mir auf jeden Fall noch im Gedächtnis geblieben ist, ist die, die wir quasi gerade so ein bisschen brechen, aber dann eigentlich auch wieder nicht.
Man wird schon angehalten zumindest nicht in der Straßenbahn über den aktuellen Präparationsprozess
zu sprechen, gerade weil man natürlich im Verlauf des Semesters auch dazu neigt, die Sachen in einem Jargon darzustellen oder ein bisschen

[1:13:52] vielleicht in einem etwas schroffen Duktus.

[1:13:56] „Wir haben das Bein fertig gemacht.“ Und das könnte natürlich die Leute, die da sitzen, irgendwie dann sehr irritieren,
wenn man das gar nicht in so einen Kontext einordnen kann.
Es gibt natürlich kein Gesprächsverbot in dem Sinne. Man soll sich nur mit dem Tonfall, mit dem man vielleicht mit den eigenen Kolleginnen und Kollegen darüber spricht, sich dessen bewusst sein und den vielleicht in der Öffentlichkeit ein bisschen anpassen.

Atmosphäre Im Kurs

[1:14:21] Ich habe auf jeden Fall noch die Frage nach der Atmosphäre im Saal mir aufgeschrieben. Wie würdet ihr die beschreiben?

Katharina:
[1:14:28] Die Atmosphäre, das ist ganz interessant, weil am Anfang ist man ja wirklich
sehr aufgeregt und es ist alles neu und super spannend und irgendwann,
im Laufe des Semesters, kommt man halt auch immer öfters in Zeitnot und Zeitdruck und ist dann auch mal ganz schön gestresst und ist dann vielleicht auch mal sauer, weil irgendwas nicht funktioniert und dann muss man auch, keine Ahnung,
einfach wirklich wie eine stressige Arbeit dann, das noch irgendwie schnell fertig kriegen.
Gerade die Atmosphäre schwankt sehr stark im Laufe des Semesters.
Ich glaube aber trotzdem, dass wir das an unserem Tisch das eigentlich ganz gut hinbekommen haben, dass wir meistens ein Tisch mit ganz guter Laune waren.
Also ich hatte immer das Gefühl, dass wir ganz gut zusammengearbeitet haben und auch, wenn es mal nicht so gut lief,
oder wenn man gestresst war, weil irgendwie Prüfungen anstanden, trotzdem eigentlich die Stimmung hochgehalten haben und dafür gesorgt haben, dass wir uns gegenseitig aufbauen und dass es gut läuft.

Johannes:
[1:15:33] Also ich glaube auch, dadurch dass die Tutoren ja auch in unserem Alter sind und die einen ja zum Teil auch mit anleiten, ist man nicht die ganze Zeit in irgendeiner beengten und angespannten Atmosphäre, sondern
ein Großteil der Präparation, wenn man nicht kurz vor irgendeiner Zeitnot ist, hatte ich das eigentlich immer als eine relativ muntere Atmosphäre zumindest empfunden, die auch es leichter macht, damit umzugehen,
würde ich sagen. Denn, ja, wenn die Leute nicht völlig angespannt sozusagen wie
manisch an ihrem Gebiet herum schnippeln, sondern
einfach zumindest prinzipiell nicht schlecht gelaunt sind, dann ist es natürlich auch, wirkt sich das auch positiv auf das Verhältnis, finde ich, zu dem Körperspender aus, zu dem man ja auch eine
ganz seltsame Art Beziehung entwickelt, weil man die Person ja gar nicht selbst kannte,
sondern nur noch als toten Menschen vor sich hat und dann die verschiedenen Eigenheiten der Anatomie kennenlernt.
Aber irgendwie erleichtert das auch so eine, ja, fast so ein … naja freundschaftlich kann man nicht sagen, aber so eine gute Beziehung zu dem zu dem Menschen, der sich da gespendet hat, genau.

