Transkript UnderDocs 017 – Viele Wege führen nach Amyloid
2019, AK Uni Im Kontext
https://underdocs.org/viele-wege-fuehren-nach-amyloid/
Prolog
Fabian:
[0:00] Ich glaube, das macht letztendlich gute Forschung auch aus, dass man dann nicht verbohrt versucht, weiter zu erzwingen, auf das zu kommen, was man gerne hätte, sondern dann halt auch einfach zu sagen: Okay, es ist anders als ich gedacht habe.
Begrüßung
Fabian:
[0:42] Herzlich willkommen zur 17. Ausgabe des UnderDocs Podcasts.
Mein Name ist Fabian Link und heute begrüße ich euch wieder zur Sendung, nachdem letzten Monat ja die Paula für mich übernommen hat.
Wir werden uns hier in Zukunft immer mal wieder abwechseln und uns so gegenseitig ein bisschen entlasten.
Das ist ganz schön, dass da eine neue Kollegin gewonnen wurde. Wir beschäftigen uns heute mit Proteinen, genauer gesagt, mit der Art, wie sie sich konkret falten.
Proteine bestehen aus Aminosäuren und sind eine ganz wichtige Säule des Lebens, ein essenzieller Baustoff
im Prinzip jedes Lebewesens.
[1:24] Man unterscheidet Struktur-Proteine, die, ja, wie Mörtel Strukturen aufbauen – beispielsweise das Kollagen – von den Enzymen, die als biologische Katalysatoren biochemische Reaktionen beschleunigen.
Mit all diesen Themen beschäftigt sich mein heutiger Gast, explizit damit, wie die Faltungen dieser Proteine sich auf die Funktionalität auswirkt und was das Ganze mit bestimmten Erkrankungen zu tun hat.
Ich begrüße meinen Gast Arne Böker. Hallo. Ich habe schon ein bisschen angekündigt, du hast vor allen Dingen ein bestimmtes Krankheitsbild im Fokus, das mit Proteinen und deren Faltung assoziiert ist.
Chorea Major Huntington
[2:07] Ich würde sagen, ein interessanter Einstieg in die Thematik ist, wenn wir einfach über diese Krankheit reingehen, die der Allgemeinheit wahrscheinlich gar nicht so gut bekannt ist.
Es geht um Chorea Huntington und vielleicht magst du einfach mal einführen: Was ist Chorea Huntington?
Was passiert den Leuten da? Wo tritt das auf?
Arne:
[2:29] Chorea Huntington ist eine Form von Chorea, einem Krankheitsbild, das schon ziemlich lange bekannt ist, schon im Mittelalter beschrieben wurde.
Das Wort ‚Chorea‘ kommt wahrscheinlich von Paracelsus aus dem 16.
Jahrhundert und bezeichnet im Allgemeinen Krankheiten, die irgendetwas mit Tanzen zu tun haben.
Das Wort ‚Chorea‘ bedeutet auf Griechisch Tanz, bekannt vielleicht aus Choreografie oder ähnlichen Wörtern.
Der Paracelsus hatte seinerzeit noch keine Ahnung von Huntington, aber hat den Zustand beschrieben, dass Menschen unkontrolliert tanzen oder Bewegungen ausführen, die als Tanz wahrgenommen werden.
Das ist vielleicht die korrekte Formulierung, denn mit richtigem Tanzen hat es in den meisten Fällen auch nicht viel zu tun. Woher das kommt, zu der Zeit gar keine Ahnung.
Der Begriff Huntington ist der Nachname des Menschen, der diese spezifische Form der Chorea, oder auch Chorea Major genannt, entdeckt hat, oder der sie zum ersten Mal wissenschaftlich beschrieben hat.
Bekannt war sie vor allem unter den betroffenen Menschen vorher auch schon.
Chorea Huntington ist eine Erbkrankheit.
[3:43] Das heißt, wenn jemand von dieser Krankheit betroffen ist, dann werden es sehr wahrscheinlich die Nachfahren auch sein.
[3:50] Die Krankheit äußert sich dann zuerst durch unkontrollierte Muskelbewegungen,
will heißen: zucken, ausschlagen,
was dann eben als Tanz wahrgenommen wird, deshalb Chorea. Und in den späteren Stadien kommen dann alle möglichen anderen Symptome dazu.
Das ist eine neurologische Krankheit, die Gehirnzellen angreift, absterben lässt. Eben zuerst in dem Gehirnbereich, der für die motorische Kontrolle verantwortlich ist.
Aber später kommen auch Geschichten, wie Gedächtnisverlust, teilweise auch Persönlichkeitsveränderungen und alles Mögliche dazu.
Der Krankheitsverlauf ist dann in der Regel recht kurz und heftig.
Der Verlust der motorischen Kontrolle bedeutet dann zum Beispiel auch, dass man irgendwann nicht mehr vernünftig schlucken kann, nicht mehr vernünftig atmen kann und die Patienten sterben in der Regel entweder daran, also an Erstickung aus irgendeinem Grund,
oder an Selbstmord oder in dem Fall würde man Freitod sagen, weil einfach auch die psychischen Auswirkungen dieser Krankheit ziemlich enorm sind.
Soviel zu meiner Kenntnis der Symptome.
George Huntington hat im 19. Jahrhundert entdeckt, dass es diese erbliche Form von Chorea gibt.
[5:15] Da aber der Prozess der Vererbung, also DNA im spezifischen, damals noch nicht bekannt war, konnte er natürlich nicht so viel mehr anfangen.
Die genetische Grundlage wurde dann 100 Jahre später in den 90er-Jahren erst aufgeklärt. Es ist ein bestimmtes Gen, dessen Träger
mit Sicherheit diese Krankheit entwickeln werden, was auch interessante Implikationen hat,
denn man kann also anhand eines Gentests mit so ziemlich absoluter Sicherheit sagen: Dieser Mensch wird Chorea Huntington entwickeln zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens oder er wird es nicht tun.
Es gibt kein „vielleicht“. Dieses Gen enthält einen Abschnitt von ‚CAG-repeats‘.
Will heißen, eine ständige Wiederholung der drei Basen Cystein, Adenin und Guanin.
[6:11] Das kommt also immer wieder: CAG-CAG-CAG. Und in der Übersetzung von der DNA in ein Protein wird dieses CAG,
jedes einzelne CAG wird übersetzt in eine Aminosäure namens Glutamin. Das heißt, diese CAG-Wiederholung wird zu einer Polyglutamin-Sequenz.
Man beobachtet also, dass entweder in dem Gen dieser CAG-Repeats oder in dem entsprechende Protein, das passenderweise Huntington genannt wurde, eben eine Länge dieser Polyglutamin-Sequenz von mehr als 35 Wiederholeinheiten
führt zu der Krankheit. Bei weniger als 30 Wiederholeinheiten tritt die Krankheit nicht auf.
Je länger, desto schwerer ist die Krankheit. Will heißen, desto schneller führt sie zum Tod,
desto früher tritt sie auch auf. In der Regel setzen die ersten Symptome irgendwo zwischen 30 und 50 Jahren ein.
Aber wenn die Polyglutamin-Abschnitt sehr lang ist, dann kann das sogar bei Kindern schon auftreten.
Wenn der gerade bei 35 ist, also gerade an der Grenze, dann kann das Anfangsalter vielleicht auch ein bisschen höher werden und dann sind die Symptome nicht ganz so schwer.
Fabian:
[7:23] Um das noch mal ganz kurz und knapp zusammenzufassen. Wir haben das Huntingtin, das enthält sowieso die Polyglutamin-Sequenz.
Die ist allerdings viel zu lang.
Und das ist am Ende das Problem, was die Chorea Huntington dann auslöst und im mittleren Erwachsenenalter dazu führt, dass quasi Gehirn nach und nach geschädigt wird.
Wir haben diese CAG-Sequenzen und die werden wie alle anderen Gene vererbt und dementsprechend kann man davon ausgehen … Also der Erbgang ist ja ein autosomal-dominanter Erbgang.
Das heißt, es ist nicht auf den Geschlechtschromosomen, sondern auf den normal codierenden Chromosomen verortet.
Autosomal dominant, abseits dessen, was das jetzt ganz genau präzise bedeutet, führt letztendlich dazu, dass man eine fifty-fifty Chance hat.
Also wenn ein Elternteil eine Chorea Huntington hat, dann hat die nächste Generation ja mit fifty-fifty Chance auch eine Chorea Huntington.
Arne:
[8:23] Was noch ein bisschen fies ist an dieser CAG Wiederholung übrigens auch.
Die wird zwar vererbt, aber diese simple Sequenz kann auch sehr leicht sich selbst verlängern
im Zellteilungsprozess. Grob gesagt, können sozusagen die beiden DNA-Stränge, die sich da zusammen paaren, können sich versehentlich gegeneinander verschieben und dadurch wird das ganze Ding plötzlich um so ein Triplett länger.
