Transkript UnderDocs 014 – Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden.

2019, AK Uni Im Kontext

UnderDocs 014 – Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden.

 

Begrüßung

Fabian:
[0:58] Herzlich willkommen zur 14. Ausgabe der Underdocs.
Mein Name ist Fabian Link und ich begrüße euch hier zu unserer monatlichen Wissenschaftsshow mit ganz vielen interdisziplinären Themen.
Heute bewegen wir uns ein bisschen an dem Grenzfeld zwischen Literaturwissenschaft und Pädagogik.
Mein heutiger Gast ist nämlich studierter Grundschullehrer, hat sich aber nach seinem Studium dafür entschieden, vorerst nicht in die Schule zu gehen,
sondern sich stattdessen wissenschaftlich mit Bilderbüchern zu beschäftigen, für die er quasi während seines Studiums eine große Begeisterung entdeckt hat.
Mein heutiger Gast heißt Lukas Doleschal. Hallo, Lukas. Für das Verständnis von deiner Forschung, von deinem Promotionsvorhaben,

Fiktion Und Metafiktion In Texten

[1:51] ist es, glaube ich, erst einmal wichtig, dass wir so ein bisschen über deine Examensarbeit sprechen, die ja quasi die wichtige Vorarbeit leistet und die Instrumente geschaffen hat, mit denen du jetzt forschend arbeitest.
In dieser Examensarbeit hast du dich ja quasi mit den Begriffen Fiktion und Metafiktion befasst.
Um in das Thema zu starten, sollten wir vielleicht einfach erst mal aufdröseln, was Fiktion und Metafiktion ausmacht und was hat der Unterschied eigentlich zur Realität.

Lukas:
[2:24] Das ist natürlich ein Thema, was in eine kurze, einfache Definition sehr schwierig zu quetschen ist natürlich,
und auch die Unterscheidung: Was ist Fiktion und Wirklichkeit? Lässt sich jetzt in drei, vier Sätzen nicht so ganz einfach beschreiben,
aber man kann natürlich sagen oder Regeln aufstellen, die nötig sind, damit Fiktion erst mal grundsätzlich funktionieren kann.
Und dafür, wie du das gerade schon angesprochen hast, habe ich meine wissenschaftliche Hausarbeit in meinem ersten Staatsexamen genutzt, um
solche Bedingungsfaktoren für Fiktion mal zu beschreiben und zu versuchen, das ein bisschen zu kategorisieren. Und gerade eben auch noch einmal für den Sonderfall des Bilderbuchs.
Weil im Unterschied zu Romanen zum Beispiel, haben wir hier noch eine Bildebene, die
insgesamt natürlich auch auf den Gesamtverstehensprozess und der Fiktionsbildung im Gesamten natürlich einen Einfluss hat. Und damit natürlich auch noch mal die Narration verändert.
Und aus meiner Sicht auch noch mal erweitert und in der Breite auf jeden Fall noch mehrere Möglichkeiten des Spiels auch mit Fiktionen bereithält.

[3:41] Ich könnte jetzt ein bisschen versuchen, zu erzählen, welche Bedingungsfaktoren für mich in Bezug auf das Bilderbuch wichtig waren in meiner wissenschaftlichen Hausarbeit.
Die Idee, die ich eben hatte, um eine Unterscheidung zu treffen zwischen Fiktion und Metafiktion war diese,
dass ich ausgehend von der Fiktion und der Definition dieser, als Kernland für mich, da den Begriff der Metafiktion einführen kann, dass ich sage: „Okay. Das ist jetzt Fiktion. Das ist das Kernland der Fiktion.
Und alles was dieses Kernland oder diese Insel verlässt, ist dann eine Art der Metafiktion.“
In wieweit sich diese ausdifferenziert, ist natürlich immer unterschiedlich und es kommt darauf an, an welcher Stelle, um es mal in dieser bildlichen Sprache zu lassen,
an welcher Stelle ich von der Insel aus ins Wasser gehe. Und da habe ich mich dann bezogen in meinen Analysemodell vor allem auf Zipfel.
Das ist ein Fiktionstheoretiker, der eine Fiktionstheorie aufgebaut hat und ich habe eine, kann man sagen, grundsätzlich eine Dreiteilung für die Bedingungsfaktoren der Fiktion.

[4:56] Da hat man einen ersten Teil der Bedingungfaktoren, der Sprachhandlung fiktionaler Texte.

[5:04] Man kann vereinfacht sagen, dass versucht wird, über ein Kommunikationsmodell erst mal den Autor, den Text und den Leser richtig einzuordnen.
Kommunikationsmodelle haben wahrscheinlich Viele schon mal was davon gehört … Man hat einen Sender, man hat eine Nachricht und man hat einen Empfänger. Und dann geht es darum, inwieweit diese Nachricht, die vom Sender aus verschickt wird, den Empfänger erreicht und auch verstanden wird und im gegebenen Fall dann auch die Rollen tauschen.

[5:36] Dieses Kommunikationsmodell wurde dann versucht von Zipfel auf die Sprachhandlung bei der Rezeption und auch bei der Entstehung von Texten drüber zu legen, kann man sagen.
Und da kann man herausfinden, dass wir bei fiktionalen, aber auch faktualen Texten, also oft bei Nachrichten, wir eine zerdehnte und eine einseitig gerichtete Sprachhandlungssituation haben.
Und das ist sehr wichtig, da es ja so ist, dass die Kommunikation erst einmal nur von Autor über Text hin zum Leser stattfindet, deswegen einseitig und zerdehnt, deswegen …
weil wir im Prinzip keine Co-Präsenz zwischen Autor und Leser haben.
Also ein Autor schreibt nicht gleichzeitig ein Buch, was dann sofort von dem Leser im nächsten Moment gelesen wird, sondern es ist ja ein Prozess dazwischen
des überarbeitens, des verlegenens, des verkaufens, des kaufens und erst dann hat man die Situation der Rezeption beim Leser.

Fabian:
[6:39] Ein Buch ist ja kein Live-Stream?.

Lukas:
[6:40] Richtig.
Und dann ist natürlich auch noch ein wichtiger Punkt der dort mit rein spielt ein sogenanntes Illokutionsgeflecht.
Einfacher kann man es ausdrücken als Sinn, der dem Text eingeschrieben ist.
Und es gibt Aussagen, die einen Text zu einem Text machen und man hat meistens eine Aussage und man hat viele kleinere Aussagen im Text, die sich dann zu dieser Gesamtaussage zusammenfügen.
Bedeutet, dass eine Bezugnahme zwischen einzelnen Textteilen stattfindet, damit sich ein Gesamtbild ergibt.
Im Bilderbuch haben wir natürlich den Unterschied, dass die Bezugnahmen nicht nur zwischen einzelnen Sätzen oder Wörtern stattfindet, sondern zwischen Bild und Bild, Bild und Text, Text und Bild, Text und Text.
Da gibt es dann jede Kombinationsmöglichkeiten in der dann solche Bezugnahmen stattfinden.

Fabian:
[7:31] In anderen Textarten gibt es dieses Geflecht in dieser Form nicht?

Lukas:
[7:35] Doch. Dieses Illokutionsgeflecht ist ganz grundsätzlich. Das ist auch theoretisch so erarbeitet, dass man sagt, das ist eine Grundsatzregel eines Textes, dass er im Prinzip aus illokutionären Akten besteht.
Sonst würde ja auch ein Text gar keinen Sinn ergeben. Also, ich brauche ja eine Information, die ich mit einem Text transportieren will. Ich will ja mit dem Text auch kommunizieren in irgendeiner Art und Weise. Und dafür brauche ich diese Illokution, kann man sagen.

Fabian:
[8:03] Also auch wenn sich ein Text auf vorhergehende Kapitel bezieht, dann ist das auch ein Illokutions- … geflecht.