Fabian:
[1:16:53] Also wenn gelegentlich mal Gäste in den Präparierkurs kamen, das gibt es bei uns vor Ort zumindest, dass auch Leute, die vielleicht andere Gesundheitsberufe lernen, da mal mit reingucken dürfen,
habe ich oft erlebt, dass die gesagt haben: „Naja, das ist ja gar nicht wie in einer Leichenhalle.“
Ich finde, das trifft es ganz gut. Es ist eben nicht, wie man es erwarten würde, vielleicht eine gedrückte Leichenhallen-Stimmung.
Wir tragen ja auch weiß und nicht schwarz und arbeiten da den ganzen Tag. Das wäre auch gar nicht haltbar so eine Trauerhaltung.

[1:17:30] Man ist sich zwar schon durchaus bewusst, in welchem Raum man sich gerade befindet und was man gerade tut, aber auf der anderen Seite setzt ja auch eine gewisse Arbeitsroutine ein.
Man verbringt ja sehr viele Stunden in diesem Saal und mit den Leuten um einen herum, sodass es sich dann mit der Zeit wirklich auch auflockert
und in vielen Teilen dann auch entspannt.
Ihr hattet ja schon angesprochen, es gibt sicherlich auch immer mal wieder Momente, wo man nochmal relativ drastisch darauf hingewiesen wird, was man gerade tut.
Du hattest gesagt, das Absetzen des Kopfes zum Beispiel oder die Sagittalspaltung, also quasi das Teilen des Kopfes, um quasi an die inneren Gefäße zu kommen.
Das ist sicherlich ein Moment, wo die Stimmung vielleicht nicht kippt, aber dann doch noch einmal etwas umschlägt.
Aber über weite Teile des Kurses, hatte ich eigentlich immer das Gefühl, oder sagen wir mal so, ich bin schon auch gerne in den Saal gegangen.
Also ich hatte da jetzt nicht die ganze Zeit die Befürchtung, jetzt wird es hier wieder ganz schlimm.

Katharina:
[1:18:41] Kommt natürlich da auch dazu, dass es natürlich tote Menschen sind, die da liegen. Aber spätestens, wenn man
die Körper aufschneidet und damit arbeitet, merkt man schon, dass es einfach durch die Fixierung, sie sehen jetzt auch ein bisschen anders aus, als
normale Tote, sag ich jetzt mal einfach, weil die Gewebe auch eine andere Konsistenz haben und so.

Johannes:
[1:19:09] Und weil man ja auch gar nicht so sehr die Farben eines frischen Verstorbenen vor sich hat, sondern durch die Fixierung
auch allgemein eine ziemlich ähnliche Blässe an vielen Körperteilen vorherrscht und es dadurch nicht ganz so lebendig mehr aussieht.

Fabian:
[1:19:29] Ein markanter Punkt ist sicherlich, der schon einmal angesprochene Geruch.
Es ist schon intensiv. Es riecht aber eigentlich nicht nach klassisch Leiche.
Es gibt ja diesen typischen Leichengeruch, der mit zunehmender Verwesung auch intensiver wird.
Auf diesen trifft man dann beispielsweise im späteren Rechtsmedizinkurs, auf diesen Geruch. Im Präparationskurs ist
eben durch die Fixierung eher dominierend ein stark chemischer Geruch nach Lösungsmitteln. Das Formalin ist ja eine Formaldehydlösung. Das tötet jegliche
Verwesungsbakterien ab und sowieso überhaupt so ziemlich alles, was irgendwo und irgendwie kreucht und fleucht.
Und dadurch riecht es eben sehr dominant nach Lösungsmittel, und spätestens nach 15 Minuten Aufenthalt riecht man selber eben auch wie ein Fass Lösungsmittel,
was in benannter Straßenbahn zu etwas empörten Blicken führen kann und es möchte keiner mehr neben einem sitzen, weil man irgendwie komisch riecht.

Prüfungen

[1:20:33] Wir kommen zu einem weiteren Themen-Aspekt, den ich wichtig finde, zu betonen.
Wir hatten ja auch schon angesprochen, dass es sich wie Arbeit anfühlt, es ist vor allen Dingen auch tatsächlich eine reguläre Studienleistung.