Und dadurch, sagen wir, wenn ein Mensch vielleicht 34 Wiederholeinheiten hat, dann ist es sehr gut möglich, dass die Nachfahren dann genau über diese Grenze von 35 kommen.
Das ist noch so eine fiese Eigenschaft von diesem speziellen Genen, oder von dieser Art von simplen repetitiven Genen.
Fabian:
[9:10] Das sind dann letztlich die relativ seltenen Formen von spontanen Mutationen, wo dann plötzlich das in der Familie, wo das eigentlich nicht bekannt war und es trotzdem plötzlich auftritt.
Arne:
[9:21] Genau, das ist ein Mutationsprozess, den man sonst auch gern übersieht, weil man mit Mutationen meistens eher Punkt-Mutationen verbindet, wo an einer Stelle der DNA mal ein Basenpaare ausgetauscht wird.
Aber es gibt eben noch andere Prozesse, in denen sich solche Dinge verlängern oder Segmente ausgeschnitten werden oder was auch immer.
Fabian:
[9:41] Dann haben wir erst mal das Krankheitsbild ganz grob beschrieben. Wir haben diese Chorea Huntington und wir haben das Huntingtin. Gute Bezeichnung, kann man sich relativ leicht merken.
Arne:
[9:50] Hat sich jemand gut ausgedacht.
Fabian:
[9:52] Du bist ja gar kein Mediziner. Das haben wir am Anfang gar nicht verraten, sondern du bist ja Physiker. Was hat ein Physiker mit Huntingtin zu tun?
Du beschäftigst dich ja gar nicht unbedingt mit dem Krankheitsbild, deswegen war die Beschreibung jetzt hier auch nicht aus der persönlichen Erfahrung heraus gekennzeichnet, sondern eher aus einem theoretischen Hintergrundwissen.
Denn du hast dich spezifisch damit befasst, wie sich eigentlich dieses Huntingtin verhält
unter bestimmten Bedingungen. Und ich würde sagen, wir gehen erst einmal darauf: Was sind eigentlich Proteine?
Was Sind Proteine
[10:24] Um dann danach ein bisschen darauf einzugehen: Was ist denn jetzt das Besondere am Huntingtin?
Vielleicht starten wir einfach da mal durch: Was ist denn eigentlich ein Protein?
Arne:
[10:34] Ich finde, dass du schon schön angefangen hast, das einzuführen. Proteine sind eine der großen Klassen von Makromolekülen im Körper.
Will heißen, Moleküle, die nicht simpel aufgebaut sind, wie Wasser. H2O: zwei Wasserstoffatome, ein Sauerstoffatom, fertig.
Sondern Dinge, die aus hunderten, tausenden von Atomen bestehen.
Die sind der Regel als eine Sequenz von Wiederholungseinheiten aufgebaut, zum Beispiel
DNA wäre auch so ein Fall, dass man immer wieder gleichartig aufgebaute Einheiten hat. Und Proteine sind eben auch eine dieser Klassen von Makromolekülen.
Die sind aufgebaut aus Aminosäuren, von denen es im Regelfall 20 verschiedene gibt.
Mediziner würden sagen 21, Chemiker würden sagen 22.
Es gibt ungefähr 20 verschiedene Aminosäuren, aus denen man also als eine Kette ein Protein zusammensetzen kann. Was die machen, ist sehr variabel.
[11:40] Mir ist aufgefallen, dass es die Frage: Was macht ein Protein? Ist so ein bisschen, wie die Frage: Was macht ein Mensch? Also ein Protein kann in der Zelle so ziemlich jeden Job ausführen, außer Erbgut-Transport.
Dafür ist DNA zuständig. Und vielleicht außer Energiespeicher.
Dafür haben wir Kohlenhydrate. Aber sonst machen im Prinzip alles Proteine, genauso wie ein Mensch in der Gesellschaft sozusagen tausend verschiedene Jobs haben kann.
Es gibt, wie du eben gesagt hast, zum Beispiel Proteine, die für die Struktur der Zelle verantwortlich sind, also für das Zell-Skelett, für das Gerüst. Es gibt Proteine, die in der Zellmembran dafür verantwortlich sind, Stoffe von innen nach außen oder von außen nach innen zu leiten.
Im Prinzip in jedem Prozess, der irgendwie Körperfunktion ist, ist ein Protein beziehungsweise sind hunderte verschiedene Proteine beteiligt. Quasi jede
biologische Funktion des Körpers basiert irgendwie darauf, dass Proteine miteinander interagieren und Botenstoffe von A nach B senden und
was auch immer tun. Deshalb ist es immer sehr schwer, zu sagen, was ein Protein genau tut. Proteine tun alles mehr oder weniger.
Fabian:
[12:52] Sie können sogar diese Botenstoffe selbst sein. Das Insulin zum Beispiel als Hormon ist ja auch ein Proteohormon, also ein Protein mit einer Hormonwirkung.
Arne:
[13:02] Genau. Sehr schön.
Fabian:
[13:04] Also wahnsinnig vielfältig.
Arne:
[13:06] Es ist auch ganz häufig nicht festgelegt, was eigentlich die eine Funktion ist. Dieses Huntingtin zum Beispiel,
das kommt gefühlt überall vor.
Man kann nicht festlegen: Okay, das hat jetzt diesen einen Zweck. Sondern es wird an allen möglichen Stellen immer mal wieder gefunden und tut halt immer das, wofür es gerade gebraucht wird.
Bei fertigen Menschen spielen diese Prozesse natürlich keine Rolle mehr, aber das Protein wird trotzdem noch für andere Funktionen gebraucht, um irgendwie den Körper am Leben und Funktionieren zu halten.
Also das kann sehr flexibel sein. Das ist soweit vielleicht der grobe Einblick in die biologische Frage, was eigentlich ein Protein ist, aber genauso wie ich von dem medizinischen im Prinzip nur theoretisches Wissen habe, habe ich das auch vom Biologischen.
Ich gehe ja als Physiker daran. Für mich ist nicht die Frage: Was macht das Protein? Sondern: Wie macht es das?
Und die direkteste Frage, die man da stellen kann, ist dann immer: Was für Strukturen bildet das? Wenn man sich das Protein, also ein beliebiges Protein, als eine lange Kette von Aminosäuren vorstellt.
Das liegt in der Regel nicht als lange ausgestreckter Kette vor,
[14:37] sondern es kann sich irgendwie zusammenklumpen und es kann sich sowohl in zufälligen Klumpen ballen, als auch sehr geregelt falten. Und diese Faltungen sind das,
was im Prinzip den Physiker an dem Thema interessiert.
Also die Frage: Was für Strukturen entstehen da? Und wie komme ich auf diese Strukturen?
Wenn ich Struktur sage, meine ich damit meistens Sekundär- oder Tertiärstruktur,
das sind zwei klassische Begriffe aus der Protein-Biochemie. In dem Proteinen wird also zwischen Primär-, Sekundär-, Tertiär-, Quartärstruktur unterschieden. Die Primärstruktur ist die
Sequenz von Aminosäuren. Wir lassen einfach nur die Beschreibung, aus welchen Bausteinen besteht dieses Protein.
[15:25] Diese Aminosäuren können dann bestimmte einfache Strukturmotive ausbilden, die man Sekundärstrukturen nennt.
Das sind vor allem Helix-Strukturen, in denen sich die Kette als eine Art Schraube windet.
Und auf der anderen Seite Faltblatt-Strukturen, in denen man also zwei gestreckte Kettenabschnitte hat, die sich zusammenlagern und dazwischen ist ein Turn, eine Schleife.
Und aus diesen Sekundärstrukturmotiven setzt sich dann die gesamte dreidimensionale Struktur eines größeren Proteins zusammen.
Das ist dann die Tertiärstruktur. Und dann gibt es noch diesen Begriff Quartärstruktur, der ein bisschen weniger scharf definiert ist, aber sich letztendlich darauf bezieht, wenn mehrere Proteine zusammenkommen,
wie die dann als Cluster, als Aggregat eine gemeinsame Struktur bilden.
Und jetzt ist also die Frage, wie ein Protein in seine Strukturen findet.
Sowohl eben Sekundärstrukturmotive, als auch die letztendlich für die Funktion ausschlaggebende Tertiärstruktur. An der Stelle vielleicht eine kleine Warnung. Ich will ja nicht zu ungenau sein.
Man stellt sich das immer so vor, oder ich stelle es mir zumindest gerne so vor, dass ein Protein eine ideale Tertiärstruktur hat, die es halt im Körper, in der Zelle findet und in der es seinen Job erfüllt.
[16:47] Tatsächlich ist das aber ein sehr vereinfachtes Bild, denn erstens in der Reaktion mit anderen Proteinen und mit anderen Stoffen kann sich diese Struktur auch wieder ändern und viele Proteine machen das ganz gerne, dass sie
irgendwo richtig sichtbare Öffnungen haben, wo ein Molekül sich einklinken kann und dadurch eine Strukturänderung hervorruft.