Lukas:
[8:09] … -konstrukt. Genau. Das ist halt immer wieder die Frage: Wie groß definierst du einen Text?
Es kann ja nur eine Geburtstagskarte sein, auf der vier, fünf Zeilen stehen, aber es kann auch eine Master- oder Doktorarbeit sein, die sich über dreihundert bis fünfhundert Seiten erstreckt.
Da werden solche Geflechte natürlich immer diffiziler und immer verzweigter.
Aber es geht gar nicht darum, genau zu analysieren, wo ist welche Aussage versteckt und wie ergibt sich daraus eine Gesamtausgabe,
sondern es geht eigentlich mehr darum, das Bewusstsein zu haben, dass ein Text genau das macht und dass ein Text genau aus so etwas besteht.
Weil das wird dann bei der Analyse von Büchern oder auch jetzt in meinem Fall Bilderbüchern immer wieder wichtig, weil man auch eine gewisse Fachsprache braucht, die sich über die Wissenschaften hinweg erstreckt.
Du hattest am Anfang gesagt, dass meine Arbeit so zwischen Pädagogik und der Literaturwissenschaft liegt … eigentlich geht es eher in die Didaktik, in die didaktische Schiene, dass wir überlegen im Team auch, wie

[9:17] verstehen Kinder Texte, wie lesen Kinder Texte,
dass wir versuchen, über eine Beobachtung zu so etwas zu kommen.
Und da ist es natürlich auch wichtig, gerade auch in der Didaktik, dass wir fachsprachlich uns Anknüpfungspunkte aus anderen Wissenschaften suchen, was auch manchmal gar nicht so einfach ist, weil wir nicht einfach irgendwie eine neue Fachsprache erfinden können.
Und da bietet sich natürlich auch sowas an, dann von illokutionären Akten zum Beispiel bei Texten zu reden.
Genau das, was ich jetzt so kurz zusammengefasst habe, das ist im Prinzip der erste große Teil.

Fabian:
[9:51] Also mit dem stellt man erst einmal fest: Es handelt sich um einen fiktionalen Text.

Lukas:
[9:55] Das jetzt ist ein Teil der dazu beiträgt, ja. Das war jetzt im Prinzip die Ebene der Sprachhandlung.
Der Text als Sprachhandlung, als zerdehnte, einseitige Sprachhandlung.
Weiter geht es dann über die Bedingungsfaktoren der Fiktivität. Einfach übersetzt, bedeutet das nichts anderes als der Teil der Fiktion
des: WAS wird denn überhaupt erzählt? Also da spielt dann der Ereignisträger oder die Ereignisträgerin eine Rolle.
Der Ort an dem das Ganze spielt. Die Zeit.
Und diese drei Sachen konstruieren ja eine fiktive Welt
in einem Roman oder in einem Bilderbuch oder in einem Film. Ja, das ist übertragbar.
Und da haben wir natürlich beim Bilderbuch die zwei Ebenen, einmal Sprache und das Bild.

Narration Über Bilder In Bilderbüchern

[10:43] Und da haben wir auf der Sprachebene die beschreibende Funktion.
Und bei der Bildebene die zeigende Funktion.
Da kann man vielleicht an der Stelle noch sagen, dass gerade im Bilderbuch man eher von narrativen Bildern spricht, das heißt, auch Bilder, die erzählen.
Weil es auch ganz oft so ist, dass gerade bei Bilderbüchern natürlich die Textgröße an sich oder der Textkorpus an sich
sehr gering und kurz gehalten ist, da man auch mit Bilderbüchern

[11:13] oft ja auch ein Publikum anspricht, was noch nicht so viel gelesen hat oder noch nicht so gut lesen kann und dem Alter geschuldet auch diese Bildebene dann einfach wichtig ist.
Aber deswegen spricht man eben von narrativen Bildern, weil man sagt, Bild und Text
wechseln sich oft auch ab in der Narration und
etwas Gezeigtes wird gar nicht weiter beschrieben im Text oder auch andersherum. Dass im Text etwas beschrieben wird, was im Bild gar nicht thematisiert wird, sondern im Bild wird etwas thematisiert, was die Narration aber insgesamt nach vorne bringt.

Fabian:
[11:48] Na, das ergibt im Prinzip schon Sinn, wenn man nicht
den Text nutzt, nur um das abgebildete noch einmal zu beschreiben, sondern die Handlung vorantreibt,
ist das Bild nicht im Prinzip auch eigentlich dafür da, dass man eben nicht das Setting großartig beschreiben muss, sondern dann einfach nur fortlaufende Handlungselemente in den Text einfasst und den Rest erklärt das Bild?

Lukas:
[12:14] Das passiert, ja. Man muss dazu auch sagen, dass eine Narration sowohl über Bild, als auch über Text funktioniert, noch nicht so lange vorherrschend ist in Bilderbüchern.
Ganz lange Zeit war das wirklich ein sehr striktes nebeneinander. Gerade auch noch als Märchen dann mit Illustrationen versehen worden, war das meistens eine sehr einfache Illustration, die eine Handlung,
die gerade auch parallel im Text beschrieben wird noch einmal darstellt …
und wirklich mit diesem Faktum des
Erzählens über beide Ebenen hinweg gespielt wird.
Das ist ein Phänomen, was, sag ich mir, erst in der Emanzipation des Bilderbuches dann Einzug gehalten hat.

Fabian:
[12:58] Wie lange wird sowas jetzt betrieben?

Lukas:
[13:02] Dass es auch solche Bilderbücher gibt, die im Prinzip so innovativere Strukturelemente haben? Oft wird gesprochen,
dass so den 1990er Jahren ein neues Bilderbuch etabliert hat.
Lange Zeit war der Name des „postmodernen Bilderbuches“ Programm, aber das ist eine Verwechselung auch mit der Postmoderne als Epoche,

Natürlich nicht auszuschließen ist, haben wir uns jetzt entschieden in der Hinsicht ein neues Fachwort einzuführen und zwar das Bilderbuch was literar-ästhetisch innovative Strukturen aufweist.

Also Literarästhetik ist klar, wir haben einen literarischen Text, der in irgendeiner Art und Weise auch ästhetisch ist und die innovativen Strukturen in dem Buch sind dann eben oft auch solche meta-fiktionalen Strukturen.

Fabian:
[13:57] Dann ist es ja noch ein ziemlich junges Phänomen eigentlich, dass man diese Ebenen miteinander verwebt.

Lukas:
[14:03] Genau, also das kann man wirklich so sagen und auch seit den 1990ern wurde das stark forciert.
Wir haben da eine sehr starke Dynamik auch in dem Bilderbuchmarkt, natürlich neben den klassischen Kaufhaus Bilderbüchern, wie man sie kennt.
Das kennt man ja, dass da solche Bilderbücher liegen, wie „Zeig mir deinen Bauernhof“ und dann wird beschrieben, was steht im Stall, was steht auf der Weide und sowas. Aber abseits von diesem,
sag ich mal, stark kommerzialisierten Bilderbuchmarkt, gibt es halt genau eben diese Bilderbücher, die uns interessieren.
Und gerade in diesem Markt, dieser literarästhetisch innovativen Bilderbücher, tut sich sehr viel.
Und deswegen ist es eben auch interessant, sich das anzugucken. Und durch technische Neuerungen in den letzten

[14:52] 20/30 Jahren sind auch ganz andere Sachen möglich,
auch im Bilderbuch als Illustrator, da etwas zu verarbeiten, oder als Autor.
Dadurch hat sich natürlich auch die Sehgewohnheit von Kindern und genauso auch von Erwachsenen verändert.
Ich sage mal, ein einschneidendes Erlebnis mit der Einführung oder mit der Erfindung des Fernsehers war das bewegte Bild, was man irgendwie auf einmal hatte und was natürlich auch Sehgewohnheiten verändert.
Und jetzt leben wir mittlerweile in einer multimedialen Welt, die völlig vernetzt ist, auch durchs Internet.
Und da spielen natürlich noch mal ganz andere Sehgewohnheiten eine Rolle.
Man geht einfach davon aus, dass durch solche kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen, natürlich auch das Medium an sich beeinflusst wird und sich verändert. Aber jetzt etwas abgeschweift …

(Meta-)Fiktion In Bilderbüchern

Fabian:
[15:45] Genau, kommen wir zur Fiktion zurück.