[1:20:48] Wer in Deutschland eine ärztliche Approbation erwerben möchte, muss diesen Kurs durchlaufen. Das ist nicht optional. Und er muss auch abschließen. Und zum Abschluss des Kurses gehören hier vier Prüfungen,
die unter dem Semester laufen und sich auf die Präparationsgebiete beziehen.
Das heißt, man präpariert ein Gebiet und schon in der Woche danach quasi kommt dann die Prüfung und damit gilt dann dieser Körperteil als abgeschlossen und man schreitet zum nächsten Körperteil voran.
Bei uns war das quasi in der Reihenfolge:
Brustkorb, also Herz, Lunge, Rippen und der Rückenbereich. Dann der Bauch, also die ganzen Bauchorgane: Darm,Magen,
Milz, Leber, Gallenblase, Nieren. Dann folgten die Extremitäten, also Arme und Beine,

für mich ein ganz besonderer Schrecken. Und zuletzt, abschließend dann Hals, Kopf und insbesondere dann halt Gesicht und auch die inneren Schädelhöhlen und Durchtrittslöcher von Nerven im Schädel.
Genau, wie habt ihr eure Prüfungen so empfunden?
Das waren ja schon straffe Tage, insbesondere die letzte Woche davor,
wenn man dann intensiv lernen musste.

Katharina:
[1:22:17] Genauso, es ist so, die Präparationsgebiete waren eigentlich, wie bei dir beschrieben, nur dass wir erst Hals, Kopf hatten und dann Extremitäten, das wurde getauscht.
Und dann hat man für jedes Gebiet
so eine Liste, die man schon während der ganzen Kurstage abarbeitet, wo aufgelistet ist, einfach welche Sachen man finden muss. Es klingt jetzt vielleicht
so, ja, das ist doch irgendwie logisch, das ist doch alles da.
Aber gerade, wenn es an kleine Gebiete geht, wie zum Beispiel am Auge oder so,
dann ist es plötzlich nicht ganz klar, weil manche Nerven und andere Gefäße wirklich so winzig sind oder so schwer zu finden, dass man da manchmal ganz schön am rödeln ist irgendwie sein
Arbeitsgebiet fertig zu kriegen, weil man einfach nicht auf besagte Struktur stößt und einfach nicht weiß, wo man noch danach suchen soll.

[1:23:18] Das versetzt einen manchmal auch ganz schön unter Druck, weil es natürlich sein kann, wenn man diese Strukturen nicht findet, dass man, wenn man in der Prüfung danach gefragt wird, die dann auch nicht an seinem eigenen Körperspender zeigen kann, womit ich quasi
zur Prüfung an sich komme. Da war es nämlich so, dass man diese Strukturen, die man eben finden musste, da musste man immer einige davon zeigen an der eigenen Leiche,
und dann musste man auch zu diesem Gebiet dann noch Theorie-Fragen beantworten. Und so hat man sich dann letztendlich auch auf die Prüfung vorbereitet, dass man
seinen Körperspender oder die Körperspenderin soweit vorbereitet hat, dass sie sozusagen für die Prüfung fertig war und man dann auch gleichzeitig noch geübt hat, wo welche Strukturen sind.
Also man hat sich dann gegenseitig abgefragt: „Zeig mir doch mal das. Zeig mir doch mal den Muskel oder den Nerv.“ Und parallel dazu hat man die Theorie-Fragen sozusagen gepaukt.

Johannes:
[1:24:19] Ja, und dann bei der Prüfungssituation selber, ist die ganze Gruppe durchaus auch anwesend. Man stellt sich dann halt in einer Reihe auf und wird dann nacheinander geprüft und das ist natürlich eine spannungsreiche Situation, aber dennoch fand ich sie eigentlich tatsächlich gar nicht so sehr von anderen Prüfungssituation verschieden.