Eine Strukturänderung ist wieder ein Signal für irgendwas anderes. Und es gibt auch viele Proteine, die gar keine solche festgelegte Struktur haben, die sich auch ’native Struktur‘ nennt. Vielleicht ein Begriff, den man brauchen kann.
Es gibt sogenannte intrinsisch ungeordnete Proteine, die keine native Struktur ausbilden, sondern nur in Reaktion mit anderen Molekülen erst eine feste Struktur haben.
Fabian:
[17:28] Letztendlich so etwas wie flexible Masse, die sich dann den Bedingungen anpassen kann, je nachdem, als was es gerade gebraucht.
Arne:
[17:38] Und das hat man lange Zeit gar nicht so bemerkt,
dass es die gibt. Aber tatsächlich sind diese ungeordneten Proteine eine ziemlich große und wichtige Klasse.
Deshalb ist es eigentlich eine Vereinfachung, davon zu sprechen, dass man irgendwann eine native Struktur hat, auf die man hinarbeitet.
Aber es ist trotzdem ein ganz hilfreiches Bild.
Fabian:
[17:57] Wir haben das Protein, das ursprünglich eine lange Kette ist. Das faltet sich in so ganz typische Muster, so charakteristische Grundelemente quasi.
Das sind dann die Sekundärstrukturen und die wiederum bilden dann komplexe Funktionsmuster, die
etwas dann tatsächlich auch tun können. Das sind dann die Tertiärstrukturen. Wobei viele Proteine gar nicht unbedingt so eine definierte Struktur haben, sondern eigentlich irgendwie als amorphe Klumpen durch die Gegend schweben und dann mal gucken, was da kommt.
Okay. Wie finden denn jetzt überhaupt diese Proteine ihre Faltung? Ich meine, die kriegen ja jetzt nicht eine Bauanleitung in die Hand, wo dann drin steht:
Faltungstrichter/Berge Und Täler
[18:36] Hier, knickt da mal um die Ecke. Sondern das muss ja irgendwie aus sich heraus funktionieren.
Letztendlich ist es ja so: Wir haben die DNA, die wird in RNA umgesetzt und dann haben wir das Ribosom und das Ribosomen macht aus der RNA, der abgeschriebenen Information ein Protein aus einzelnen Aminosäuren.
Und wo fangen die dann an, sich zu formen oder zu falten?
Arne:
[19:02] Der Anfang des Faltens, der kann durchaus direkt am Ribosom noch passieren.
Also im Prinzip, sobald irgendwie einen Abschnitt Protein da ist, wird der Abschnitt anfangen sich zu bewegen und auch irgendwie versuchen, sich zu falten.
Wobei so ein Begriff wie „versuchen“ natürlich sehr menschelnd ist.
Das Protein an sich versucht gar nichts, es folgt nur physikalischen und chemischen Gesetzen.
Aber im Prinzip die etwas simplere Sichtweise, die auch vollkommen ausreicht ist, dass wir irgendwo das fertige Protein aus dem Ribosom rauskriegen
und dann fängt es an, sich zu falten. In manchen Spezialfällen
[19:38] muss man vielleicht beachten, dass das nicht korrekt ist, aber grundsätzlich reicht das aus. Und das Protein kann
prinzipiell alle möglichen Konfigurationen annehmen, eben Sekundärstrukturelemente ausbilden oder nicht, oder was auch immer für Formen finden.
[19:57] Und in bestimmten Konfigurationen wird sich herausstellen, dass es energetisch günstiger ist.
Will heißen, es gibt irgendwelche Interaktionen zwischen einzelnen Bausteinen des Proteins, die wünschenswert sind. Zum Beispiel wenn wir zwei verschiedene Aminosäuren haben, die eine Ladung tragen, das eine positiv, das andere negativ. Wenn die zueinander kommen,
gleichen sich die Ladungen aus, gegenseitig Ladungen ziehen sich eben an.
Das heißt, das wird irgendwie die Struktur stabilisieren. Und es gibt verschiedene andere Arten von Interaktionen zwischen Aminosäuren.
Die wichtigsten sind eigentlich die sogenannten Wasserstoffbrücken, muss man jetzt, glaub ich, nicht drauf eingehen, was die genau machen, aber das ist quasi eine wichtige Art von stabilisierender Interaktion.
Und wenn so eine Bindung geschlossen ist, dann gibt es aus physikalischer Sicht einen Energiebeitrag und dieser Energiegewinn ist schön.
Ganz allgemein gesprochen. Dem gegenüber steht dann auch das Konzept der Entropie.
Je dichter oder je besser definiert meine Struktur ist, desto weniger kann sie fluktuieren, das heißt, desto weniger Unordnung hat sie.
Und das ist das, was die Entropie im Prinzip beschreibt.
[21:12] Und das sind zwei Prozesse, die immer gegeneinander laufen.
Ich will möglichst geringe Energie haben und ich will als Protein oder als physikalisches System möglichst hohe Entropie haben.
Und irgendwo gibt es ein Optimum, in dem beide sich die Waage halten.
Und das ist hoffentlich die gefaltete Struktur des Proteins. Energie und Entropie zusammen werden dann in eine Variable gepackt, die nennt sich freie Energie.
Und es gibt da dieses schöne Konzept, das sich in den Neunzigern entwickelt hat
dieses Faltungstrichters,
indem man davon ausgeht, dass die freie Energie als Funktion von irgendeiner sehr abstrakten Reaktionskoordinate seine Trichterform hat.
Und es gibt also ein Minimum dieses Trichters und da will das Protein hin. Diese Reaktionskoordinate kann irgendetwas sein.
Das ist im Prinzip einfach ein abstrakter Parameter, der mir angibt, wie nah ich am nativen Zustand bin.
Aber, ich meine, bildlich dargestellt, ist das dann halt trotzdem nur irgendwie eine Linie auf dem Papier.
Aber was diese Koordinate genau ist, ist auch tatsächlich von Fall zu Fall unterschiedlich. Irgendwie sowas wie die Anzahl der Kontakte, die ich im nativen Zustand hätte, die geschlossen werden oder sowas in einer Art.
Fabian:
[22:39] Dieser Faltungstrichter ist jetzt kein richtiger Trichter, sondern symbolisiert den Faltungsprozess, wie das Protein ihn durchläuft.
Das ist quasi nicht gerade Kette, Schnipp,
so sieht so aus, wie es aussehen soll. Sondern, dass es im Prinzip auf dem Weg sich irgendwie rollen muss, sich formen muss. Das heißt, es durchlebt alle möglichen Variationen an Formen, bevor es die findet, die ihm gefallen.
Und dabei rutscht es quasi diesen Trichter runter, immer weiter in Richtung energetisch günstigster Zustand.
Arne:
[23:13] Genau dieser Trichter ist also kein physischer Trichter.
Es ist nichts Greifbares, sondern es ist eine Energie-Funktion abhängig von irgendeiner abstrakten Koordinate.
Entstanden ist das Ganze eigentlich aus genau dem Bild, das du gerade erwähnt hast, dass man irgendwie alle möglichen ungefilterten Zustände hat und einen nativen Zustand.
Und wenn man das in die gleiche Darstellung übertragen würde, hätte man also etwas, was als Golfplatz manchmal bezeichnet wird. Eine große Ebene, in der alle Konfiguration irgendwie gleich sind und ein Loch, wo das Protein hinwill.
Und da sieht man, glaube ich, schon, dieses Loch zu treffen, vor allem wenn man sich zufällig über den Golfplatz bewegt, wie es das Protein macht, und wenn man nicht absichtlich mit dem Schläger drauf hinspielt, dieses Loch zu treffen, ist super unwahrscheinlich.
Und man kann da auch ein paar Rechenspiele anstellen und sehen, dass reale Proteine sich viel schneller Falten, als sie eigentlich sollten, wenn dieses Bild korrekt wäre.
[24:09] Dann gab es mal die Idee, dass es bestimmte Pfade durch diesen Golfplatz gibt, über die das Protein gelenkt wird, also bestimmte Zwischenzustände, die immer erreicht sein müssen.
Und das hat sich dann eben irgendwann auch als weitgehend Nonsens herausgestellt.
Und man ist eben auf diese Trichterfunktion gekommen, wo auch verschiedene Zwischenzustand schon immer günstiger sind,
also der Energiegewinn immer größer wird, bis man den nativen Zustand erreicht.
Und die reale Situation ist dann natürlich immer noch schlimmer, als man denkt.
Denn dieser Trichter, man spricht heutzutage eigentlich eher von einer Berglandschaft oder so etwas. Also gibt es quasi immer noch,
zumindest geht man davon aus, irgendwie ein Minimum.