Lukas:
[15:48] Ich hatte ja, wie gesagt, schon beschrieben, dass einmal der erste große Punkt diese Sprachhandlung ist, die irgendwo da mit rein spielt. Dann der zweite große Punkt, die Fiktivität und seine Bedingungsfaktoren.
Und als dritten Punkt, gibt es dann noch die Bedingungsfaktoren der Fiktionalität und da geht es im Prinzip um das „Wie?“ des Erzählens.
Da sind wir jetzt nicht mehr auf der Inhaltsebene, sondern auf der Ebene, wie die Erzählung selbst funktioniert.
Und da ist ganz wichtig, dass man sich bewusst macht, dass eine Situationabgelöstheit beim Erzählen stattfindet oder die Erzählung Situationsabgelöst ist.
Wie wir das schon vorne bei der einseitig gerichteten Handlung hatten, zwischen Rezeption und dem Geschehenden liegt ein Zeitraum dazwischen.
Ein Autor schreibt etwas auf, was er entweder selbst erlebt hat und dann verarbeitet in seinem Buch und dann das erst später rezipiert wird.
Und da liegt einfach Zeit dazwischen und die Situationen sind vollkommen voneinander abgelöst.
Das ist auf jeden Fall sehr wichtig. Weiterhin ist auch wichtig, dass eine Verdoppelung der Sprachhandlungssituation stattfindet.
Das kann man am besten eigentlich erklären, indem ich …
ich würde es dir gerne hier mal auf einem Schaubild zeigen, auch wenn das unsere Zuhörer jetzt nicht sehen,
aber daran kann man das besser beschreiben. Und zwar: Warum eine Verdopplung der Sprachehandlungssituation?

[17:15] Bei fiktionalen und literarischen Texten ist es nämlich so,
wir haben nicht nur den Autor, den Text und einen Leser, sondern es gibt immer auch noch einen Erzähler und einen Adressat. Und das ist das Besondere im Gegensatz zu einem faktunalen Text, in dem man eben diese Verdopplung erst einmal nicht hat.
Und dann hat man eben eine Produktionssituation, in dem der Autor den Erzähltext,
man spricht dann auch vom Erzähltext 1, wie hier in dem Schaubild, produziert und dieser Erzähltext 1 ist im Prinzip der real vor mir liegende Text, die Buchstaben auf den Seiten, wie das Papier riecht,
so wie der Text einfach da ist. Natürlich
heute auch auf dem Tablet oder auf dem Laptop zu lesen.
Und dann ist in dieser äußeren Schicht, sag ich mal, noch eine zweite Ebene verbaut, wo man dann von dem Erzähltext 2 spricht und dann auch von der Geschichte als solche, in der
der Autor nicht mehr die Rolle spielt, sondern der Erzähler die Rolle des Autors einnimmt

[18:18] oft und auf der anderen Seite der Adressat steht. Also Adressat in dem Sinne, dass wenn der Autor ein Buch schreibt, schreibt er das nicht für eine ganz bestimmte Person.
Außer es ist jetzt zum Beispiel ein Liebesbrief.
Aber normalerweise ist es so, dass ein Buch dann für einen Adressaten-Kreis geschrieben wird und gedacht wird: Ok.
Ich schreibe jetzt ein Buch, was diesem Adressaten-Kreis gerecht wird oder eben auch absichtlich nicht gerecht wird.
Und das ist eben das zweite Wichtige, dass wir in dieser inneren, in dieser zweiten Ebene dann den Erzähler und den Adressaten mit der fiktiven Geschichte haben.
Und das Interessante hierbei ist, dass Erzähltext 1 und Erzähltext 2

[18:59] eigentlich direkt übereinander liegen. Es ist eigentlich genau das Gleiche. Es sind die gleichen Buchstaben, der gleiche Inhalt natürlich, aber man schaut nochmal mit einer anderen Brille auf die ganze Sache.
Denn in dieser zweiten Ebene geht es dann wirklich um diese Fiktion, die entsteht, wenn dieser Text dann gelesen wird.
Und das ist sehr wichtig und wichtig dabei ist, dass diese beiden Ebenen voneinander getrennt sind.
Das ist ein wichtiges Faktum, was auch dann in der Analyse von Bilderbüchern mit Metafiktion auch wieder eine Rolle spielen wird.

Fabian:
[19:33] Das ist doch im Prinzip, wie man das bei Gedichtinterpretationen kennt, dass man Autor und lyrisches Ich voneinander trennen soll, oder? Bloß halt eben auf andere Textformen übertragen …

Lukas:
[19:47] Und das ist im Prinzip, genau das, nur für literarische Texte und eben nicht für lyrische.
Aber da kann man gewisse Parallelen auf jeden Fall ziehen.

Fabian:
[19:58] Dass sozusagen der Autor eigentlich ein erzählendes Etwas konstruiert, welchen Geschlechts auch immer, welcher Konfiguration auch immer, und
dieses Etwas erzählt mir dann eigentlich die Geschichte und eben nicht der Autor oder die Autorin.

Lukas:
[20:17] Genau der Erzähler oder die Erzählerin fungiert im Prinzip immer als Vermittlungsinstanz, weil
der Autor kann eben nicht da sein, der kann nicht aus dem Buch rausspringen und jedem Einzelnen sein Buch vorlesen und erklären. Das funktioniert nicht.

[20:33] Und dann gibt es noch zwei wichtige Sachen, kann man sagen, da gibt es nämlich einmal noch, was ich für mich ausgearbeitet habe, um dieses Modell rund zu bekommen.
Einmal die formalen Besonderheiten, die einfach das Medium an sich erst einmal mitbringen.
Und das ist auf der einen Seite, dass der Text an sich begrenzt wird durch den Textkorpus.
Also ich habe jetzt einen Fließtext über eine A4 Seit zum Beispiel und dieser Text ist einfach von einem Rand abgegrenzt.
Dieser Text ist als solcher da und kann gelesen werden und ist aber durch den Textkörper oder den Textkorpus einfach abgegrenzt von dem Rest des Blattes.
Und genau das Gleiche gilt eben auch für das Bild, dass das Bild eben begrenzt wird durch den Bildrand.
Klingt erst mal sehr trivial, ist aber durchaus sehr sehr wichtig.
Ich habe auch noch ein paar Bilder mit, wenn wir Zeit haben, können wir da vielleicht auch noch mal kurz reingucken, wo nämlich genau so etwas eine Rolle spielt, dass eben solche Grenzen
überschritten werden. Als letzte Sache in Bezug auf das Analysetool, vielleicht noch bezogen auf die Sprach- und die Bildebene,
ist noch zu sagen, dass wir hier ja auch Konventionen unterworfen sind.

[21:49] Und da gibt es einmal die Konventionen des Zeichensystem der Sprache.
Das ist so zu verstehen, dass man einfach sagen muss, in unserer Kultur ist es üblich, dass wir von links nach rechts lesen,
der Text in Zeilen steht und wir bestimmte Buchstaben haben und wir bestimmte Laute sozusagen in die schriftliche Form bringen und daraus dann ein Text entsteht. Und ohne diese Konventionen, die
Zeichensystem eingeschrieben sind,
würde das Lesen eines Textes oder auch das Schreiben eines Textes überhaupt nicht funktionieren.
Und deswegen brauchen wir diese Konventionen, um überhaupt über Texte miteinander zu kommunizieren.
Und genau solche Konventionen gibt es eben auch auf der Bildebene,
mit dem Unterschied, dass wir auf der Sprachebene syntaktisch digital agieren und auf der Bildebene syntaktisch analog. Also die Unterscheidung, dass man eben einen Text nur verstehen kann, wenn man den
nacheinander sukzessive liest,
bei einem Bild aber eben diese Strukturiertheit nicht gegeben ist.
Natürlich kann man sagen: Okay wir haben ein bestimmtes Bild und man guckt, prozentual gesehen, gucken die meisten Menschen genau auf diese Stelle am Anfang oder gucken in die linke, obere Ecke, weil da etwas ganz Besonderes irgendwie auf dem Bild stattfindet
oder es gibt einen Blickfang direkt in der Mitte des Bildes. Aber grundsätzlich passiert hier genau das Gleiche: Man liest auch ein Bild.

[23:16] Genau, das war auf jeden Fall auch noch wichtig für die Analyse der Bilderbücher.
Und aus diesem Analyse-Modell, was ich jetzt versucht habe, so ein bisschen auch hier für die Zuhörer zu differenzieren, bildet die Grundlage für die Regeln von Fiktion, die ich an ein Bilderbuch stelle.
Und wenn man sich dann noch mal überlegt, ich hab hier mal eine Idee, wie man Metafiktion definieren könnte
und da heißt es dann: Fiktion nennt man jene Literatur, die ihre eigene Fiktionalität, also ihre Gemachtheit, ihre Konstruiertheit sichtbar macht.
Die Methoden variieren stark, das Vorhaben bleibt gleich.
Immer geht es darum die Künstlichkeit eines Werkes, seinen fiktionalen Charakter, spielerisch zum Vorschein zu bringen.
Und da sieht man schon: Okay. Dieser referenzielle Charakter spielt eine große Rolle und da wird vielleicht auch noch mal deutlich, warum ich jetzt diesen Umweg über die Fiktion gegangen bin, dass ich erst sage, ich kann
die Gemachtheit oder die Konstruiertheit eines Werkes nur analysieren und verstehen und beschreiben,

wenn ich die Konstruktion als solche verstehe. Das ist eben genau der große Punkt, der auch im Prozess meiner wissenschaftlichen Hausarbeit lange nicht so einfach zu lösen war. Von welcher Seite geht man hier eigentlich ran?