Katharina:
[1:24:38] Nur, dass es halt an einem echten Menschen ist.
, glaub ich,
Fabian:
[1:24:42] Das ist jetzt relativ interessant, weil euer Prüfungssystem ein anderes ist, als das, was ich noch kennengelernt habe.
Ich habe im ersten Jahrgang studiert, in dem das ausprobiert wurde.
Wir hatten noch die ganz klassische anatomisch mündlich praktische Prüfung, bei der man halt antreten musste

 

[1:25:05] und relativ willkürlich in dem Gebiet, um das es sich jetzt eben
hier handelte, nach anatomischen Strukturen gefragt wurde und diese dann auch vorzeigen musste. Und eben das, was ihr gerade beschrieben habt, dieses sehr strukturierte und diesen vorgefertigten Katalog mit Strukturen,
den gab es in der Form noch nicht. Es war im Prinzip vorgegeben, dass alles, was in dem Skript, in dem Präparationshandbuch beschrieben wird, muss freigelegt sein und vorzeigbar.
Wobei durch diese Offenheit der Prüfung, es auch durchaus auch immer mal wieder vorkam, dass etwas anderes geprüft wurde und, wenn es nicht präpariert war, dann musste man zumindest theoretisch darlegen, wie man es jetzt präparieren würde.
Und eben dadurch, dass die Prüfungen dadurch eben relativ wechselhaft waren, hat die Institutsleiterin dann eine Objektivierung der Prüfung angeregt, sodass jetzt nach einem

[1:26:04] festgelegten Fragenkatalog geprüft wird und eben nur bestimmte Strukturen, die schon während des Präparationsprozesses eingefordert wurden, sodass man eben nicht dann dasteht und sagt: „Oh Gott, das habe ich ja noch nie gehört.“
Und auf diesen Moment kann man stoßen, denn auch, wenn man sich ein halbes Jahr sehr intensiv der makroskopischen Anatomie widmet,
es gibt Strukturen, von denen hat man noch nie gehört Und ein erfahrener Dozierender in der Anatomie kann einen da sehr aufs Glatteis führen, sofern er, sie das denn gerne möchte.
Ja, aber finde ich im Prinzip eine gute Sache, dass man das so ein bisschen objektiviert hat und ein bisschen standardisiert, denn so hat man auch einfach eine bessere Idee davon, was man eigentlich lernen muss und was relevant ist.

Katharina:
[1:26:51] Und es ist eben auch fair gegenüber den Studierenden.

Beisetzung Der Körperspender/-Innen

Fabian:
[1:26:54] Jetzt habt ihr diese vier Prüfungen bestanden und der Präparierkurs ist abgeschlossen und wir gehen quasi zum offiziellen Abschluss des Präparationskurses, der liegt nämlich im Prinzip im vierten Semester.
Die Beisetzungen der Körperpenderinnen und -spender, wenn alle Prüfungen gelaufen sind und die Anatomie-Lehrbücher schon wieder ins Regal gestellt sind, dann kommt es zum offiziellen Kurs-Abschluss.
Die Leichen werden kremiert und die Universität, beziehungsweise die medizinische Fakultät in dem Fall, veranstaltet
eine festliche Beerdigung, bei der tatsächlich dann auch die Studierenden eine nicht unerhebliche Rolle haben. Mögt ihr mal beschreiben, wie Ihr das so wahrgenommen habt? Ihr seid ja quasi frisch von der Beerdigung. Das ist ja gerade mal weniger Tage her.