Aber es gibt dann auch verschiedene Seitentäler. Es gibt Hügel am Bergesrand, ist alles uneben. Es gibt bestimmte Strukturen, wo das Protein zum Beispiel auch gefangen sein kann
in so einem Seitental. Quasi wie ein Ball, der den Berg runter rollt.
Wenn es im Tal ist und wenn es nicht irgendwie über die nächste Kante rüberkommt, dann ist es halt da.
Und dann hat man einen gefalteten Zustand, den man vielleicht gar nicht haben wollte.
Fabian:
[25:14] In dem ist das Protein dann letztlich auch gefangen, sofern man keine externe Energie zuführt, um über den Berg wieder drüber zu helfen.
Arne:
[25:22] Die Natur hat sich alle möglichen Tricks ausgedacht, um das zu vermeiden. Zum Beispiel diese Berglandschaften dann so zu formen, dass der Fall nicht zu wahrscheinlich wird.
Dann gibt es auch diese Chaperone, die Hilfsproteine, die anderen Proteinen helfen, ihre korrekte Faltung zu finden.
Es gibt da allen möglichen faszinierenden Spaß.
Um da nicht zu viele Fehler zu machen, sondern zu dem Zustand zu kommen, dass die meisten Proteine funktional sind. Und das führt im Prinzip auch wieder zurück zu Chorea Huntington und zu Huntingtin.
[25:56] Denn was dieses Protein macht, ist einen Zustand zu finden, der nicht funktional ist und irgendetwas auf dem Weg dahin, löst die Krankheit aus.
Der Zustand, den man da zuerst entdeckt hat, ist das sogenannte Amyloid.
Eine Sache, die vielen verschiedenen Proteinen gemeinsam ist, quasi ein Teil in dieser Gebirgslandschaft, das für ganz viele verschiedene Proteine erreichbar und günstig ist.
Das ist eine Struktur, in der sich … wir hatten ja eben den Begriff Sekundärstrukturen. Und zwar einmal diese Helix-Strukturen, in der Regel als Alpha-Helix bezeichnet,
und diese Faltblätter, die dann in der Regel als Beta-Faltblatt bezeichnet werden.
Die Nummerierung hat historische Gründe. Und die Amyloid-Struktur besteht weitgehend aus solchen Beta-Faltblättern, in denen sich mehrere Proteine
wunderbar zusammen stapeln können und die bilden dann große, richtig im Mikroskop sichtbare Ablagerungen.
[27:18] Polyglutamin-Fragmenten bestehen, die wiederum aus dem Protein Huntingtin kommen. Das heißt, es ist sehr naheliegend, dass diese Amyloide
irgendwie mit der Krankheit zusammenhängen. Und die physikalische Fragestellung dahinter, sozusagen das Interessante daran ist, diese Amyloid sieht man in ganz vielen verschiedenen Proteinen
und in vielen Fällen hängen die mit Krankheiten zusammen.
Wobei man inzwischen auch so weit ist, zu sagen, das Amyloid selbst ist nicht das Problem, sondern dass es quasi nur eine Art Müllhalde ist.
Es gibt aber auch Situationen, in denen genau die gleiche Struktur tatsächlich
biologisch erwünscht ist, zum Beispiel kann das auch ein Speichervolumen für Hormone sein, die quasi so erst einmal unfunktional einfach abgelagert werden, und wenn sie gebraucht werden, können Sie ganz schnell daraus freigelassen werden.
Da stecken dann also Fragen drin wie: Warum ist diese Struktur so beliebt? Warum ist sie so stabil?
Warum ist die in manchen Fällen dann auch wirklich überhaupt nicht mehr aufzulösen? Eben zum Beispiel beim Polyglutamin bei Huntingtin.
Wenn dieses Plaque einmal gebildet ist, dann ist das da. Wohingegen eben zum Beispiel bei diesen Hormon-Fällen das auch wieder auf einen bestimmten Reiz hin aufgelöst werden kann und freigesetzt.
Das sind dann sozusagen diese Mechanismen, die den Physiker daran interessieren.
Fabian:
[28:44] Ich würde noch einmal ganz kurz zusammenfassen. Wo wir an diesem Bestand jetzt angekommen sind, um alle mitzunehmen.
Wir haben das Protein. Das fällt aus dem Ribosom raus. Das wird synthetisiert und als primäre Kette ist es wahrscheinlich in den allermeisten Fällen ziemlich sinnlos. Es muss irgendwie in eine Form geraten.
Das heißt, ‚form follows function‘ oder eigentlich andersherum ‚function follows form‘.
[29:16] Die Funktion ist unbedingt abhängig davon, wie das Protein gefaltet ist.
Und da gibt es im Prinzip ein von der Natur gegossenes, intrinsisches System, dem das Protein folgt und es bewegt sich immer in Richtung energetisch günstig.
Da kommt dann noch die Entropie als Faktor mit rein, aber grundsätzlich kann man sagen …
Arne:
[29:37] Aber letztendlich ist es alles irgendwie. Das heißt, dann eben nicht Energie, sondern freie Energie, das ist der einzige Unterschied.
Fabian:
[29:43] Genau. Also letztendlich energetisch günstiger Zustand, der da gesucht wird.
Und man kann sich das quasi vorstellen erst einmal wie ein Trichter, also dass die Grenzen Zwischenzuständen, über die es fährt, wahrscheinlich immer etwas energetisch günstiger sind, als der jeweils Vorherige.
Also man fährt den Trichter runter, bis man ganz unten beim energetisch Günstigsten ankommt.
Es ist aber nicht ein einzelner Trichter, sondern eine Kraterlandschaft oder eine Berglandschaft mit ganz vielen Maxima und Minima.
Es gibt einfach Milliarden Möglichkeiten, sich zu falten, von denen viele energetisch totaler Unfug sind, aber ein paar sind halt auch günstig.
Und bei den meisten Proteinen ist es halt so,
sie rutschen quasi die richtige Rutsche runter und landen dann da, wo sie hingehören. Und bei dem Huntingtin ist es jetzt so, dass quasi durch dieses Polyglutamin, durch diese zu häufige oder
zu lange Ansammlung von Glutamin, es in ein Seitental reinrutscht. Also da, wo es eigentlich gar nicht hingehört.
Eigentlich sollte es sich normal Falten. Es hat aber zu viel Glutamin, dadurch verformt sich letztendlich diese Kraterlandschaft wieder oder die Berglandschaft sieht plötzlich anders aus, als wenn es vielleicht weniger Glutamin hätte und dadurch gerät dann das Huntingtin quasi auf einen Seitenpfad
und verwaltet sich quasi aus Versehen. Hups.
Arne:
[30:58] So sieht es aus.
Fabian:
[30:59] Und dann ist das Huntingtin in diesem Seitenpfad, in diesem Minimum, das quasi nicht das vorgesehene Minimum ist, aber trotzdem energetisch sehr günstig, gefangen. Und dann nimmt es diesen Zustand des Amyloids an, was im Prinzip
Protein-Müll ist,
oder zumindest irgendwie so beschrieben werden kann, weil es eben auch funktionale Zustände gibt, die durchaus darauf abzielen, dass ein Protein einen Amyloid-Zustand einnehmen soll.
Arne:
[31:29] Aber an sich ist ein Amyloid irgendwie erst einmal Müll oder ein nicht funktionalem Zustand.
Fabian:
[31:35] Eine Deponie sozusagen. Okay. Und du hattest schon gesagt, dass es mit vielen Erkrankungen assoziiert ist.
Ich denke, Alzheimer ist auch noch ein großes wichtiges Beispiel, was man nennen kann als Amyloid-Krankheit, aber es gibt noch ganz viele andere. Die Amyloidose gibt es auch noch.
Arne:
[31:53] Genau. Creutzfeldt-Jakob ist immer noch so ein bekanntes Beispiel. Es gibt auch noch mindestens acht weitere Polyglutamin-Krankheiten, die auf anderen Proteinen basieren, die auch Polyglutamin-Abschnitte enthalten.
In all diesen Fällen ist dann, wenn dieser Abschnitt mehr als 35 Wiederholeinheiten hat, tritt die Krankheit auf. Huntington ist davon sozusagen der bekannteste Fall,
aber andere Amyloid-Krankheiten gibt es tatsächlich en masse.
Amyloid – Proteinmüll
Fabian:
[32:26] Also scheint letztendlich einfach die Problematik bei all diesen Erkrankungen zu sein, dass ab einer bestimmten Anzahl von Glutamin-Abfolgen, Wiederholungen die Proteine dazu neigen, falsch geformt zu werden.
Arne:
[32:42] Das mit den Glutamin-Folgen ist natürlich nur bei Huntington, beziehungsweise bei den Polyglutamin-Krankheiten ein Problem. Also nur um da Verwirrung vorzubeugen.