Fabian:
[24:41] Nach deiner allgemeinen Definition ist aber Metafiktion kein Phänomen, was sich jetzt nur auf das Bilderbuch beschränken würde*, sondern das gibt es quasi eigentlich in jedem Medienformat …

Lukas:
[24:48] *Auf keinen Fall.

[24:53] Genau. Da sind vom Medienformat her überhaupt gar keine Grenzen gesetzt.
Da geht es einfach nur darum, dass im einzelnen Medium, das einzelne literarische Stück oder der einzelne literarische Text eben genau seine Gemachtheit und seine Konstruiertheit offenlegt.
Das kann im Film genauso passieren, wie in einem Buch und da gibt es genug Film – Beispiele, in denen das auf jeden Fall auch aufgegriffen wird.
‚Deadpool‘ als vielleicht prominentes Beispiel der moderneren Zeiten. Da wird im Hintergrund dann auch der Film angehalten und der Ereignisträger und die Hauptrolle fängt dann an mit dem Publikum zu sprechen.
Und da denkt man ja im ersten Moment auch: Okay, eigentlich geht das jetzt gar nicht.
Und man hat auch schon ein irgendwie komisches Gefühl in dem Moment, wenn so etwas passiert, weil man einfach nicht damit rechnet.

Fabian:
[25:50] Das bricht so ein bisschen mit den Konventionen, die man eigentlich für solche Texte gewohnt ist. Gutes Beispiel ist ja eigentlich auch ‚House of Cards‘.

Lukas:
[25:59] ‚House of Cards‘ ähnlich, auch wieder eine Zuschauer-Ansprache. Für literarische Texte wäre es dann die Leser-Ansprachen.
Genau. Da passiert genau das Gleiche, dass auch der Protagonist im Buch sich seiner selbst als fiktive Figur bewusst ist.
Das spielt da ja mit rein, dass die eigene Analyse der eigenen Bewusstheit stattfindet. Und genau das wird da auch sehr gut deutlich und wird immer sehr stark auch wieder herausgearbeitet.

Fabian:
[26:29] Gibt es dann auch Formate, in denen sich die handelnde Person vielleicht nur in einzelnen Momenten seiner Fiktivität bewusst ist?
Also das ist quasi so einzelne Momente gibt, wo so metafiktionale Elemente eingebaut werden und der Rest des Textes bricht diese Konventionen aber nicht.

Lukas:
[26:49] Das ist eigentlich auch immer so, weil, ich sage, mal wenn alles besonders ist, ist es nicht mehr besonders. Also, wenn jede Stelle des Textes ein Konventionsbruch mit der Fiktion wäre, dann bräuchte ich das alles gar nicht mehr zu definieren, wie ich es tue.
Es gibt meistens verschiedene Knackpunkte in den Bilderbüchern, an denen Metafiktion deutlich wird, aber fußen tut dieses ganze Konstrukt immer noch auf den Regeln der Fiktion, weil das würde sonst gar nicht funktionieren.

Wirkung Von Metafiktion In Bilderbüchern Auf Kinder

Fabian:
[27:19] Wie wirkt denn Metafiktion? Was macht das denn? Du hast ja schon gesagt, es hat häufig einen irritierenden Effekt.
Ist es das, was man als Autorin oder Autor erreichen möchte? Möchte man das Publikum verwirren?

Lukas:
[27:34] Das ist eine gute Frage. Was man als Autor erreichen möchte beim Leser … ich glaube, das differiert von Autor zu Autor.
Aber ich würde sagen, dass so eine gewisse
Verwirrtheit genau das ist, weshalb ich mich mit dem Thema angefangen habe auseinanderzusetzen, weil meine Forschungsfrage geht ja in die Richtung, dass ich im Prinzip fragen möchte: Was
oder wie reagieren denn Kinder überhaupt auf solche metafiktionalen Phänomene?
Wenn ich meine Frage mal vorlese, die ist zwar etwas umständlich geschrieben, aber …

Fabian:
[28:13] Klassisch intellektuell verklausuliert.

Lukas:
[28:14] Genau. Ich kann sie einfach mal vorlesen, dann nochmal ganz kurz dazu eine Erklärung geben.
Die Frage wäre: Wie gehen Kinder der Primarstufe bei der Rezeption metafiktionaler Bilderbücher und im sich anschließenden, literarischen Gespräch mit den dargestellten Brüchen der Fiktionsstruktur der literarischen Artefakte um?
So und einfach gesagt, ist es nichts anderes, als dass ich herausfinden möchte, wie Kinder verschiedenen Alters
auf solche fiktionalen Brüche oder eben metafiktionalen Strukturelemente in Bilderbüchern reagieren.
Und dabei soll geschaut werden, durch die Methode des lauten Denkens, die später auf jeden Fall eine Rolle, dass im Vorfeld gesagt wird: Wenn ihr euch das Bilderbuch anschaut,

[29:05] sagt das, was ihr gerade in dem Moment denkt, damit wir wissen, was ihr denkt.
Das bedeutet auch, dass diese Forschung, diese Feldforschung, wenn man dann ins Feld geht natürlich auch vorbereitet sein muss, dass auch die Kinder, mit denen man so ein Buch dann anschaut, dass klar ist, okay, also nicht was erwarte ich jetzt von dir, sondern dass sie auch wissen,
wie muss ich mich jetzt verhalten, dass das hier funktioniert … auch in dem, was ich jetzt herausfinden möchte. Und für mich bietet sich die Methode des lauten Denkens an,
weil ich an die direkten Gedanken der Kinder möchte oder direkten Reaktionen, die solche Phänomene im Bilderbuch auslösen.
Und da bietet sich das an, natürlich direkt bei der Rezeption zu schauen: Okay. Wie reagiert denn hier ein Kind?
Ist es vielleicht so, dass diese Stelle so stark zu einem Fiktionsbruch führt, dass das Kind so verwirrt ist, dass es überhaupt gar keine Motivation mehr hat den Prozess fortzusetzen.
Das kann ja auch passieren, dass die Stelle so seltsam für das Kind wirkt, dass dann ein Rezeptionsabbruch einfach stattfindet und das Buch irgendwo in der Ecke landet.
Natürlich ist das erst mal nicht das Ziel, sondern das Ziel ist ja irgendwo Neugier zu wecken und die Frage ist genau: An welcher Stelle
ist es Neugier oder ist es Frustration?

[30:22] Meine These ist natürlich, dass eher die Neugier einen viel stärkeren Effekte haben kann und dadurch auch Verstehensprozesse angeregt werden können.
Auch bei Kindern, die vielleicht gerade an so einer Stufe sind, dann eine Entscheidung treffen zu wollen oder zu können und das mit so etwas auch zu unterstützen.

Fabian:
[30:42] Ab welchem Alter können Kinder denn Fiktion und Wirklichkeit überhaupt voneinander unterscheiden?

Lukas:
[30:47] Das ist eine gute Frage. Ich will jetzt nichts Falsches sagen.
Es ist schwer zu sagen, weil das hängt auch davon ab, was für Vorerfahrungen bringt ein Kind mit.
Wie ist die Kindheitsentwicklung verlaufen?
Das kann man so gar nicht sagen, aber das ist auf jeden Fall auch ein Punkt, den ich mir in meiner Forschung anschauen möchte. Gibt es denn Unterschiede wie Kinder in den ersten, in der zweiten, dritten und vierten Klasse eben solche Sachen wahrnehmen?
… Ja, solche Strukturelemente, die irgendwo Metafiktionen sind oder metafiktionale Charakterzüge mitbringen.
Was für eine Unterscheidung kann da stattfinden? Und ich denke, dass an sich das Switchen von Kindern von Fiktionen zur Wirklichkeit,
das können Sie schon sehr sehr früh.
Aber das bewusste Wahrnehmen und darüber nachdenken, dass ein Text ja auch nur etwas Gemachtes ist von anderen Menschen
und nur eine Möglichkeit der Kommunikation darstellt, ist noch mal etwas ganz anderes.
Also ich glaube, die Fähigkeit Fiktion zu kreieren selbst, die hat man schon sehr früh.