Johannes:
[1:27:45] Ja es ist so, dass auf jeden Fall gewünscht ist, dass eigentlich jeder Studierende einen gewissen Anteil an der Beisetzungsfeier nimmt.
Es gibt zwei Beisetzungsfeiern, weil das mit der Zahl der Körperspender so besser zu vereinbaren ist,
und die Studierenden nehmen an ganz unterschiedlichen Teilen der Feier so als Mitwirkende teil.
Zum Beispiel singen einige im Chor, andere spielen ein Instrument, halten eine Rede, weisen Angehörigen Plätze zu und dergleichen, tragen die Urnen,
das ist auch ganz wichtig. Und haben damit einen ganz tragenden Anteil an der Beisetzungsfeier auf jeden Fall, die auch sehr ernst und respektvoll gestaltet ist.
Die Urnen werden dann nach der eigentlichen Feier sozusagen zu einem Gräberfeld überführt, wo sie dann anonym beigesetzt werden.
Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, wenn man sich davor dafür entscheidet, sich in einem Familiengrab beisetzen zu lassen.
Diese Möglichkeit wird allerdings von relativ wenigen Körperspender wahrgenommen.
Die meisten ziehen das schon vor bei der tatsächlichen
Beisetzungsfeier auf diesem anonymen Gräberfeld hinab gelassen zu werden und dort auf dem Gräberfeld selbst,
wird für jede einzelne Urne der Name des beigesetzten Menschen verlesen, sodass die Angehörigen auch genau wissen, an welcher Stelle

[1:29:15] ihr Vater, ihre Mutter, ihre Tante oder wer auch immer tatsächlich liegt.

Katharina:
[1:29:24] Ich weiß nicht genau, du meintest gerade irgendwie mit anonym. Man kann sich anonym beisetzen lassen, aber ich glaube,
es ist schon so, dass nach der Einäscherung wieder der Körper mit dem richtigen Namen quasi schon wieder in das Grab kommt, also dass das sich zuordnen lässt.
Wir Studierenden wissen zwar nicht, wer das war, an dem wir sozusagen den Präp-Kurs gehabt haben.
Aber danach werden der Name und die dazugehörige Person wieder vereinigt und dann dort in einer sehr feierlichen Beisetzung beigesetzt.

Fabian:
[1:30:01] Genau. Es gibt ja auch an den Leichen immer eindeutige Identifikatoren.
So kleine Bändel irgendwie mit einer Zahl drauf am Fuß
Auf die im Prinzip auch während des Kurses hoch und heilig geachtet wird, damit es auf gar keinen Fall zu einer Verwechslung kommen kann, und die medizinische Fakultät immer weiß, zu welchem Namen jetzt die entsprechende Leiche gehört.
Das finde ich auch wichtig, dass man hinterher das noch zuordnen kann und es nicht ein Potpourri wird, wo am Ende keiner weiß, wer, was, wo, wie genau war.

Katharina:
[1:30:36] Total. Und auch bei der Beisetzung … Man sieht die unterschiedlichsten Angehörigen auf jeden Fall dorthin kommen.
Ich denke, dass es für viele auch sehr schwierig oder auf jeden Fall krass ist, dass halt
vielleicht ein, zwei oder noch mehr Jahre vergangen sind, bis man den Verstorbenen und die Verstorbene dann letztendlich beisetzen kann.
Aber trotzdem hatte ich den Eindruck, dass die meisten Leute, die da waren, das sehr schön fanden, dass sich die Studierendenschaft und so auch etwas überlegt und feierlich beschreitet.
Ich weiß nicht, ob das irgendwie eine Art von Würdigung auch nochmal ist, die bei denen dann auch ankommt.
Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass viele von denen das schon positiv aufgefasst haben, so wie das gestaltet ist.

Johannes:
[1:31:31] Tatsächlich besteht auch für künftige Körperspender die Möglichkeit an einer solchen Beisetzungsfeier teilzunehmen, was für viele ja auch wichtig ist, die wissen wollen, wie wird mein Körper nach dem eigentlichen Präparierkurs oder nach der Zeit, nach der die
Bearbeitungen an meinem Körper abgeschlossen sind, …
Wie werde ich beigesetzt? Es ist natürlich noch seltsamer sozusagen,
sich bewusst zu machen, dass auf der Beisetzungsfeier auch künftige Körperspender teilnehmen teilweise,
ja, aber dadurch kann den Körperspendern zumindest auch schon im Voraus klar sein, wie das ablaufen wird,
denn es ist jedes Jahr sehr ähnlich.