Alzheimer hat zum Beispiel nichts damit zu tun. Die Amyloid-Struktur kommt bei Alzheimer-Patienten genauso vor, halt noch einmal in einem anderen Protein,
aber da ist es nicht Polyglutamin, sondern irgendein anderer Prozess, der verantwortlich ist.
Fabian:
[33:06] Viele Wege führen nach Amyloid zuzusagen.
Arne:
[33:09] Genau. Die physikalische Spekulation ist auch, dass dieser Zustand wahrscheinlich energetisch günstiger ist, als die meisten anderen Zustände und deshalb können eben so viele Proteine sich irgendwie darin sammeln.
Beziehungsweise der Zustand ist quasi für eine Zusammenlagerung von mehreren Proteinen wahrscheinlich sehr günstig.
Für das einzelne Protein nicht. Deshalb jedes einzelne Protein an sich macht etwas anderes.
Aber wenn sich mehrere zusammenfinden, dann ist der Anreiz recht groß, in dem Zustand zu landen. Das ist im Moment auch irgendwie Forschungsgegenstand und so ein bisschen Teil meines Themas auch.
Also ob dieses Amyloid tatsächlich der energetische Grundzustand ist. Und quasi alles, was in der Zelle passiert,
eigentlich gar nicht im Grundzustand stattfindet. Das ist weniger abwegig, als es klingt vielleicht.
Fabian:
Und genau da kommt ja jetzt letztendlich das ins Spiel, was du eigentlich gemacht hast mit den Proteinen.
Molekulardynamik Vs. Monte-Carlo-Simulation
[34:54] Du hast sie nämlich auf ihrem Weg simuliert oder quasi unter verschiedenen Zuständen, wie sie sich da konstituieren.
Vielleicht kannst du ja erst einmal erzählen im Groben, was du gemacht hast und warum du nicht einfach ein Experiment gemacht hast. Abgesehen davon, dass du Physiker bislang keine biologischen Experimente durchführst. Aber warum sollte man das denn simulieren?
Arne:
[35:16] Es gibt genug Physiker, die auch in Proteinen experimentieren. Die Grenzen zwischen Biologie und Chemie und Physik verschwimmen in dem Feld ganz stark,
aber das Problem mit Experimenten an allem, was irgendwie unter Zell-Niveau stattfindet,
[35:33] ist immer, man hat halt sehr kleine Objekte, mit denen man arbeitet.
Man kann nichts mehr mit den Händen anfassen. Man kann auf so einem molekularen Level auch nichts mehr mit konventionellen Lichtmikroskop sehen, sondern hat immer irgendwelche indirekten Informationsgewinn-Wege.
Im schönsten Fall sind das dann vielleicht sogar noch so Raster Kraft Mikroskope oder so, wo man tatsächlich auch irgendwo atomare Strukturen bildlich richtig darstellen kann.
Aber meistens hat man eher so Geschichten … Ich baue hier noch einen molekularen Baustein an mein Protein ran, der aufleuchtet, wenn der einen anderen Baustein trifft und ich erfahre durch das Aufleuchten, dass die beiden sich getroffen haben.
Was die aber genau machen, warum sie sich getroffen haben, was für eine Struktur die im Detail dabei ausbilden,
ob das immer die gleiche Struktur ist oder ob es verschiedene Strukturen gibt, bei denen sich diese beiden Bausteine treffen … das weiß ich alles nicht.
Und das ist alles experimentell nicht zugänglich.
Wenn ich klare Strukturen messen will, kann ich auch machen, ich kann sowas wie Röntgenstrahlung machen. Dafür muss ich das Ding einfrieren.
Das heißt, quasi im Experiment habe ich natürlich das reale System vor mir,
aber ich sehe niemals alle Details, sondern ich sehe irgendwelche abgeleiteten
Größen und irgendwelche Marker, die mir etwas aussagen, wo ich aber dann immer interpretieren muss und hoffen, dass auch tatsächlich die Struktur, die ich mir vorstelle,
[37:00] dem Verhalten zugrunde liegt, das ich beobachte. In der Simulation
dagegen habe ich kein reales System, aber ich sehe jedes Detail. Ich sehe zu jedem Zeitpunkt jede Koordinate.
Ich kann jede Struktur genau identifizieren, solange ich mir die Mühe machen will.
Also ich kann mit leuchtenden Markern …
Ich kann eine Simulation machen, wo ich die weglasse und schaue, ob ich immer noch die gleiche Struktur kriege.
Das heißt, ich sehe, was die Dinger für einen Einfluss auf das Verhalten haben.
Das heißt, ich habe ein viel höheres Level an Detail. Ich habe im Prinzip ja vollständiges Wissen in der Simulation,
[37:39] nur halt immer die Unsicherheit, ob ich tatsächlich das reale System, also die reale Welt damit abbilde.
Das heißt, es muss beides immer irgendwie Hand in Hand gehen. Im Experiment sehe ich die reale Welt, aber ich sehe nicht viel. In der Simulation habe ich alle Informationen.
Und wenn bestimmte Messgrößen mit den Erkenntnissen zusammenhängen oder mit den Beobachtungen zusammenpassen, die ich in den Experimenten sehe, kann ich davon ausgehen, dass der Rest, den ich in der Simulation sehe,
wahrscheinlich auch korrekt ist.
Ja und so in dem Feld habe ich mich für Simulation entschieden, weil ich Simulationen oder weil ich Theorie interessanter fand als Experimente.
[38:27] Das eigentlich so ohne weiteren Grund. Das war einfach so persönliches Interesse.
Und wie gesagt, beides muss halt gemacht werden.
Ein anderer netter Vorteil von Simulationen ist auch, dass ich über realistische Situationen hinausgehen kann. Zum Beispiel in einem Experiment an einem lebenden System
brauche ich halt irgendwie das Umfeld von 37 Grad.
Ich kann nicht wirklich über 5 gehen, ich kann nicht wirklich unter 35 oder sowas gehen, weil dann sofort mein Protein kaputt ist.
In der Simulation kann ich auch mal schauen, was darüber hinaus passieren würde. Natürlich immer mit Vorsicht zu behandeln,
ob das, was ich da beobachte, überhaupt noch irgendeinen Sinn oder irgendeine Relevanz hat, aber ich kann zumindest mit diesem Gedanken spielen: Was würde eigentlich passieren, wenn ich das Ganze bei 0 Grad anschauen würde oder bei 1000 Grad?
Einfach mal gucken, was los ist. Und das kann auch sehr aufschlussreich sein und das ist experimentell überhaupt nicht möglich.
Fabian:
[39:26] Man bricht so ein bisschen die Grenzen des Messbaren und des Beobachtbaren, indem man sich auf dieses Simulationsniveau begibt.
Arne:
[39:34] Experimente sind durch die reale Welt beschränkt. Theorie ist halt eben nur durch das beschränkt, was man sich vorstellen kann, nämlich die Vorstellungskraft so, sagt man.
Fabian:
[39:44] Und durch die Rechnerkapazität.
Arne:
[39:47] Im Falle der Simulation, ja. Es gibt ja auch immer noch ‚Pen and Paper‘ Theorie.
Fabian:
[39:54] Damit kommst du allerdings bei der Simulation von Proteinen wahrscheinlich nur sehr begrenzt weiter.
Wenn ich das richtig verstanden habe, war das ja dann doch ein ziemlicher Rechenaufwand.
Arne:
[40:03] Damit kommt man heutzutage leider in vielen Fällen nicht mehr wirklich weiter,
was irgendwo schade ist.
Fabian:
[40:11] Es gibt ja zwei Möglichkeiten um Proteine zu simulieren.
Das hattest du schon mal in unserer Vorbesprechung angedeutet.
Arne:
[40:22] Genau, es gibt zwei Grundkonzepte sozusagen, wie die Simulation abläuft.
Fabian:
[40:28] Die Molekulardynamik und das andere ist quasi eine ‚Monte-Carlo-Simulation‘.
Und weil du dich für ‚Monte-Carlo‘ entschieden hast, würde ich dich bitten, erst einmal die Molekulardynamik zu erklären, damit wir dann darauf kommen können, was das Ganze mit Lotto zu tun hat.
Arne:
[40:45] Ich fange mal noch einen Schritt früher an, nämlich in der Bewegung des Proteins in der realen Welt, also quasi das im Experiment sozusagen.
Da habe ich das Protein, das irgendwas macht.
Es bewegt sich durch die Gegend. Und zu jedem Zeitpunkt hat es irgendwie eine Konfiguration, in der ich prinzipiell alle möglichen Dinge messen könnte. Abstände zwischen zwei Punkten. Energie
haben wir schon festgestellt, ist sehr wichtig. Ladung. Welche Bindungen sind geschlossen?
Es gibt alle möglichen Messgrößen, die ich mir anschauen kann.
Allerdings ist es eigentlich für die Funktionen gar nicht so wichtig, was das Protein zu einem bestimmten Zeitpunkt macht, sondern was es insgesamt macht.