[32:02] Die Entwicklungsstufen, da ist man ja auch so ein bisschen davon weg, dass man sagt, wann fangen Kinder an sozusagen Objekte mit anderem Sinn zu besetzen.
Da spricht man dann von Objektfiktion und das fängt tatsächlich schon sehr früh, oft schon vor dem zweiten Lebensjahr an, dass Kinder beispielsweise ein Stückchen Holz nutzen als Auto.
Aber es ist halt gar kein Auto. Es ist einfach ein Stückchen Holz.
Aber die Kinder schaffen es in diesem Alter schon eben diesem Stück Holz semantisch eine ganz andere Besetzung zu geben vom Inhalt.
Und das ist die Vorstufe auch für literarische oder literarästhetische Fiktionen.
Da kann man schon sagen, dass diese Fähigkeit sehr früh sich ausbildet und das zeichnet uns ja auch als Menschen aus,
dass wir in der Lage sind uns Sachen vorzustellen und diese Sachen dann auch praktisch umzusetzen.

Fabian:
[32:59] Vielleicht auch gerade Sachen vorstellen, die physikalisch nicht möglich sind oder die in unsere Realität so eigentlich gar nicht hineinpassen. Ob es nun Raumschiffe sind oder Zauberei oder …

Lukas:
[33:14] Genau. Da lassen sich dann natürlich auch Sehnsüchte ausleben,
dass man auch seine eigenen Grenzen auch in der Fiktion überwinden kann oder austesten kann.
Das auf jeden Fall spielt dann auch in der Fantastik eine Rolle oder in der Sciencefiction.

Beispiele Für Metafiktive Elemente In Bilderbüchern

Fabian:
[33:30] Wo ich vielleicht noch mal ein bisschen drauf eingehen würde, weil wir da vorhin ein bisschen drüber hinweg gehuscht sind …
Wir haben allgemein über den Begriff Metafiktion gesprochen, aber vielleicht kannst du ja noch mal ein paar konkrete Beispiele dafür liefern, wie sich Metafiktion nun in Bilderbüchern darstellt, denn da hat man ja vielleicht gar nicht so die Vorstellung.
Ich meine im Theater ist das Durchbrechen der vierten Wand so das klassische Beispiel,
aber für Bilderbücher fällt einem da vielleicht gar nicht so spontan ein, wie Metafiktion sich überhaupt ausgestalten lässt.

Lukas:
[34:02] Dafür habe ich sogar ein kleines Beispiel mit.
Das wird jetzt wieder auf der beschreibenden Ebene stattfinden. Ich kann das auch mal noch ein bisschen größer machen und zwar kann man hier ganz gut sehen, das ist das Cover eines Bilderbuch ist und dieses Bilderbuch trägt den Namen ‚Chester –

[34:20] Bester Autor der Welt.‘
Und hier kann man schon auf dem Bilderbuch-Cover erkennen, dass hier etwas stattfindet, was so eigentlich gar nicht möglich ist.
Und zwar sieht man auf dem Bild eine etwas korpulente Katze oder besser gesagt, ein Kater sitzen, der einen roten Edding oder einen roten Filzstift in der Hand hält.
Dann steht unter dem Theater der Name der Autorin: Melanie Watt.
Interessanterweise ist der Name Melanie Watt mit einem roten Kreuz durchgestrichen und der Name Chester steht darunter und der Name Chester steht noch mal über dem Kater in großen Lettern.
Und dann steht auch in der gleichen Schriftart, als ob es selbst geschrieben ist, mit eben einem Edding oder Filzstift, mit roter Farbe:
„Bester Autor der Welt“. Und schon hier wird deutlich, bevor eigentlich die Geschichte als solche losgeht, wie Metafiktion funktioniert.
Weil offensichtlich dieser Kater auf dem Cover manipulativ eingegriffen hat mit diesem Filzstift.
Was ja aber eigentlich, wenn wir jetzt noch mal einen Schritt zurückgehen, gar nicht sein kann, eben weil wir hier eine zerdehnte, in eine Richtung stattfindende Sprachhandlung zum Beispiel haben. Darüber kann man das jetzt ganz gut erklären zum Beispiel …

[35:39] Dass nämlich das Buch als solches erst einmal gedruckt werden muss,
aber uns wird hier suggeriert, dass dieser Chester vielleicht erst vor kurzer Zeit diesen Namen von der Autorin durchgestrichen und seinen eigenen dann drunter geschrieben hat.
Schon das kann zu Überlegungen auch bei Kindern zum Beispiel führen: Okay.

Melanie Watt … Ist das jetzt die Autorin? Genau über solche Momente ist dann die Idee, zu sagen, wie funktioniert Fiktion eigentlich und was ist da eigentlich darüber hinaus möglich?

Fabian:
[36:10] Das ist ja auch, wenn ich kurz einhaken darf, wenn wir an dein Schichten – Modell denken, mit der Außensicht – Autor und Innensicht – Erzähler, interessant.
Normalerweise stehen die ja eigentlich in keinem interagierenden Bezug zueinander und in diesem Fall verleugnet quasi der Erzähler die Existenz der Autorin.

Lukas:
[36:31] In gewisser Weise schon. Oder er ärgert sie auf jeden Fall und beansprucht die Arbeit der Autorin auf jeden Fall für sich. Und schlägt man dann das Cover nämlich auf, wird genau damit auch wieder gespielt. Und zwar
sieht man hier einen kleinen Brief. Ich kann mal anfangen vorzulesen und zwar ist es so, man sieht einen
Schreibtisch. Auf diesem Schreibtisch sind verschiedene Arbeitsmaterialien zu sehen, die, um ein Bilderbuch zu gestalten, notwendig sein könnten, wie zum Beispiel:
Man sieht einen Tusch – Kasten und man sieht einen Bleistift und man sieht ein bisschen Klebeband.
Und dann liegt eben ein Brief oder ein Schriftstück mit auf dem Schreibtisch, in dem sich schwarze und rote Schrift abwechselt und die rote Schrift hat wieder den gleiche Schriftstil wie auf dem Cover. Und da geht es los,

[37:24] dass in schwarzer Schrift geschrieben steht: „Hallo, ich heiße Melanie und ich versuche gerade ein Bilderbuch über eine Maus zu machen,
aber Chester mischt sich ständig ein und will einfach nicht damit aufhören.“
Und in roten Lettern steht dann dahinter: „Na klar, soll ja schließlich ein tolles Buch über mich werden.“
Und so fangen schon Ereignisträger und Autor eigentlich an,
bevor die Geschichte so richtig losgeht, schon miteinander in
Verbindung zu treten und zu kommunizieren. Und im Bild wird es dadurch deutlich, dass man einen gemalten Chester auf einem
A4 Blatt, würde ich sagen, sieht, wie er schon nach einem Stift, der in seiner fiktionalen Welt eigentlich gar nicht vorhanden ist, greift,
da dieser rote Stift auf dem Papier liegt, auf dem der Chester eigentlich gemalt ist und seine Hand aus dem Papier herauskommt und diesen Stift greift.
Und das ist dann auch wieder so ein Hinweis auf einen metafiktionales Momentum.

[38:31] Und wenn man sich die nächsten Bilder anguckt, sieht man auch immer wieder, dass
eigentlich im ganzen Bilderbuch hinweg, dann immer wieder die Bilder der eigentlichen Autorin und Illustratorin manipuliert werden und verändert werden und der Gedankenwelt Chesters
angepasst werden.
Chester ist tatsächlich auch in der Lage, die einzelnen Buchseiten zu verlassen und auf anderen Buchseiten weiter sein Unwesen zu treiben.
Genau da ziehen sich diese Phänomene mit der Metafiktion sehr stark auch durch das ganze Werk.

Fabian:
[39:06] Ist das ein übliches Stilmittel? Also gibt es das in vielen Bilderbüchern? Oder ist es tatsächlich eher ein exotisches Phänomen? Oder was Neues, was jetzt gerade so auf den Markt gekommen ist?