Take-Home-Message Aus Dem Präparationskurs

Fabian:
[1:32:13] Alles klar. Dann würde ich zur abschließenden Frage kommen, zu unserem letzten Gesprächspunkt: Was habt ihr für euch mitgenommen aus dem Kurs? Ist euch ein Moment vielleicht besonders in Erinnerung geblieben?
Hattet ihr eine überraschende Entdeckung? Oder habt ihr einfach nur für euch ein Fazit geschlossen? Wo ihr sagt, dass wird mich in meiner medizinischen Laufbahn sicherlich noch sehr lange begleiten.

Katharina:
[1:32:40] Auf jeden Fall ist es ganz generell so, dass man viel anhand von Lehrbüchern lernt.
Es gibt inzwischen sehr gute Atlanten, die wirklich extrem gut darstellen ,wie was aussieht und dann auch mit Funktion und
dann auch in verschiedenen Farben, dass man sich das ein bisschen vorstellen kann, wie das dann im Körper liegt,
aus allen möglichen Ansichten irgendwie Beine, Organe, alles Mögliche dargestellt. Und trotzdem bin ich der Meinung, dass es einfach nicht diesen Kurs ersetzt, weil man einfach sieht, wie
unterschiedlich die verschiedenen Menschen sind und das
halt auch einfach tatsächlich es manchmal unvorstellbar ist, wie klein irgendein Nerv oder so ist, gerade an der Hand.

Ich kann mich noch so genau daran erinnern. Oder am Auge, wie krass fein da irgendwelche Nerven, oder am Finger Sehnen oder so sind, dass man sich denkt: Boah.
Das hab ich jetzt in stundenlanger Präparationsarbeit irgendwie gefunden.
Und dann gibt es offensichtlich Chirurgen, die, wenn
sich jemand mit einem scharfen Messer den halben Finger abschneidet, die es irgendwie hinkriegen wieder diesen Nerv und diese Arterie wiederzufinden und das sogar noch zusammenzunähen, wo man sich noch nicht einmal vorstellen kann,[1:34:01] dass man da irgendwie irgendwas zusammennähen kann, weil das eh schon so klein ist.
Das hat mich wirklich nochmal beeindruckt und deswegen glaube ich auch, dass dieser Kurs unersetzbar ist.
Das ist einfach schon nicht das Gleiche wie im Buch.Johannes:
[1:34:20] Ja, ich muss sagen, bevor ich begonnen habe Medizin zu studieren, habe ich tatsächlich auch sehr genau darüber nachgedacht, was das mit mir machen würde, so menschlich

und habe mich dann aber doch dafür entschieden. Und jetzt im Nachhinein, kann ich auch sagen, dass ich jetzt nicht das Gefühl habe, dass es mich irgendwie zum Negativen verändert hat.
Ja, ich kann auch nur wie Kathi sagen, dass man sehr viel Respekt gewinnt für die Kleinteiligkeit, aber auch für die Verschiedenheit und Variabilität von ganz vielen Strukturen.
Das ist teilweise sehr erstaunlich. Man hat ja auch die Möglichkeit immer im Saal herumzuschauen,
wie bestimmte Sachen bei anderen Körperspendern aussehen, von denen man ja auch zumindest die Todesursachen und Nebenerkrankungen aufgeführt hat, und kann dann ganz verschiedene
Arterienverläufe manchmal. Manche Körperspender sind ja auch alt gewesen, haben deswegen häufig auch schon irgendwelche altersbedingten Krankheiten gehabt, sind an Krebs gestorben, an einem Herzinfarkt, hatten

[1:35:29] Amyotrophe Lateralsklerose und dergleichen.
Also was ich zum Beispiel in unserem Körperspender auch ganz interessant fand, dass es da einen Muskel zum Beispiel gab,
wo selbst die Dozenten gerätselt hatten, was das eigentlich für einer sein könnte, und wir dann auf eine ganz seltene Muskelvarietät gestoßen sind.
Und das ist zwar eher so ein kleines Kuriosum, weil der funktionell nicht von so großer Relevanz ist,
aber das zeigt natürlich auch auf, wie man in seiner späteren chirurgischen Tätigkeit auch auf ganz verschiedene Variabilitäten gefasst sein muss.