Will heißen, was im zeitlichen Mittel passiert.
[41:34] Und die Idee von molekularer Simulation, sowohl der Molekulardynamik, als auch ‚Monte-Carlo‘ ist dann letztendlich das in irgendeiner Form abzubilden.
Will heißen, ich nehme mir mehrere, viele Konfigurationen meines Proteins und berechne,
was auch immer ich berechnen will, und bilde einen Mittelwert, der irgendwie danach gewichtet ist, wie bedeutsam, wie wahrscheinlich die Konfigurationen vorkommen, die ich gesehen habe.
Molekulardynamik ist dabei im Prinzip das naheliegende Konzept.
Wenn ich ein reales System abbilden will, versuche ich also genau das zu machen, was das reale System auch macht.
Will heißen, ich habe eine Konfiguration, bestimmte Energien, bestimmte Kräfte, die wirken.
Zum Beispiel wenn ich Bindungen habe, die halten irgendwie zwei Atome zusammen, oder wenn ich Ladungen habe, die könne über ziemlich lange Reichweite eine Anziehung und Abstoßung herstellen.
Das heißt, ich berechne diese Kräfte. Basierend auf den Kräften kann ich dann sagen, welches Teilchen sich in welche Richtung bewegen wird.
Auf dem Weg bekomme ich, wenn ich alles richtig mache, ein genaues Abbild dessen, was das reale System auch machen würde.
[42:47] Das Ganze hat natürlich seine Grenzen. Erstens: Technische Grenzen im Sinne von,
die reale Welt hat quasi keine Zeitschritte, aber im Computer muss ich sagen: Okay, ich habe irgendwie meine Zeit X und ich gehe jetzt so und so viele
Zeiteinheiten weiter.
Ich schaue mir jetzt an, was eine Picosekunde später passiert.
Ich muss aber das als einen Schritt machen, ich kann jetzt nicht beliebig klein das Ganze verfeinern, was in der Realität passiert.
Dadurch bekomme ich natürlich Ungenauigkeiten rein. Ganz davon abgesehen, dass ich eben auch nie weiß, ob das Modell und die Methode, die ich verwende, akkurat sind.
Das ist eben die gute alte Simulationsfrage.
Die Grundidee ist: Ich bilde nach, was das Protein macht. Und das Schöne ist dann natürlich, dass ich genau die Zustände, die das reale Protein häufig annimmt, dass ich die dann auch häufig sehe.
[43:43] Ein zweites Problem daran ist aber, dass es wahnsinnig ineffizient ist.
Denn wenn ich einen vernünftigen aussagekräftigen Mittelwert haben will, wenn ich im Experiment messe, kann ich vielleicht eine Sekunde lang drauf schauen.
Je nachdem, wie das Experiment aufgebaut ist, manchmal auch kürzer, manchmal länger.
Auf jeden Fall eine recht lange Zeit. Eine Sekunde wäre für eine Molekulardynamik-Simulation schon absolut utopisch.
Soweit ich weiß, gehen die Besten, die längsten Simulationen, zur Zeit sind so Mikrosekunden-Bereiche.
Das heißt, die Rechenkapazität ist nicht hoch genug, um wirklich lange Zeiträume abzubilden.
Die langen Zeiträume brauche ich aber gerade bei Proteinen. Da gibt es Prozesse, die wirklich auch langsam genug sind, dass die irgendwie auf Millisekunden bis Sekunden-Skalen ablaufen.
Die kann ich mit Molekulardynamik nicht erreichen. Und deshalb gibt’s das Konzept von Monte-Carlo-Simulationen. Die Idee davon ist,
ich folge nicht den Kräften, sondern ich picke mir einen Zustand raus, messe
messe daran, picke mir wieder irgendeinen anderen Zustand raus, ganz beliebig von allen Konfigurationen, die es geben kann, picke ich mir irgendeine,
[44:58] messe darin mir wieder irgendeine andere und so weiter. Und das Ganze ist sehr viel effizienter.
Ich komme sehr viel schneller durch die verschiedenen Zustände durch.
Ich sehe zwar nicht mehr Zustände, als in der Molekularynamik …
[45:15] Ich habe die gleiche Anzahl von Frames, von Bildern pro Zeit,
aber die Zustände, die ich sehe, sind weiter auseinander.
Das heißt, ich bekomme eine bessere Abbildung von allem, was möglich ist. Dafür bezahle ich damit, dass ich diese reale Bewegung nicht mehr nachvollziehen kann.
Es gibt gewisse Tricksereien, mit denen man in manchen Fällen noch da rankommt, aber in aller Regel ist mein Ergebnis nur noch diese gemittelte Messgröße und nicht mehr der Zeitverlauf.
Fabian:
[45:49] Darf ich mal dazwischen grätschen, nur damit ich das richtig verstehe.
Vielleicht können wir so eine Analogie bilden. Also Molekulardynamik ist quasi so ein bisschen, wie ein Film zu produzieren.
Ich berechne, was das Molekül tut anhand des normalen Zeitverlaufs und ich muss mich schon für Zeitabstände unterscheiden.
Es ist kein analoger Prozess, sondern irgendwie digitale Berechnung, die davon abhängig ist, dass ich Zeitschritte mache und damit entscheide ich ja quasi, wie viele Bilder ich pro Zeiteinheit machen möchte.
Also wenn ich sage, eine Picosekunde. Ich möchte ein Bild pro Picosekunde, dann komme ich dann quasi irgendwann einen Film, der dann immer in so Picosekunden-Schritten quasi nach vorne fährt.
Arne:
[46:34] Monte-Carlo ist so ein bisschen der Trailer.
Ich bekomme ein komplettes Bild davon, was in dem Film passiert, aber halt zusammengewürfelt und verdichtet auf:
ich muss mir eine Minute Trailer ansehen, um 90 Minuten Film nicht komplett zu verstehen, aber um die Punkte zu bekommen.
Fabian:
[46:52] … Um zu verstehen es geht um Batman und es gibt einen Bösewicht. Du folgst also im Prinzip nicht gerade dem Zeitstrahl, sondern pickst dir einfach einzelne Momente raus, guckst,
wie verhält sich der Parameter, den ich gerne messen möchte an diesem Zeitpunkt.
Und am Ende mittelst du und kannst dann sagen: Also im Mittel über die Zeit hinweg hat das Protein diesen energetischen Zustand, oder diese Ladung, oder
diese Form. Und dann kannst du sagen: Naja, das mag sein, dass es zwischendurch mal andere Zustände einnimmt.
Das ist aber im Prinzip egal. Die Gesamtwirkung durch die Ladung ist so und so, denn die Ladung ist ja im Mittel so.
Arne:
[47:39] Es gibt da noch gewisse mathematische Tricks dahinter. Das Ganze hat sich jetzt auch schon über 60 Jahre entwickelt.
Dass ich, wenn ich quasi zufällige Zeitpunkte aus dem Film zum Beispiel mir anschauen würde,
könnte es passieren, dass ich gar keine Idee habe, wovon der Film handelt.
Dass es zum Beispiel Batman Film ist, aber ich treffe irgendwie die Zeitpunkte, zu denen Batman gar nicht vorkommt.
Genau der Abspann interessiert mich möglicherweise auch nicht so sehr.
Ich will vor allem rausfinden, was Batman macht. Das heißt, ich muss auch die Zeiten, zu denen Batman im Bild ist, häufiger treffen als den Abspann oder die Zeiten, zu denen
anderes Zeug passiert. Der Film, die Molekuldynamik-Simulation macht das natürlich von selbst. Die kommt auch über die Batman Szenen, weil sie halt einfach
dem Film folgt und die Monte-Carlo-Simulation muss also ein bisschen aufpassen, dass sie auch wirklich die wichtigen Zeitpunkte besonders häufig trifft und die unwichtigen eher nicht.
Deshalb ist das Ganze sozusagen auch ein sich immer noch weiterentwickelndes Thema. Gar nicht nur was die Anwendung, sondern auch was die Entwicklung von Methoden angeht, weil man da eben viel machen kann, um effizienter zu werden, und um ein akkurates Bild von einem Film zu bekommen.
Fabian:
[48:58] Also letztlich ist es schon zufallsbasiert, aber so ein bisschen modifizierter der Zufall. Ich passe die Zufallsauswahl so ein bisschen an, damit ich möglichst viel vom Film und möglichst wenig vom Abspann sehe.
Arne:
[49:09] Der Name Monte Carlo kommt ja von einem
berühmten Stadtteil in Monaco, wo die ganzen Casinos stehen und das Glücksspiel spielt eine Rolle. Und als Monte-Carlo-Simulant bin ich wahrscheinlich eher auf der Seite des Casinos, als auf der Seite des Besuchers.