Lukas:
[39:17] Also Chester ist noch nicht so alt. Ich glaube, 2016/2017 wurde verlegt zuerst. Und ich glaube, auf Deutsch übersetzt dann 2018, bin ich mir jetzt aber nicht ganz sicher.
Auf jeden Fall ein neueres Bilderbuch.
Und tatsächlich ist das eine Spielart von Fiktion, die sehr häufig vorkommt. In meiner wissenschaftlichen Hausarbeit beispielsweise habe ich dann zwei Bilderbücher beschrieben, in denen das Phänomen, was dort metafiktional verarbeitet worden ist, sehr ähnlich ist.
Und das andere Buch, in dem das Phänomen sich so ähnlich gestaltet, ist dann ‚Die beste Gutenachtgeschichte der Welt‘, in der thematisiert wird, dass sich verschiedene Protagonisten aus verschiedenen Geschichten streiten, welches denn nun die beste Gutenachtgeschichte ist
und zwischendurch dann das Buch völlig kaputt machen und die Schnipsel des Buches dann eine neue Geschichte im Endeffekt ergeben.
Wo auch wieder mit der Gesamtheit des Buches gespielt wird und die Bewusstheit, dass man selbst in einem Buch ist, aktiv genutzt wird, um die Geschichte und die Narration voranzutreiben und
dass eben die einzelne Figur nicht in der Seite des Buches verhaftet bleibt, sondern aktiv diesen Ort verlassen kann.
Bei ‚Die drei Schweine‘ von David Wiesner ist es genauso, da wird das auch so verarbeitet. Aber natürlich gibt es auch noch ganz
viele andere Arten der Metafiktion, die auch teilweise nicht so explizit herausgearbeitet sind, sondern die eher einen impliziten Charakter tragen.

Fabian:
[40:46] Da gibt es auch Beispiele, wo die Metafiktion richtig handlungstreibendes Element ist?

Lukas:
[40:51] Hier zum Beispiel ist das wahnsinnig gut zu sehen. ohne diesen Fakt, dass Chester diese Buchseiten verlassen kann und sich in der fiktionalen Welt seine eigene fiktionale Welt erschaffen kann, ohne diesen Punkt, wäre die Geschichte keine Geschichte mehr.
Und es geht das ganze Buch über hinweg um den Streit zwischen Ereignisträger und Autor. Das spitzt sich dann auch immer weiter zu, dass dann auch der Autor boykottiert, die Geschichte weiterzuschreiben.
Und das ist genau der Punkt, der hier als Möglichkeit dient, eine Geschichte aufzubauen.

Fabian:
[41:27] Das steht ein bisschen im Gegensatz zu zum Beispiel ‚House of Cards‘, wo man im Prinzip die Metafiktion weglassen könnte und es würde als Geschichte trotzdem weiter funktionieren.

Lukas:
[41:37] Es würde Geschichte weiter funktionieren. Bei ‚House of Cards‘ ist so, dass diese Momente dafür genutzt werden, um dem Zuschauer Background – Informationen zu geben,
die er ansonsten nicht bekommen würde. Oder Einschätzungen über die Innenwelt des Hauptdarstellers, also über die psychische Innenwelt.

Fabian:
[41:59] Wo wir gerade so ein bisschen darüber sprechen, auch über ‚House of Cards‘. Ist ein Bilderbuch eigentlich näher am Film oder am Buch?

Lukas:
[42:07] Das ist eine sehr gute Frage. Ich würde tatsächlich schon sagen, dass wir hier eher näher am Buch sind, weil wir einfach durch das haptische Erleben
natürlich eine Buchform haben und darin blättern können.
Aber natürlich werden auch filmische Elemente ganz gezielt und bewusst auch im Bilderbuch genutzt, die auch über die Jahre dann erst im großen Film eine Rolle gespielt haben.
Dass man sagt, man arbeitet jetzt mit anderen Perspektiven, man arbeitet mit Zoom, man arbeitet mit großen Totalen, man arbeitet mit Weitwinkel und man arbeitet mit Kamerafahrten.
Solche Sachen werden dann natürlich auch immer wieder im Bilderbuch mit verarbeitet.
Dass man sagt, man hat nicht mehr in mono-szenisches Bild, sondern ein pluri-szenisches Bild, in dem dann der Ereignisträger doppelt vorkommt in einem Bild und dadurch zum Beispiel ein Handlungsablauf gezeigt wird im Bild oder dadurch suggeriert wird, ok, hier bewegt sich jemand ganz schnell.

Fabian:
[43:07] So wie der Klassiker im Comic, wenn eine Person ganz schnell läuft, dass sie als einzelne Striche nur angedeutet wird und man sieht nur den vordersten als die Person, die er, sie, es ist.

Lukas:
[43:14] Genau. Oder dass man eben,
weil du jetzt gerade das Comic angesprochen ist, dass man mehrere Comic-Stripes hat, in dem man auch eine Geschichte erzählt hat, was eben ja auch eine Anlehnung an den Film ist.
Gerade bei Comics habe ich oft nicht so viel Text.
Da findet ein Großteil der Narration tatsächlich über die Bildebene statt, die sich dann erst im Ikonotext, Bild und Text zusammenfügt,
die Gesamthandlung greifbar macht, auch für den Leser, aber natürlich auch bei manchen Comics es
es möglich wäre, das Comic zu lesen, ohne ein Stückchen Text zu haben.
Wenn man sich vorstellt, wir lassen den Text jetzt einfach mal weg.

Fabian:
[43:58] Wie so ein abgedruckte Stummfilm quasi.

Lukas:
[44:02] Also da beeinflussen sich auch tatsächlich die Medienformate einfach auch gegenseitig. Was ich vorhin schon mal ganz kurz angedeutet habe, dass eben auch diese
krasse Entwicklung auch im Bilderbuch natürlich davon abhängt, was kulturell und gesellschaftlich im Hintergrund und auch medial, sag ich mal, sich verändert hat, dass das natürlich Einflüsse auch auf das Medium des Bilderbuches hat.

Fabian:
[44:27] Ich könnte mir gut vorstellen, dass im Jahr 2019 die Grenzen, die ein Bilderbuch quasi durch technische Limitierung mir gibt, durchbrochen werden können.
Wir hatten ja vorhin schon angesprochen, dass man Bücher durchaus auch auf dem Laptop oder auf dem Tablet lesen kann.
Was mir dann auch die Möglichkeit gibt, beispielsweise statt einem starren Bild ein animiertes Bild zu verwenden.

Lukas:
[44:54] Die Möglichkeit der Interaktion mit dem Bilderbuch.
Dass man sagt, es ist eine Bilderbuch-App, in der eben noch Spiele eingebaut sind oder wenn man etwas berührt, sich noch einmal etwas anderes bewegt.
Das ist dann nochmal für sich ein eigenes Forschungsfeld der digitalen Medien.

Fabian:
[45:15] Was ich mich so beim Recherchieren ein bisschen gefragt habe …
Du kennst doch bestimmt diese Kinderbücher, die man aufklappen kann und wo dann zum Beispiel so kleine Handpuppen drin sind oder die dann so aufklappen und dann kommt einem so ein Pappschloss entgegen.
Sind das auch metafiktionale Elemente oder würde man das vielleicht in eher so einem gestalterischen Kontext reinschieben und davon trennen?

Lukas:
[45:42] Das ist eine sehr gute Frage. Ich würde sagen ein fiktionales Phänomen, was dem ganz ähnlich ist, ist eines, das eben auch damit spielt, wie das Buch als Buch erst einmal beschaffen ist.
Da gibt es dann zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Protagonist in einem Buch dann auf einmal in einer Buchritze verschwindet oder der Hund des Protagonisten in der Buchritze verschwindet oder die Falte, wo die Seiten zusammengebunden sind, oder für die Ereignisträger, Ereignisträgerinnen
im Buch diese Grenze der Buchseiten ein Problem darstellt, das sie nicht überwinden können und sich wie eine Grenze gestaltet.

Fabian:
[46:20] Im Gegensatz zu Chester, der daher problemlos darüber hüpfen kann.