Katharina:
[1:36:06] Ich weiß auch nicht, wie es dir dabei ging, aber ich finde, man freut sich dann auch, wenn man irgendwas Besonderes entdeckt oder so …
Eigentlich hat man ja selber nichts damit zu tun und hat ja irgendwie nix davon, aber irgendwie ist es dann so total …
Erst denkt man sich so: Hä? Was ist das denn? Und rätselt so rum und fragt nach und guckt sich irgendwelche Abbildungen an und dann freut man sich richtig, wenn irgendwas ’special‘ ist oder so.. Mir ging es zumindest so.

Johannes:
[1:36:36] Ja, das stimmt.

Fabian:
[1:36:39] Ich muss rückblickend sagen, dass ich den Kurs eigentlich für eine schöne Metapher halte
für die spätere medizinische Tätigkeit.
Denn diese Ambivalenz aus der Situation, in der man sich befindet, … man arbeitet mit Leichen. Das ist eigentlich ein
Bereich, der schon auch ethisch-moralisch hohe Anforderungen stellt, der einem vielleicht auch sehr unangenehm sein kann im ersten Moment. Und auf der anderen Seite, diese Arbeitsamkeit

stellt eigentlich guten ersten Kontakt mit einer Ambivalenz,
auf die man im Berufsleben später auf jeden Fall trifft, nämlich man trifft auf Patientinnen und Patienten, die
den schlimmsten Tag ihres Lebens haben, weil sie ins Krankenhaus kommen und todkrank sind, und man selber in einem Routine-Arbeitsmodus ist, weil man schon sein ganzes Leben im Krankenhaus verbracht hat und das ist jetzt auch schon der 16. mit einer Lungenembolie.
Ja, mein Gott.[1:37:43] Und ich glaube, wenn man sich bewusst macht, dass man eben in solchen Ausnahmesituationen tätig ist, also
in einem besonderen Umfeld, dass andere Leute total verschreckt oder in einen emotionalen Ausnahmezustand versetzt, das einen selber emotional erstmal nicht mehr so affektiert, eben weil das für einen selbst Routine ist und Normalität.
Ich glaube, wenn man sich das bewusst macht, dann kann man aus diesem Präparierkurs auch auf einer Meta-Ebene sehr viel mitnehmen,
eben weil man versteht: OK. Für mich ist das Alltag, aber für die Person, die mir jetzt hier gegenübersitzt, ist es wirklich das Schlimmste, was ihr je zugestoßen ist und ich muss mich irgendwie darauf einlassen,

darf aber natürlich auch nicht so weit irgendwie das kippen lassen, dass ich das über die lange Strecke dann nicht mehr ertrage. Denn
so ein Berufsleben muss man ja auch emotional irgendwie verkraften können.

Katharina:
[1:38:37] Ich finde, das fasst es ganz gut zusammen, gerade das auch mit Patientinnen und Patienten. Also es wird immer am Anfang des Präp-Kurses ganz gern so von den Dozierenden so kommuniziert:
„Ja, das ist jetzt eure erste Patientin oder euer erster Patient.“ Was
formal so nicht ganz stimmt, aber man ja offensichtlich auch bei dieser Patientin oder dem Patienten man dann diese Ambivalenz schon zu spüren bekommt.
Auf der einen Seite ist es ein Mensch, der vor einem liegt und auf der anderen Seite das Arbeitsgebiet und das wird einem immer wieder begegnen.

Fabian:
[1:39:16] Dann würde ich mich bei euch beiden ganz herzlich bedanken, dass ihr hier mit mir gesprochen habt.
Ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht, ein bisschen zu reflektieren über das, was euch im letzten Semester passiert ist.
Ich möchte mich außerdem bedanken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Anatomischen Instituts, die bei dieser Produktion hilfreich zur Seite standen, insbesondere natürlich bei Professor Kielstein, die das Ganze erlaubt hat.
Und ich bedanke mich bei euch, den Zuhörerinnen und Zuhörern fürs Einschalten und freue mich dann schon auf die nächste Ausgabe.