Will heißen, ich gehe nicht nur nach Zufall, sondern leite den Zufall so, dass ich auch noch Gewinn dabei mache,
ohne jetzt Casino-Besitzern zu viel unterstellen zu wollen.
Fabian:
[49:36] Die Bank gewinnt immer.
Simulationsergebnisse
[49:41] Was hast du denn herausbekommen mit deiner Monte-Carlo-Simulation? Hast du richtig gewürfelt?
Arne:
[49:46] Ich hoffe doch. Vielleicht muss man anfangen, was ich eigentlich versucht habe, mir anzuschauen. Was ich vor allem gewürfelt habe,
sind also Strukturen von Polyglutamin-Sequenzen nicht von dem ganzen Huntingtin, weil das im Prinzip auch gar keine Rolle spielt, sondern tatsächlich nur von diesem Polyglutamin-Ausschnitte sind
und das in verschiedenen Längen von 8 bis 23 Einheiten. Der geneigte Hörer merkt wahrscheinlich jetzt schon, dass all diese Werte unter den 35 sind, die ich vorher mal als Grenzwert für die Krankheit benannt habe.
Das hat an der Stelle vor allem technische Gründe. Auch die Monte-Carlo-Simulation dauert ihre Zeit und je länger die Kette, desto länger die Zeit. Wir sind auf dem Weg dahin.
Aber auch aus den kleinen Ketten bekommt man Ergebnisse.
Und letztendlich, was ich zum Beispiel sehen kann, ist, dass das Polyglutamin bei Raumtemperatur ungeordnet ist.
Das deckt sich auch mit experimentellen Beobachtungen.
Will heißen, das ist ein Protein oder ein Proteinausschnitt, der als ungeordnet bekannt und dokumentiert ist.
Fabian:
[50:55] Der hat also jetzt keine Sekundärstruktur wie ein Beta-Faltblatt oder so, sondern frei flottierenden.
Arne:
[51:01] Genau und ich sehe dann aber, wenn ich die Temperatur absenke, wenn ich irgendwo zu ziemlich utopisch tiefen Werten gehe, dann fangen auch diese kurzen Polyglutamin-Abschnitte an, Beta-Strukturen auszubilden. Und
die zwei interessanten Punkte darin sind eigentlich …
Erstens: Ich bekomme keine Helix-Struktur, was das andere wichtige sekundär Strukturmotiv wäre.
[51:26] Und wie schon besprochen, die Beta-Struktur oder das Beta-Faltblatt ist halt die Basis dieser Amyloide. Ein Alpha-Helix würde nicht dazu passen.
Das heißt, dass ich die nicht sehe, ist an sich schon meine Erkenntnis.
Und das Zweite ist: Ich habe eben verschiedene Kettenhemden simuliert und abhängig von der Länge verändert sich auch die Temperatur, bei der diese Faltung stattfindet.
Je länger die Kette, desto höher die Faltungstemperatur.
Man kann jetzt aus den Daten den Trend herauslesen und schauen, was passiert denn,
irgendwann, wenn ich in Richtung 35 komme. Und ungefähr in dem Bereich wird wahrscheinlich die Faltungstemperatur auch in den Bereich der Körpertemperatur gelangen.
Das heißt, ich habe einen Grund zu spekulieren, dass das
Polyglutamin in der Krankheitsauslösenden Länge, gerne solche Beta-Strukturen ausbilden.
Wohingegen es bei den kurzen Längen, bei Körpertemperatur das noch nicht tut. Und das liefert dann natürlich einen Hinweis darauf, woher diese Krankheit kommt und woher auch dieser spezifische Grenzwert kommt.
Es gibt verschiedene andere Untersuchungen, die dann auch so ähnliche Ergebnisse bekommen, die Kettenlängen abhängig sehen,
dass solche Strukturen dann vorgezogen werden und alle aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Und das liefert jetzt einen Hinweis darauf, was der zugrunde liegende Prozess ist.
Fabian:
[52:52] Also wenn ich dich richtig verstehe, ist im Prinzip die Neigung dazu, diese Faltblätter auszubilden, die ist abhängig von der Temperatur.
Je kälter es ist, desto eher bilden diese Polyglutamin-Ketten diese Faltblätter.
Arne:
[53:08] Das hängt mit dieser Energie-Landschaft zusammen. Je kälter, desto geringer ist der Einfluss der Entropie, will heißen, desto geringer ist der Drive des Proteins zu Unordnung.
Oder anders herum gesprochen: Je kälter, desto stärker ist der Drang sich zu ordnen und die geordnete Struktur ist dann eben das Faltblatt im Fall.
Fabian:
[53:24] Und indem ich die Kette länger mache, verstärke ich quasi auch wieder den Einfluss der Ordnung.
Dann rückt auch die Entropie in den Hintergrund und dadurch verschiebe ich die Grenztemperatur, ab der das Protein anfängt diese Beta-Faltblätter zu bilden nach oben.
Arne:
[53:42] So kann man es sagen.
Fabian:
[53:44] Also wenn ich jetzt quasi einen gesunden Menschen dazu zwingen wollen würde, Huntingtin-Amyloid zu bilden, dann müsste ich ihn Schockfrosten.
Arne:
[53:52] Ja das Problem des Menschen wird dann nicht mehr Huntingtons Chorea sein, aber es könnte funktionieren.
Fabian:
[54:00] Also, hypothetische Menschen, die bei – 200 Grad leben würden, hätten ein erhebliches Chorea Huntington Problem?!
Arne:
[54:09] Hypothetische Hitze-Menschen, die bei 100 Grad leben würden, hätten diese Krankheit wahrscheinlich nicht.
Fabian:
[54:13] Oder zumindest erst ab 36 oder 37 Polyglutaminen.
Arne:
[54:18] In dem Fall wahrscheinlich ab 100en.
Fabian:
[54:20] Wie ist denn da überhaupt die Dynamik? Ist es quasi ein linearer Anstieg? Fünf Grad pro CAG Abfolge? Oder ist das eher exponentiell?
Arne:
[54:33] Nach theoretischen Erwartungen aus der Polymerphysik müsste das eine Potenzfunktion, will heißen, Temperatur hoch X.
Dieser Exponent X wäre in dem Fall -1/2.
Will heißen, die Funktion wäre quasi 1 durch Wurzel von Länge, nicht von Temperatur.
Also das die Gesetzmäßigkeit, die man dahinter erwartet. Das heißt, je größer die Länge, desto kleiner wird der Anstieg sein.
Fabian:
[55:00] Also im Prinzip ist es aber so, dass es dann abflacht.
Arne:
[55:02] Es flacht ab und die Form ist irgendwie im Prinzip eine Wurzel-Funktion.
So zumindest die Erwartung. Die Erwartung deckt sich auch mit meinen Messwerten.
Aber ich habe jetzt nicht genügend Datenpunkte und auch nicht unbedingt hinreichend akkurate oder verlässliche Werte, um mit Sicherheit sagen zu können,
diese Theorie trifft an der Stelle zu. Die Theorie die bezieht sich eben nicht auf Proteine, sondern auf simpler gebaute Ketten-Moleküle, also auf einen etwas generischeren Fall.
Das heißt, es ist nicht unbedingt gesagt, dass die in meinem Fall auch zutreffen muss, aber es sieht ganz gut aus.
Fabian:
[55:41] Also der Temperatursprung vom 24. auf die 25. Kopie ist deutlich größer dann letztlich, als von 36. auf 37. Kopie.
Ist nicht bewiesen, kann man aber mutmaßen und ist jetzt auch nicht widerlegt.
Arne:
[55:56] Es ist naheliegend. Das Modell war schon lange da und es passt zu den Daten.
Und man könnte jetzt ein paar mehr Simulationen laufen lassen und ich meine, mein Teil des Projekts ist jetzt weitgehend beendet, weil ich jetzt halt
Ausblick
[56:15] am Ende meiner Promotion stehe. Ich habe vier Jahre daran gearbeitet. Aber das Projekt an sich geht weiter. Es arbeiten halt nur andere Menschen daran.
Das heißt, die Simulation, die dann natürlich entsprechend auch irgendwann startet, dann kann man das wahrscheinlich bestätigen.
Fabian:
[56:30] Da können wir ja überhaupt mal so ein bisschen noch einen Ausblick liefern. Letztendlich war deine Arbeit ja, das Modell zu etablieren.
Du hast im Prinzip ein Computermodell des Huntingtins oder, ganz genau gesagt, quasi der Polyglutamin-Kette des Huntingtons gebaut und geprüft, ob das halbwegs funktioniert.
Arne:
[56:52] Ja. Mein Auftrag ursprünglich war mal ein ganz Anderer.
Das Modell, das ich verwende, habe ich nicht erfunden, sondern das kommt aus der Literatur.
[57:04] Das Tolle an diesem Modell ist, dass ich jedes beliebige Protein damit darstellen kann, dass ich so etwas stumpfes Polyglutamin mache, ist eigentlich fast traurig.