Lukas:
[46:22] Richtig, genau. Es ist im Prinzip ein ähnliches Vorgehen und ich finde, man kann es fast auch ein bisschen auf diese Puppen – Geschichte, was du gerade angesprochen hast, übertragen.
Aber tatsächlich ist das so eine Frage, die man, glaube ich, schwierig
beantworten kann, ob man das zu einem metafiktionalen Phänomen erklärt oder eben nicht, weil dort auch eher der interaktive Charakter mit dem Buch eine Rolle spielt und nicht mehr die Rezeption als solche, als normale Anführungsstriche, sag ich jetzt mal, normale Rezeption.

Intertextualität Und Intermedialität

Fabian:
[46:52] Okay wir sind in der Vorbereitung noch auf die Begriffe Intertextualität und Intermedialität gestoßen, die ja auch mit Fiktionen ein bisschen brechen können …

Lukas:
[47:04] Ja, auf jeden Fall kann so eine Intertextualität auf jeden Fall dazu führen, dass mir als Leser bewusst gemacht wird, hier handelt es sich ja eigentlich um einen literarischen und fiktiven Text.

Fabian:
[47:16] Vielleicht kannst du ja erst noch mal erklären, für alle, die das nicht so genau wissen, was Intertextualität denn eigentlich genau ist.

Lukas:
[47:24] Intertextualität ist nichts anderes, als dass ein Text in seinem Inhalt auf andere Texte Bezug nimmt.
Als prominentes Beispiel kann man jetzt zum Beispiel sagen, es gibt ein Bilderbuch, das ist tatsächlich auch einen textloses Bilderbuch ‚Krokodrillo‘.
Das spielt rund um ein Krokodil

und dort ist es so, dass das Krokodil dann im Laufe der Geschichte in einer U-Bahn mitfährt oder in einer Straßenbahn,
und in dieser Straßenbahn verschiedene Charaktere auftauchen, unter anderem auch ein Junge mit einem T-Shirt, auf dem Chubaka drauf ist, aus ‚Star Wars‘.
Und damit wird auch wieder deutlich, wenn man natürlich den Bezug dazu herstellen kann, weil man das Wissen über die ‚Star Wars‘ Filme hat,
hat man im Prinzip dann eine Verbindung intertextuell gesehen oder intermedial gesehen zu dem anderen Stück oder dem anderen Medium oder eben dem anderen Text.
Und das kann unter Umständen eben auch dazu führen, dass eine Gemachtheit des Werkes deutlich wird.
Ja, eben weil ich dann weiß: Ah jetzt referiert auf einmal der Autor auf ein ganz anderes Werk.
Dadurch kann natürlich auch dieser Effekt entstehen.

Fabian:
[48:38] Das kann allerdings natürlich den fiktionalen Wert auch erhöhen.
Es kann ja im Prinzip eine Welt viel realistischer machen, wenn ich auf popkulturelle Phänomene mich beziehe wie ‚Star Wars‘,
dann erscheint mir der U-Bahn Tunnel, wo dann am Bahnsteig Leute langlaufen, vielleicht gleich viel realistischer, weil ich sage: Ja in meinem Alltag würde ich
mich nicht darüber wundern, wenn da jemand mit einem Chubaka T-Shirt rumläuft.

Lukas:
[49:03] Bei Krokodillo vielleicht nicht so sehr, weil da auch sehr viele Tiere sich dann verirren in die U-Bahn,
aber grundsätzlich ist das genau der Punkt und das ist auch tatsächlich in der Diskussion rund um Metafiktion interessant zu beobachten oder zu lesen,

[49:20] wie Thesen aufgestellt werden, ob Metafiktion eher den Prozess der Fiktionsbildung unterstützt oder die Fiktion wirklich kaputt macht oder ein Fiktionsbruch entsteht.
Und das ist sehr interessant, weil ich tue mich da auch schwer, mich festzulegen, in welche Richtung es dort eher geht.
Im Moment bin ich eher so auf der Schiene, dass ich sage, es kann beides möglich sein und es hängt immer davon ab, was ich als Vorwissen als Leser mitbringe
und was ich für Kompetenzen in dem Bereich des literarischen Lernens dann schon mitbringe. Das habe ich vorhin auch aus didaktischer Seite so ein bisschen geskippt. Da bin ich gar nicht so drauf eingegangen.
Es gibt so ein wissenschaftliches Konstrukt des literarischen Lernens von Kaspar Spinner, wurde das mal niedergeschrieben, wo er elf Aspekte aufführt, die eben beim literarischen Lernen von Kindern eine ganz wichtige Rolle spielen.
Und da ist einer der Punkte, mit Fiktionalität bewusst umgehen, ist einer dieser literarischen Aspekte und der bringt im Prinzip das, was ich machen will, sehr gut auf den Punkt.
Also der bewusste Umgang mit literarischen und literaturästhetischen Texten.

Forschungsmethoden, -Ansätze Und -Motivation

Fabian:
[50:35] Jetzt hast du ja mit deiner Feldforschung eigentlich gerade erst so richtig durchgestartet und kannst dementsprechend noch keine endgültigen Ergebnisse verraten.
Vielleicht erlaubst du dir ja aber trotzdem, schon mal ein bisschen vor zu spekulieren und zu vermuten.

Lukas:
[50:54] Das kann ich machen, ja. Ich sage mal, man hat ja schon gewisse Erwartungen, in was für eine Richtung es geht.
Und natürlich gehe ich davon aus, dass ich mit einem Buch
in den verschiedenen Altersstufen natürlich unterschiedliche Reaktionen auslöse, je nachdem wie komplex das in dem jeweiligen Buch dann auch gestaltet ist.
Meine Erwartung ist, dass ich vielleicht mit dieser Feldforschung
eben wirklich daran komme, dass ein literarisches Gespräch mit Kindern stattfinden kann, in der die Wechselwirkung zwischen Fiktion und Wirklichkeitsbezug Thema ist.

[51:31] Das wäre so meine Erwartung, die ich hätte. Vielleicht auch mein Wunsch ein bisschen, dass genau dieser Effekt eintritt, dass ich über diese Bücher im Prinzip ein Nachdenken stattfinden lasse …
Was ist Wirklichkeit? Was ist Fiktion? Und wie unterscheidet sich das? Und kann man das überhaupt unterscheiden?
Und wie kann ich da drüber nachdenken? Und das ist genau der Punkt, an dem dann
mein Thema auch eine gesellschaftliche Relevanz bekommt, die mir auch, ehrlich gesagt, sehr wichtig war, dass ich eben nicht einfach etwas schreibe zu Sachverhalten, die auch in der praktischen Umsetzung überhaupt gar keine Rolle spielen,
sondern eben genau im Gegenteil sage: Okay,
mit dem, was ich hier versuche, zu erforschen,
erstmal natürlich mit einer theoretischen Rahmung, hat auch Relevanz für unterrichtspraktische Sachen.
Und das ist genau der Punkt, dass ich sage, in der Zeit, in der wir leben, in der Information nicht gleich Information ist, ist
eben so eine Kompetenz, mit Fiktion bewusst umzugehen, wahnsinnig wichtig, um eben auch zu wissen, wie gestalten sich faktuale Texte, wie gestalten sich fiktionale Texte
und wie kann ich da eine Unterscheidung treffen.

[52:46] Und die Idee, das über solche Bilderbücher zu machen, ist natürlich wahrscheinlich nicht die erste Idee, die einem so kommt.
Man sagt ja dann eher, ich habe hier eine Powerpoint oder früher noch einem Polylux, auf dem steht halt: Du hast einen Autor, du hast Erzähler und du hast
einen fiktionalen Text. Und dann wird dann runtergebetet, was dafür wichtig ist. Aber den Erekennensprozess über das eigene Wahrnehmen von solchen Werken, in denen damit gespielt wird, ist natürlich noch mal etwas ganz anderes und kann, denke ich, auch
mehr Spaß machen und man kann es auch tiefer diskutieren und tiefer auch mit Kindern besprechen, denke ich.
Genau das ist genau der Punkt, wo ich sage, das ist eine Kompetenz, die auch in Zukunft immer wichtiger werden wird, dass man sehr kritisch
mit Texten umgeht, die einfach existieren, weil jeder die Möglichkeit hat, von jedem auf diesem Planeten Texte zu lesen, was so erst seit
20 Jahren, 25 Jahren … Ich weiß nicht, wann das Internet Geburtstag hat.

Fabian:
[53:52] Ich glaube wir sind jetzt ungefähr beim Jahr 25.