Aber ein wichtiger Teil war, die Simulation zu etablieren. Das Modell mit der spezifischen Methode, das gab es vorher so noch nicht.
Das heißt, es war natürlich erst einmal rauszufinden, wie die eigentlich zusammenarbeiten, wie man vernünftige Ergebnisse bekommt
[57:33] und auch einfach die Software-Implementierung. Also es gibt keine Standard-Programme für sowas, sondern das muss man halt schreiben.
Genau, das war im Prinzip so meine Arbeit ist, das Modell anwendbar zu machen.
Es hat sich auch herausgestellt, dass das Modell an sich fehlerbehaftet ist, dass es da noch Fehler zu korrigieren gab, die nicht in meiner Hand lagen.
Und eigentlich war die ursprüngliche Idee tatsächlich Aggregation von mehreren Proteinen anzuschauen, unter anderem auch von solchen Proteinen, die für Alzheimer zuständig sind waren wir vorher schon dran.
Es gibt hier in Halle einige Menschen, die sich auch mit Alzheimer-Proteinen befassen.
Das Polyglutamin und Chorea Huntington ist dann zwischendurch mal so als Idee entstanden, auch als Zusammenarbeit mit experimentellen Kollegen.
Und dadurch hat sich der Fokus der ganzen Arbeit ein bisschen verschoben.
Also es kam plötzlich alles anders und dadurch ist jetzt eben diese technische Erkenntnis über die Machbarkeit und über die Schwierigkeiten des Modells und der Methode daraus geworden
und die Arbeit über Polyglutamin und über die Längenabhängigkeit der Strukturen, die da gebildet werden.
Fabian:
[58:43] Wie das oft so ist, führt der Weg dann doch irgendwie nicht da lang, wo man ursprünglich mal hin wollte. Aber man gewinnt dann trotzdem spannende Erkenntnisse.
Arne:
[58:51] Und das ist ja auch ein bisschen die Idee von Grundlagenforschung. Man arbeitet mal drauf los.
Man hat zwar irgendwie ein Ziel vor Augen, aber wenn man plötzlich etwas anderes herausfindet als das, was ursprünglich das Ziel war, hat man auch was rausgefunden.
Fabian:
[59:09] Das stimmt. Und dieses Modell, das ist jetzt quasi nicht frei verfügbar, aber sozusagen für deine Kolleginnen und Kollegen bereitgestellt und die können sich jetzt die
Verhältnisse von Huntingtin noch einmal unter anderen Bedingungen spezifischer anschauen.
Lässt sich das dann auch auf andere Proteine adaptieren?
Arne:
[59:30] Ja, das Schöne an dem Modell ist, dass es auf jedes Protein anwendbar ist. Es ist sogar frei verfügbar indem Sinne, wenn man Zugriff auf Fachzeitschriften hat, dann kann man es alles nachlesen, es ist alles dokumentiert.
Das heißt, man braucht eine Uni-Bibliothek oder ähnliches.
Aber dann ist es auch frei verfügbar. Also es ist öffentliches Wissen. Das Modell nennt sich ‚Prime Twenty‘. ‚Prime‘ ist kurz für „protein intermediate resolution model“.
Arne:
[1:00:02] Die Abkürzung ist etwas gewollt. Die
Menschen, die das entwickelt haben, die haben …
knapp 2000 war die erste Publikation, da hatten sie ein Modell namens ‚Prime‘, was eben nicht diese 20 verschiedenen Aminosäuren beinhaltet hat.
Aber das war dann die Weiterentwicklung davon, wo sie Parameter für jede einzelne dieser 20 möglichen Aminosäuren hatten.
Und dadurch ist es eben an sich ein wunderbar universelles anwendbares Ding.
Solange gewisse Fehler, die da gemacht wurden, behoben werden.
Fabian:
[1:00:42] Wunderbar. Das Projekt wird ja jetzt noch fortgeführt.
Gibt es da schon grobe Planungen, wo das Ganze noch hinführen soll?
Arne:
[1:00:51] Die Zielsetzung ist weitgehend unverändert, gegenüber der Zeit als ich angefangen habe.
Das heißt, es geht immer noch um Aggregation von Proteinen, um die Frage: Warum sind Amyloide so toll?
Und die Frage: Was für Strukturen bekomme ich auf dem Weg dahin? Weil das das große ungeklärte Problem oft für die Medizin ist.
Wir haben es ja vorhin angeschnitten, das Amyloid ist eine Müllhalde mehr nicht, aber irgendwas auf dem Weg dahin löst Krankheiten aus und führt zu Zelltod und macht Gehirne kaputt.
Das heißt, die Idee im Moment ist Aggregationen von bestimmten Proteinen, also vor allem weiter von dem Polyglutamin und von Alzheimer-Proteinen und von einem bestimmten Hormon anzuschauen. Das
Parathyroid-Hormon, was eben einer der Fälle ist, die genau als Amyloid gespeichert werden und dann unter Einflüssen freigesetzt werden können.
Das heißt, da ist dann auch die Frage, weshalb kann das freigesetzt werden und weshalb das Polyglutamin zum Beispiel nicht. Das ist so die Richtung, in die es weitergehen soll.
Aber man darf natürlich gespannt sein, ob es tatsächlich in die Richtung geht, ob sich nicht zwischendurch auch wieder ein vollkommen neues Feld auftut. Das ist noch offen.
Fabian:
[1:02:10] Und das große Traumziel wäre quasi den Bösewicht, den funktionellen Gegner bei Huntington zu identifizieren, also quasi Zwischenproteinen,
was in der kurzen Zeit, in der es wahrscheinlich nur besteht, dann eben Schäden verursacht und diese furchtbare Erkrankung auslöst.
Arne:
[1:02:30] Die Idee ist, wenn wir wissen, wie das Ding aussieht, dann haben wir auch irgendwie einen Anhaltspunkt, den wir angreifen können.
Und man hat zum Beispiel bei Alzheimer seinerzeit auch den Fehler gemacht,
man hat die Amyloid-Plaques gesehen und gedacht: Okay, die lösen die Krankheit auf und dann Mittel produziert, die diese Plaques auflösen und dann festgestellt, wenn wir die den Patienten geben, dann wird die Krankheit schlimmer statt besser.
Weil eben das Amyloid an sich nicht das Problem ist und wenn man das auflöst, dann hat man also mehr freies Protein, das in schädliche Formen sich halten kann.
Und die Frage ist also: Was für eine Form oder wie sieht diese schädliche Form aus? Und dann hat man einen Anhaltspunkt, wie man das Ganze behandeln kann.
Chorea Huntington ist zurzeit auch komplett unheilbar und das ist ein Zustand, den wir natürlich nicht haben wollen.
Take Home Message
Fabian:
[1:03:27] Wunderbar. Ich glaube, wir haben jetzt einen ganz guten Ritt durch dein Forschungsprojekt unternommen.
Ich weiß, nicht ob dir noch etwas einfällt, was noch fehlt.
Arne:
[1:03:38] Ich glaube, das Bild davon, was ich gemacht habe und warum das auch nicht komplett sinnlos ist, haben wir soweit durchgekriegt.
Fabian:
[1:03:45] Dann haben wir noch eine Tradition, die ich dir ja auch bereits angekündigt habe. Wir bitten alle unsere Gäste immer eine kleine ‚Take Home Message‘ mitzubringen. Eine ganz grundlegende Erkenntnis aus Ihrer Forschungsarbeit.
Und deine Minuten. Hast du uns eine schöne Message?
Arne:
[1:04:05] Ja, letztendlich die Message, die mir vor allem hängen geblieben ist: Es kann immer anders kommen, als man erwartet hat.
In diesem Fall natürlich speziell in der Grundlagenforschung. Man fängt mit einem Ziel an, erreicht ein anderes und das ist auch schön.
Das hat jetzt mit dem spezifischen Inhalt gar nicht so viel zu tun,
aber so als Lektion fürs Leben kann man das wahrscheinlich an vielen anderen Stellen auch anwenden.
Fabian:
[1:04:33] Die Schwierigkeit ist ja dann am Ende quasi aus diesem Umweg, dann doch etwas Produktives zu destillieren.
Arne:
[1:04:41] Ja, aber es wird in jedem Umweg auch immer möglich sein, etwas Produktives daraus zu destillieren.
Fabian:
[1:04:51] Wunderbar. Dann bedanke ich mich, dass du heute hier dein Projekt vorgestellt hast.
Arne:
[1:04:55] Ich danke, dass ich das durfte.
Fabian:
[1:04:57] Und ich bedanke mich bei euch fürs Zuhören und freue mich schon auf die nächste Ausgabe mit unserem nächsten Gast.
Vielleicht moderiert dann wieder Paula. Das hängt noch ein bisschen von der Planung der kommenden Monate ab und ansonsten bis dahin.
Intro, Outro