Lukas:
[53:57] Und das sind halt Möglichkeiten, die wir vorher nicht hatten und die eben verschiedene Phänomene auf den Plan rufen, wie das Umgehen mit News.
Und wie kann ich ‚Fake News‘ zum Beispiel dann als solche auch enttarnen?
Oder wie gestalten sich dann Prozesse im Internet? Wenn Kommentare geschrieben werden,
muss man sich ja auch erst einmal bewusst machen: Okay, da muss nicht unbedingt eine reale Person aus der Wirklichkeit dahinter stecken, sondern das kann auch alles einfach nur Rechenleistungen sein und alles nur Fiktion sein.
Und sowas dann zu thematisieren, finde ich wahnsinnig wichtig, und auch eine Kompetenz dafür zu entwickeln, eine Unterscheidung treffen zu können zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Genau das ist der Anfang, den ich damit gestalten will.

Fabian:
[54:45] Das, finde ich, ist ein wahnsinnig spannender Gedanke.
Die gesellschaftliche Debatte läuft ja unentwegt … ‚Fake News‘ … Wie manipulieren sie uns?
Und dass man jetzt sagt, wir fangen schon wirklich früh mit dieser Medienkompetenzbildung an und dass sogar schon über Bilderbücher, die einfach zunehmend komplex werden durch diese metafiktionalen Ebenen.
Darüber breiten wir schon kleine Kinder darauf vor, Texten auch Misstrauen auf eine gewisse Art und Weise.
Wenn das funktioniert, würde das natürlich einen erheblichen Mehrwert bedeuten und das Medium sicherlich irgendwie nach vorne katapultieren.
Wobei sich mir fast ein bisschen die Frage stellt, ob wir dann nicht die kindliche Freude daran ein bisschen kaputt machen.

Lukas:
[55:37] Das ist auf jeden Fall eine berechtigte Frage. Ich denke nicht. Ich denke eher sogar, dass durch solche Bilderbücher auch Erwachsene Spaß daran haben können,
sowas mitzulesen, weil einfach auch als Erwachsener ich ja noch mal einen ganz anderen Background von Vorerfahrung mitbringe und dadurch auch für mich so ein Bilderbuch noch auf eine ganz andere Art und Weise witzig werden kann.
Was bei Kindern vielleicht, wenn sie ein solches Bilderbuch rezipieren, ganz andere Gedanken und Gefühle auslöst, aber dadurch eben das nicht nur ein Spaß für das Kind wird, sondern auch der Erwachsene oder die Erwachsene, die das Buch mit dem Kind liest,
Spaß hat. In dem Zusammenhang spricht man auch oft von der Entgrenzung von Kinderliteratur oder von Bilderbüchern und von Crossover Literatur und All-Age-Literatur.
Dass man sagt, eigentlich ist der Adressat gar nicht mehr nur so das Kind, sondern hier erweitert sich der Adressatenkreis auch.

Fabian:
[56:34] Also durch die Metafiktion wird es dann quasi interessant für einen breiteren Kreis von Menschen.
Ich glaube, wir haben jetzt hier einen wilden Ritt durch deine Thematik vorgelegt.
Wir bitten ja alle unsere Gäste immer ein kleines abschließendes Wort, eine Take-Home-Message zu formulieren und so würde ich auch hier an dich diese Bitte richten.

Take-Home-Message

[56:58] Hast du für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer noch etwas, was sie sich Kalender-mäßig mit nach Hause nehmen können?

Lukas:
[57:06] Ich würde diesen Spruch vielleicht garnicht so auf einer theoretischen und inhaltlichen Ebene lassen, sondern einfach sagen: Geht mal in eine Buchhandlung. Nehmt euch mal ein paar Bilderbücher. Guckt da einfach mal rein und entdeckt mal, was das alles für tolle Bilderbücher gibt.

Weil die meisten tollen Bilderbücher haben gar nicht so einen Verbreitungskreis, wie man manchmal denkt, sondern oft sind das ganz kleine Nischen, wo wahnsinnig tolle Werke entstehen.
Und da lohnt es sich, einfach mal rein zu schauen und mal ein bisschen zu stöbern und Kinderliteratur nicht zu unterschätzen.
Das ist vielleicht ein Schlusspunkt, den ich setzen kann.
Unterschätzt niemals Kinder- und Jugendliteratur und auch keine Bilderbücher.

Fabian:
[57:48] Zumindest die gut Gemachten. Jetzt muss ich aber noch mal ganz kurz einhaken … Was ist denn dein Lieblingsbilderbuch?

Lukas:
[57:55] Mein Lieblingsbilderbuch … Das ist eine ganz ganz schwierige Sache.
Mein Lieblingskinderbuch, was aber nicht nur ein Bilderbuch ist, war ‚Jim Knopf‘ und ‚Lukas der Lokomotivführer‘. Das hat mich damals als Kind sehr lange begleitet und durch meine Kindheit getragen und geprägt.
Ist vielleicht jetzt nicht ein Bilderbuch, aber oft sind dann ja auch solche Bücher mit Illustrationen versehen.

Fabian:
[58:22] Also dein persönlicher Lesetipp wäre Jim Knopf.

[58:28] Dann bedanke ich mich, dass du bei mir zu Gast warst, Lukas.

Lukas:
[58:32] Es hat mir sehr viel Spaß gemacht.

Fabian:
[58:33] Und ich bedanke mich bei Euch, dass ihr der Sendung bisher zugehört habt und freue mich, euch dann zur 15.
Ausgabe der Underdocs begrüßen zu dürfen.

Outro:
[59:12] Hier wird nicht gemütlich schmökert. Hier wird hart gearbeitet. Ich bin Tim Gailus, Lesebotschafter bei der Stiftung Lesen, und hinter mir tagt die Kinder-Jury vom Leipziger Lesekompass. Ganz
große Premiere, zum allerersten Mal entscheiden Kinder darüber, welche Bücher in der mittleren Kategorie von sechs bis zehn Jahren mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet werden. Und wie das abläuft, gucken wir uns mal an.

[59:50] Marlene, was musst du als Jury-Mitglied alles tun? Also du musst halt deine eigene Meinung wirklich abgeben, nicht auf die Anderen hören, was die sagen. Mathes, wie gehst du denn vor, wenn du ein Buch bewertest?
Also ich lese natürlich zuerst den Text im Buch, dann guck ich mir noch einmal
gründlich die Bilder an. Dann fülle ich halt die Fragen aus.

Welches Buch hast du denn begutachtet? ‚Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich.‘ Das hier, ne?

Und was ist dein Eindruck? Es ist ziemlich lustig und zum Teil auch ein bisschen gruselig.
Ich finde, es hat alles, was ein richtig gutes Buch. Es ist lustig, spannend und hat auch gute Bilder. Frederike,
wie ist denn das beim Lesen, machst du dir da die ganze Zeit Notizen? Meistens ja.

[1:00:36] Wow. Die Arbeit in der Kinder-Jury klingt ganz schön anstrengend, aber ist für einen ganz besonderen Zweck, denn der Leipziger Lesekompass findet deutschlandweit Beachtung
und die Meinung der Kinder liegt hier mehr als die der Erwachsenen.

[1:00:53] Ihr habt jetzt hier so viel gelesen, geprüft und bewertet.
Aber Sandra du bist ja hier die Jury-Chefin, das hätten doch auch Erwachsene machen können. Warum braucht es eine Kinder-Jury?
Ich glaube, dass das ganz wichtig ist, dass wir für Kinder oder Kinder für Kinder Bücher aussuchen, weil wir nur wissen, was Kinder wirklich wollen.
Ihr könnt ja nicht Tausende Bücher hier lesen …
Also wie kommt ihr zu dieser Vorauswahl, was die Jury lesen soll?
Es gibt so eine Vorauswahl von 20 Büchern, die wir den Kindern dann nachher letztlich geben, aber es ist eine Arbeit von über einem Jahr, diese Bücher zusammenzustellen.

[1:01:34] Erst einmal ist es schon eine intensive Arbeit. Die Kinder nehmen das sehr ernst, was sie da machen. Das finde ich unglaublich toll, dass sie merken, okay, hier geht es um was. Hier geht es darum, anderen Kindern wirklich Bücher auszusuchen, die sie dann hoffentlich auch lesen.
Was hat dir am meisten Spaß gemacht bei der Arbeit? Lesen.
Die Bücher zu lesen. Am meisten hat mir Spaß gemacht, die Bücher zu lesen. Ich glaube, das macht uns allen am meisten Spaß.